Hans-Georg Feldmeier

„So etwas ist nur in Krisen möglich“

Dermapharm ist seit knapp zwei Jahren Partner von Biontech für die Produktion des Covid-19-Impfstoffs. Der Hersteller patentfreier Arzneimittel ummantelt den von Biontech gelieferten Wirkstoff mit Lipidnanopartikeln (Fette), füllt den Impfstoff ab, verpackt und lagert ihn bei minus 70 Grad Celsius.

„So etwas ist nur in Krisen möglich“

Dermapharm ist ein Profiteur der Corona-Pandemie. Stimmen Sie dieser These zu, Herr Feldmeier?

Nicht so absolut. Dermapharm ist vielmehr ein Profiteur der eigenen Entwicklungsvision, die 1991 begonnen hat. Die Coronakrise und die Kooperation mit Biontech sind nur ein Meilenstein in der Entwicklung dieses Unternehmens.

Eine Pandemie war 1991 freilich noch nicht zu erwarten.

Es war aber von Anfang an die Vision des Unternehmens, das Geschäft zu kontrollieren und nicht nur Produkte zu vertreiben, sondern mit einer tiefen Wertschöpfung herzustellen und so weit wie möglich auch selbst zu entwickeln. Ohne diese Basis gäbe es die Zusammenarbeit mit Biontech gar nicht.

An der Entwicklung des Impfstoffs war Dermapharm nicht beteiligt.

Richtig. Aber unsere Kooperation mit Biontech ist weitaus mehr als nur das Offerieren von Produktionskapazität. Wenn wir in unserem Haus nicht Forscher und Entwickler, Pharmazeuten und Biopharmazeuten mit ihrem Fachwissen hätten, die das Produkt von Biontech aus dem Labor in die Fertigung begleitet haben, wäre das nicht möglich gewesen.

Wie gelang der schnelle Ausbau der Produktion?

In unseren Fabriken in Brehna bei Leipzig und in Reinbek bei Hamburg haben wir flexible Strukturen, so dass wir dort sofort ganz spezielle neue Technologien für die Impfstoffproduktion einweben konnten. So konnten wir auch sofort beginnen. Erst in Brehna, später in Reinbek.

Wie lange hat das gedauert?

Der erste Kontakt mit Biontech war im Juni 2020. Ende September haben wir dann die erste Charge des Impfstoffs in Brehna hergestellt.

Hätte das auch ein anderes Unternehmen geschafft?

Nein, in Deutschland definitiv kein anderes.

Auch andere wie Behörden und Zulieferer mussten mitspielen.

So etwas ist nur in Krisen und Kata­strophensituationen möglich. Die Behörden haben uns supergut und unkompliziert unterstützt. Die Verwaltungsämter in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein erteilten sehr schnell die Genehmigungen zur Produktion.

Und die Zulieferer?

Das Netzwerk der Lieferanten und Dienstleister, das sich Dermapharm über Jahre aufgebaut hat, war auch ganz wichtig. Kessel hatten schon damals eine Lieferzeit von eineinhalb Jahren. Wir haben sie in nur sechs Wochen bekommen, weil die Hersteller gesagt haben, wir lassen alles stehen und liegen, denn jetzt geht es um die Produktion von Impfstoff.

Wozu werden diese Kessel gebraucht?

Zum Beispiel für das Ansetzen und Mischen von Präparaten.

Wie entstand der Kontakt zu Biontech?

Einer unserer Entwickler, der sich mit Lipidnanopartikeln beschäftigt, fragte mich, ob Biontech mich mal anrufen könne. Dann hat sich Biontech gemeldet. Anschließend habe ich mit unserem Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratschef Wilhelm Beier telefoniert. Innerhalb von sechs Stunden war von unserer Seite die Zusammenarbeit besiegelt.

Zurück zur Ausgangsfrage: Das bereinigte Ebitda von Dermapharm ist 2021 um 75% gestiegen. Die unbereinigte Ebitda-Marge im Segment Markenarzneimittel stieg von 36 auf 52%. Also profitiert das Unternehmen doch von der Pandemie.

