Jeff Lawson

„Messaging wird für Firmen immer wichtiger“

Der US-Kommunikationsdienstleister Twilio will Unternehmen dabei helfen, „das gleiche Spiel zu spielen wie Amazon, Google, Facebook und Co“. Was CEO Jeff Lawson damit meint, ist die maximale Personalisierung des Kundenerlebnisses.

„Messaging wird für Firmen immer wichtiger“

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Für US-amerikanische Tech-Werte herrscht an den Aktienmärkten nach teils exzessiven Höhenflügen der­zeit Katerstimmung. Kopfschmerzen bereitet das dem Mitgründer und CEO von Twilio, einem Anbieter von cloudbasierten Kommunikationsdienstleistungen, aber ganz und gar nicht: „Die langfristigen, makroökonomischen Trends, die uns antreiben, werden sich nicht ändern“, sagt Jeff Lawson im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Twilio, gegründet im Jahr 2008 und acht Jahre später erfolgreich an die Börse gebracht, bietet Unternehmen auf seiner Plattform die Möglichkeit, mit ihren Kunden über verschiedene Kanäle wie Whatsapp, SMS, E-Mail, Telefon oder Videotelefonie zu kommunizieren und diese Kommunikationstools in ihre Apps oder Webseiten zu integrieren. Die dafür nötigen Internet-Infrastrukturen können Unternehmen zwar auch selbst entwickeln. Das ist oftmals jedoch zeitraubend und schwer zu skalieren. Der Service von Twilio soll den Entwicklern in den Unternehmen somit quasi die Arbeit erleichtern. Die US-Fahrdienstvermittler Uber und Lyft nutzen die Plattform beispielsweise, um den Kontakt zwischen den Fahrgästen und ihren Fahrern herzustellen, der Online-Vermittler von Privatunterkünften Airbnb bringt die Gastgeber mit ihren Übernachtungsgästen zusammen und wer seinen Netflix-Zugangs­code vergessen hat, kann diesen nach einer auf Twilio-Technik basierenden SMS-Verifikation wieder zurücksetzen.

Insgesamt zählt Twilio nach eigenen Angaben rund 268000 Unternehmenskunden in 180 Ländern. In Deutschland, wo das Unternehmen derzeit rund 115 Mitarbeitende beschäftigt, gehören dazu unter anderem die Allianz und Delivery Hero, aber auch kleinere Start-ups wie das Handwerkerportal Aroundhome oder Audibene, ein Online-Anbieter für den Kauf und die telefonische bzw. videotelefonische Fachberatung rund um Hörgeräte. „Das ist wirklich cool“, sagt Lawson, „eine durch und durch digitale Beratung für medizinische Geräte zu bekommen.“

Telefonieren war einmal

Der deutsche Markt wachse generell gut, sagt Lawson. „Wir sind in der gesamten EU unterwegs, haben aber in den vergangenen fünf bis sechs Jahren speziell in der Bundesrepublik investiert.“ Es ist vor allem die Koexistenz von Jungunternehmen, die „den Status quo herausfordern“, und großen, traditionellen und global agierenden Konzernen, die dem gründungserfahrenen Tech-Manager hierzulande besonders gut gefällt. „Die großen Unternehmen sehen, dass Start-ups mit ihren digitalen Geschäftsmodellen Fahrt aufnehmen und investieren ebenfalls verstärkt in ihre IT und stellen mehr Software-Entwickler ein“, sagt Lawson.

Anders als früher stünden sie somit auch immer häufiger direkt mit ihren Kunden in Kontakt. „Für den Vertrieb braucht es oftmals keine Händler mehr. Verbrauchsartikel bis hin zu größeren Gütern wie Autos werden stattdessen immer häufiger im Abomodell verkauft, was den Absatz unterm Strich über längere Zeit steigert“, erklärt Lawson.

Um den sich verändernden Kundenbedürfnissen bei der Kommunikation gerecht zu werden, würden die Unternehmen gleichzeitig auf immer mehr Kommunikationskanäle setzen. „Das ist der größte Trend der vergangenen Dekade“, sagt Lawson. „Früher mussten Kunden bei den Unternehmen immer anrufen, wenn sie ein Anliegen hatten. Ich persönlich mache das nicht mehr und ich denke, es will auch sonst niemand mehr machen. Es kann nämlich sehr frustrierend sein, genauso wie der Versuch, ein Unternehmen per Chat zu erreichen.“

Lawson selbst sieht im Messaging, also im Versenden von Nachrichten zum Beispiel via Whatsapp oder SMS, derzeit die beste Variante zur Kundenkommunikation. „Man kann es von unterwegs aus mit dem Smartphone machen und es spielt keine Rolle, wann man dabei antwortet. Das ist für beide Seiten einfacher.“ Dadurch, dass sich die Unterhaltung über diesen Kanal oftmals über einen längeren Zeitraum erstreckt, verfestigt sich aus Sicht von Lawson automatisch die Beziehung zum Kunden. „Messaging wird für Firmen immer wichtiger“, ist der CEO überzeugt.

