Zweifel an der Mobilitätswende

Realitätscheck für die britische Autobranche

Der britische Autoverband SMMT hat staatliche Kaufanreize gefordert, um den Übergang zur Elektromobilität "schneller und fairer" bewältigen zu können. Denn nachdem viele Technikbegeisterte bereits Batterieautos fahren, macht den Herstellern die Kaufzurückhaltung der breiten Masse zu schaffen.

Realitätscheck für die britische Autobranche

Realitätscheck für die Autobranche

Britische Verbraucher halten Batteriefahrzeuge für zu teuer – Verband fordert staatliche Kaufanreize – Immer noch keine Einigung mit Brüssel

hip London

Der britische Autoverband SMMT hat staatliche Kaufanreize gefordert, um den Übergang zur Elektromobilität "schneller und fairer" bewältigen zu können. Nachdem viele Technikbegeisterte und Konsumpioniere bereits Batterieautos fahren, macht den Herstellern die Kaufzurückhaltung der breiten Masse zu schaffen.

Auf den ersten Blick hat sich an der starken Nachfrage nach Batteriefahrzeugen in Großbritannien nichts geändert. Vor fünf Jahren machten sie den Daten des Autoverbands SMMT zufolge gerade einmal 0,7% des Neuwagenmarkts aus. Bis Ende des Jahres sollte ihr Anteil auf 17,8% gestiegen sein, schätzt die Society of Motor Manufacturers & Traders (SMMT). Doch wird die Nachfrage von gewerblichen Käufern getrieben, die ihre Fahrzeugflotten umstellen. Die britischen Verbraucher sind dagegen zurückhaltender geworden, nachdem viele Technikbegeisterte und Konsumpioniere ihren Bedarf bereits gedeckt haben. Ihr Anteil am Absatz sei von einem Drittel auf ein Viertel zurückgegangen, gab Mike Hawes, der CEO des Autoverbands SMMT, auf der Branchenkonferenz Electrified in London zu.

Staat reduziert Kaufanreize

Eine beim Meinungsforscher Savanta in Auftrag gegebene Umfrage zeige, dass zwar gut zwei Drittel der Fahrer nichtelektrischer Fahrzeuge zum Umstieg bereit seien, aber lediglich 2% noch in diesem Jahr investieren wollten. "Wir müssen den Verbrauchern helfen, den Wandel schneller zu vollziehen", sagte Hawes. Im vergangenen Jahr schaffte die britische Regierung die Kaufprämie (Plug-in Car Grant) ab, die vielen den Erwerb eines Elektroautos versüßt hatte. Anfangs hatte sie bei bis zu 5.000 Pfund auf den Listenpreis gelegen, wurde aber ab 2016 immer weiter reduziert. Ab dem 1. April 2025 müssen ihre Besitzer zudem Kfz-Steuer zahlen wie alle anderen Autofahrer auch, wie Schatzkanzler Jeremy Hunt bereits im Herbst vergangenen Jahres ankündigte. "Rückschrittlich" nannte das Alex Smith, Managing Director der Volkswagen Group UK. Er kritisierte auch die schrittweise Rücknahme von Anreizen.

Energiepreise schrecken ab

Wie eine gemeinsame Umfrage von Electrifying.com und dem Pannendienst The AA diesen Monat zeigte, halten nur noch 16% der Teilnehmer das Verbot des Verkaufs von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2030 für richtig. Lediglich 9% sagten, ihr nächstes Auto werde ein Elektrofahrzeug sein. Die Zahl derjenigen, denen Elektrofahrzeuge zu teuer sind, stieg auf 87%. Vor zwei Jahren waren es 81% gewesen. Zwei Drittel gaben an, von den höheren Energiepreisen abgeschreckt worden zu sein.

"Umfassendes Maßnahmenpaket" gefordert

Hawes forderte "ein umfassendes Maßnahmenpaket" der Regierung, um die privaten Haushalte zum Umstieg zu bewegen. Die Hersteller winkten bereits mit Kaufanreizen, nun sei es an der Regierung, etwas zu tun. Der beim Kauf eines Elektrofahrzeugs erhobene Mehrwertsteuersatz sollte dem für andere umweltfreundliche Produkte wie Solar-Panels oder Wärmepumpen angeglichen werden. Es wäre auch fairer, wenn für das Aufladen an öffentlichen Ladestation der gleiche Mehrwertsteuersatz gelten würde wie für das Aufladen zu Hause. Es brauche einen verbindlichen nationalen Plan für die Ladeinfrastruktur. Fast die Hälfte aller Ladestationen des Landes befinde sich in London und im englischen Südosten, sagte Smith.

Strengere Ursprungsregeln

Was die strengeren Ursprungsregeln für Elektrofahrzeuge angeht, die im Handel mit der EU ab dem 1.1.2024 greifen, zeichnet sich bislang keine Lösung ab Sie könnten dazu führen, dass ausgerechnet die Fahrzeuge, die man für den Umstieg auf Elektromobilität unter die Leute bringen wolle, wegen Zöllen um 10% teurer werden. "Wir sind immer noch optimistisch, dass es zu einer Übereinkunft kommt", sagte Hawes. Es könnte aber auch erst in letzter Minute dazu kommen, zu Weihnachten oder Silvester etwa. "Ich würde nie eine Entscheidung einpreisen, die Gegenstand von Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU ist", sagte er. Die europäische Autobranche sei sehr besorgt. Großbritannien ist der zweitgrößte Neuwagenmarkt in Europa. VW hat Smith zufolge einen Marktanteil von gut einem Fünftel.

Er gab zu, dass Batteriefahrzeuge von den Verbrauchern als vergleichsweise teuer wahrgenommen werden. Die Hersteller könnten Skalenvorteile noch nicht in vollem Umfang realisieren, sagte Smith. Man müsse sich die Kosten über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg ansehen. Dann sei der Kauf eines Batterieautos eine "vernünftige wirtschaftliche Entscheidung". Das Aufladen zu Hause sei vergleichsweise günstig, die Servicekosten niedriger als bei herkömmlichen Fahrzeugen. Smith zufolge ist es kurzfristig wohl unvermeidlich, dass sich Verbraucher Sorgen machen. Denn es handele sich um den Übergang zur Annahme am Massenmarkt. Diese Kunden gingen mit einer anderen Einstellung an den Kauf heran als Technikbegeisterte und Konsumpioniere. Er habe schon 2019 angefangen, ein Elektrofahrzeug zu fahren. Aber das sei eine bewusste Entscheidung für die neue Technologie gewesen.

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