Klar, da ist etwas Wahres dran. Aber es ist keine Schande, gutes Geld mit Produkten zu verdienen, die schnell auf den Markt gebracht werden. Mit der Produktion des Impfstoffs übernehmen wir auch eine große Verantwortung und haben dafür einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investiert. Es gehört zum Geschäftsmodell von Dermapharm, solche Projekte anzunehmen und umzusetzen. Das haben wir nicht zum ersten Mal gezeigt.

Was meinen Sie damit?

Wir haben unsere Akquisitionen immer hervorragend integriert und bald darauf mit diesen Unternehmen mehr Umsatz und Ergebnis erzielt. Die Margen haben wir in ein bis zwei Jahren mindestens verdoppelt. Das gehört zu unserem Handwerkszeug. Zeitgleich mit dem Ausbruch der Coronakrise haben wir Allergopharma von Merck übernommen.

Dort haben Sie auch die Marge gesteigert?

Ja, natürlich,

Von Anfang an?

Am 1. April 2020 haben wir Allergopharma übernommen. Sie passte nicht zum Kerngeschäft des Merck-Konzerns. In acht Monaten haben wir mit dem Team von Allergopharma und der Mitarbeitervertretung das Ergebnis gedreht.

War es denn negativ?

Es war kurz davor, defizitär zu werden. Wir haben die Kostenblöcke gewaltig reduziert, die Belegschaft sozialverträglich von 486 auf knapp 300 Mitarbeiter verkleinert, neue Produktions- und Arbeitsmethoden eingeführt, eine neue IT und neue Logistik.

Haben Sie wegen der Impfstoffproduktion in Reinbek die Belegschaft wieder aufgestockt?

Ja, wir haben mehr als 40 Mitarbeiter eingestellt, darunter auch ehe­ma­lige.

Wegen Corona sind nicht nur Impfstoffe gefragt, sondern auch Produkte zur Stärkung des Immunsystems wie Vitamine und Nahrungsergänzung. Dermapharm hat solche Präparate im Angebot.

Ich will noch ein anderes Beispiel nennen, das zeigt, wie schnell wir als mittelständisches Unternehmen rea­gieren können. Als sich in der ersten Coronawelle andeutete, dass Dexamethason das Mittel der Wahl zur Begleitung der Behandlung von intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten ist, habe ich unserem Einkaufsleiter gesagt, er soll den Einkauf des Wirkstoffs von Dexamethason vervierfachen, um die Produktion der Ampullen und Tabletten möglichst schnell hochzufahren.

Warum nennen Sie gerade dieses Beispiel?

Es verdeutlicht sehr gut, wie wichtig die Arzneimittelindustrie in Deutschland und ganz Europa ist – auch mit Mittelständlern und Herstellern von Generika. Das sage ich auch als Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie.

Sehen Sie eine Gefahr, dass die Bedeutung der Branche in Europa schwindet?

Ja, denn der Massenmarkt wandert nach Asien ab. Arzneimittel gehören jedoch wie die Energieversorgung zur kritischen Infrastruktur. Mein Credo ist: Ein signifikanter Teil von Arzneimitteln muss weiterhin in Europa produziert werden. Dazu gehört auch ein Netzwerk von Lieferanten, um in Krisen wie jetzt reagieren zu können. Was wäre der Corona-Impfstoff wert, wenn es nicht hiesige Hersteller von Kochsalzlösung gäbe? Wir hätten keine einzige Ampulle dieses Verdünnungsmittels aus China oder Indien bekommen. Aber dieses Netzwerk ist gefährdet, weil der Massenmarkt abwandert. Das wiederum birgt Risiken für die sichere Versorgung unserer Patienten.

Warum wird die Produktion von Massenarznei verlagert?