Neben der vielfältigeren Kommunikation gibt aber noch eine andere Entwicklung, mit der sich Unternehmen beim digitalen Kundenengagement zusätzlich auseinandersetzen müssen. „Das Sammeln und Nutzen von Daten aus erster Hand wird weltweit zur Norm“, erklärt Lawson. „Unternehmen können auf lange Sicht nicht mehr einfach Informationen über ihre Kunden von Dritten erwerben, was zum einen an Regulierungsvorschriften liegt, zum anderen aber auch daran, dass Kunden natürlich erwarten, dass ihre Daten vertraulich behandelt werden.“ Apple und Mozilla blockieren mit ihren Browsern Safari und Firefox schon jetzt automatisch Cookies von Drittanbietern, mit denen Benutzer beim Besuch einer Website verfolgt werden können. Bis Ende 2023 will auch Google mit seinem Chrome-Browser diese erweiterte Datenschutzfunktion anbieten. Laut einer von Twilio jüngst in Auftrag gegebenen Studie sind deutsche Unternehmen mehrheitlich allerdings noch nicht auf eine Welt ohne Cookies vorbereitet. 37 % würden sich zudem aktuell noch ganz oder größtenteils auf Daten Dritter verlassen.☻

„Um ihre Kunden besser zu verstehen und das Einkaufserlebnis zu personalisieren, brauchen Unternehmen aber deren Daten“, sagt Lawson. „Nur dann können sie das gleiche Spiel spielen wie Amazon, Google, Facebook und Co. Das ist der Grund, weswegen der Markt für CDPs seit einiger Zeit so rasant wächst.“ Mit CDPs, oder auch Customer Data Plattforms, sind Softwareanwendungen gemeint, die Unternehmen helfen, eigene Kundendaten aus verschiedenen Quellen zu erfassen, zu vereinheitlichen und zu analysieren. „Ohne CDP wissen Unternehmen im Grunde nicht, wer ihre Kunden sind.“ Twilio selbst hat sich im Herbst 2020 die nach eigenen Angaben führende Customer-Data-Plattform Segment einverleibt und dafür eigene Aktien im Wert von 3,2 Mrd. Dollar hergegeben.

Noch ist Segment ein eher kleines Standbein, das im vergangenen Jahr mit gut 200 Mill. Dollar etwa 7 % zum Konzernumsatz von insgesamt 2,84 Mrd. Dollar beigetragen hat. Für Lawson ist dennoch klar, dass es sich hierbei um einen langanhaltenden Wachstumstrend handelt ­– neben der fortschreitenden Digitalisierung von Unternehmen und dem verstärkten Kundenengagement auch großer Hersteller.

Zahlenwerk zeigt Schwächen

Von dem, was Twilio bislang konzernweit an Umsatzentwicklung vorgelegt hat, sieht sich der Manager denn auch bestätigt: „Wir haben unseren Investoren gesagt, dass wir bis ins Jahr 2024 hinein jährlich um 30 % wachsen wollen. Erstmals haben wir das im Jahr 2020 gesagt und nun, nach dem ersten Quartal 2022, noch mal bestätigt. Im Vergleich zu anderen Unternehmen mit ähnlichem jährlichem wiederkehrenden Umsatz wachsen nur wenige so stark wie wir.“

Die Dynamik hat in den vergangenen Quartalen allerdings nachgelassen, sowohl, was das Kundenwachstum angeht, als auch mit Blick auf den Umsatz und die bereinigte Bruttomarge. Für das zweite Quartal des laufenden Jahres hat Twilio zudem einen eher vorsichtigen Ausblick auf das Umsatzwachstum vorgelegt und hierbei einen Zuwachs von 27 bis 29 % in Aussicht gestellt. Der Verlust unter dem Strich hat sich mit knapp 222 Mill. Dollar zudem auch wieder deutlich ausgeweitet. Im gesamten vergangenen Jahr häufte das Unternehmen auf GAAP-Basis ein Minus von 950 Mill. Dollar an. Lawson hält dennoch an dem Ziel fest, ab dem kommenden Jahr in die Gewinnzone zu gelangen – das jedoch auf Non-GAAP-Basis.

Analysten sind trotzdem von der Erfolgsstory des Unternehmens überzeugt: Auf Bloomberg raten derzeit 29 Beobachter zum Kauf der Aktie, zwei empfehlen, das Papier zu halten.

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