Bis heute verstehen nur ganz wenige Politiker die Zusammenhänge. Leider fehlt auch in der neuen Bundesregierung das Verständnis, wie der aktuelle Referentenentwurf zeigt. Seit 2009 gibt es das Preismoratorium für Arzneimittel. Jetzt explodieren die Kosten, und die Unternehmen kämpfen mit den Lieferketten. Ein großer Teil des Marktes hat aber keine Möglichkeit, die höheren Kosten an die gesetzlichen Krankenkassen weiterzugeben. Das ist ein fatales Signal.

Und Dermapharm?

Wir arbeiten gegen diesen Trend, stellen 90% unserer Produkte selbst her. Wir konzentrieren uns auf margenstarke Segmente, den Selbstzahlermarkt und nicht verschreibungspflichtige Arzneien. Aus dem Massengeschäft haben wir uns verabschiedet. Wir bewegen uns in Nischen und sind darauf spezialisiert, kleinere Mengen effizient herzustellen.

Nochmals zum Covid-19-Impfstoff. Analysten schätzen, dass Dermapharm damit im vergangenen Jahr 120 Mill. Euro des Konzernumsatzes von 943 Mill. Euro erzielt hat. Für dieses Jahr rechnen sie mit 180 Mill. bis 200 Mill. Euro. Kommt das hin?

Den Schätzungen für 2022 widersprechen wir nicht. 2021 war es ein Tick mehr.

Wird Dermapharm die Kapazität für den Impfstoff nochmals er­höhen?

Nein, es bleibt bei 580 Millionen Dosen im Jahr. 250 Millionen Impfdosen davon können wir selbst in Fläschchen abfüllen.

Was meinen Sie, wie lange müssen wir noch mit Corona leben?

Ich befürchte, dieses Virus wird uns noch etliche Jahre begleiten. Und niemand kann vorhersehen, wie gefährlich es noch werden kann. Angesichts des hohen Krankenstands habe ich die Sorge wegen der Schäden für die gesamte Wirtschaft. Wo Personal fehlt, verzögern sich zum Beispiel Reparaturen von Maschinen und Lieferungen. Ich hoffe aber, dass die Impfstoffe, die gerade gegen die Omikron-Varianten entwickelt werden, einen besseren Schutz bieten.

Wird die Kooperation mit Biontech nach Corona weitergehen?

Na klar. Es gibt eine große gegenseitige Wertschätzung. Das geht bis zu den Gesellschaftern beider Unternehmen. Wir bereiten uns übrigens auch darauf vor, falls es irgendwann keinen Impfstoffbedarf mehr gibt.

Wie?

Wir werden uns in Europa an der Ausschreibung der „Pandemic Pre­paredness“ beteiligen.

Um auf eine Pandemie vorbereitet zu sein.

Genau. In Deutschland haben wir uns als Partner von Biontech mitbeworben, und Biontech hat natürlich den Zuschlag bekommen. Deshalb werden wir immer einen Teil unserer Kapazitäten für den Impfstoff auf Stand-by lassen.

Bekommen Sie dafür eine Entschädigung?

Das sind Details eines laufenden Bieterverfahrens, zu dem ich mich nicht äußern kann.

Der Aktienkurs von Dermapharm ist sehr volatil. 2020 und 2021 stieg er deutlich stärker als der Dax-Index Pharma und Gesundheit sowie der SDax. In diesem Jahr ist er aber erheblich kräftiger gefallen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Für manche Aktionäre steht vielleicht die Kooperation mit Biontech zu sehr im Vordergrund. Wir sind aber kein Impfstoffunternehmen. Das kommt zu unserem Kerngeschäft dazu. Erst ging es für unsere Aktie im Schlepptau des Biontech-Kurses stark nach oben und nun in dessen Sog nach unten. Die Kursziele der Analysten gefallen mir besser.

Aktuell steht der Kurs bei 53 Euro. Wie hoch sind die Analystenziele?

Der Konsens liegt derzeit bei etwa 75 Euro.

Das Interview führte Joachim Herr.

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