E-Commerce in Deutschland

Talsohle im Online-Handel durchschritten

Die Online-Umsätze mit Waren sind in Deutschland 2023 auf unter 80 Mrd. Euro gesunken. Damit liegen sie zwar deutlich über dem Wert im Vor-Corona-Jahr 2019, doch vom Wachstum der Boomjahre 2020 und 2021 ist nicht mehr viel übrig.

Talsohle im Online-Handel durchschritten

Talsohle im Online-Handel durchschritten

Nach zwei Jahren mit hohen Einbußen erwartet der Verband für 2024 nominales Wachstum – Marktanteil am gesamten Einzelhandelsumsatz bei 10 Prozent

md Frankfurt

Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) sagt für 2024 ein Wachstum des Bruttoumsatzes im Online-Handel von 2% voraus. Nach zwei Jahren mit herben Erlöseinbußen wäre damit wenigstens der Abwärtstrend gestoppt.

Die Talsohle des Abschwungs im Online-Handel mit Waren könnte durchschritten sein. Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) erwartet für das laufende Jahr ein nominales Umsatzwachstum von 2,0% auf rund 81,3 (i.V. 79,7) Mrd. Euro. Nach den starken Zuwächsen in den Pandemie-Jahren 2020 ( 14,6%) und 2021 ( 19,0%), als Konsumenten weniger in stationären Geschäften, dafür aber verstärkt im Internet einkauften, hatte es in den vergangenen beiden Jahren infolge der Rückkehr der Kunden in physische Läden kräftige Einbußen der Online-Erlöse von 8,8% und 11,8% gegeben. Damit war 2023 das erste Jahr, in dem der Bruttoumsatz mit Waren zweistellig zurückging. Der Verband führt das auch auf die geringere Ausgabenbereitschaft der Verbraucher zurück.

Den langjährigen Wachstumspfad im E-Commerce haben wir noch nicht wieder erreicht.

Gero Furchheim, Vorstandsvorsitzender (Präsident) des BEVH

Wenn die Prognose des Verbandes eintrifft, bringt 2024 das Ende des Abschwungs, selbst wenn real „bestenfalls ein Nullwachstum“ zu erwarten sei, wie Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BEVH, auf der Jahrespressekonferenz sagte. „Den langjährigen Wachstumspfad im E-Commerce haben wir noch nicht wieder erreicht“, räumte Gero Furchheim, Vorstandsvorsitzender (Präsident) des BEVH und hauptberuflich Vorstandssprecher des Designmöbel-Versandhändlers Cairo, ein.

Der Anteil des E-Commerce mit Waren am gesamten Einzelhandel im engeren Sinn (also inklusive Lebensmittel, aber ohne Apotheken-Umsätze) ging vergangenes Jahr den Angaben zufolge auf 10,2 (11,8)% zurück. Im Vor-Corona-Jahr 2019 habe er bei 11,5% gelegen, so Furchheim. Negativ habe sich 2023 ausgewirkt, dass der Online-Handel mit Bekleidung und Unterhaltungsartikeln stark ist, denn in diesen Warengruppen hätten die Konsumenten in Deutschland besonders gespart. Bei Gütern des täglichen Bedarfs (FMCG) gebe es hingegen viel Potenzial.

Klar unter die 100-Mrd.-Euro-Marke gerutscht

Abgeschwächt habe sich die Erholung bei digitalen Dienstleistungen wie Urlaubsbuchungen und Konzertticketverkäufen, die laut dem BEVH nur noch um 12,7 (39,9)% auf 12,7 Mrd. Euro zulegten.

Damit lag der Branchenumsatz im gesamten E-Commerce (Waren und Dienstleistungen) mit 92,4 Mrd. Euro erstmals seit 2020 wieder unter der Marke von 100 Mrd. Euro. Hoffnung schöpft der Verband daraus, dass das vierte Quartal 2023 mit einem Erlösrückgang bei Waren von 7,1% das erste Jahresviertel mit einem nur einstelligen Minus seit dem zweiten Quartal 2022 (−9,6%) war; das weise auf eine Stabilisierung hin. Doch kann hier der Basiseffekt in die Irre führen: Im Schlussviertel 2022 waren die Warenerlöse mit 18,1% so stark gefallen wie noch nie. Diese niedrige Vergleichsbasis schönt den Wert von 2023.

Multichannel-Händler verlieren am kräftigsten

Für die Breite der Händler wird 2023 als „einschneidend“ in Erinnerung bleiben, so der BEVH. D2C-Vertriebe (Hersteller-Versender) hätten ihr Wachstum in der langfristigen Betrachtung noch am stabilsten gehalten. Zwar seien die Umsätze vergangenes Jahr um 11,1% zurückgegangen, lägen aktuell aber um 62% über dem Wert von vor Ausbruch der Pandemie 2019. Marktplätze (−8,5%) und Online-Händler (−14,7%) blieben 2023 ebenfalls deutlich unter dem Vorjahresergebnis, aber immerhin noch 19,0% bzw. 7,0% über ihrem Vor-Corona-Wert, heißt es. Am deutlichsten seien die Rückgänge im Multichannel-Handel ausgefallen (−18,1%); das sind von Haus aus stationäre Händler, die sich erst seit relativ kurzer Zeit im E-Commerce-Markt bewegen. Bei ihnen habe sich bemerkbar gemacht, dass die Kunden wieder vermehrt stationäre Anlaufstellen nutzten.

Die Aktivität der Kunden im Online-Handel kühlte vergangenes Jahr weiter ab. Der Anteil regelmäßig aktiver Online-Kunden, die innerhalb der letzten sieben Tage eingekauft haben, fiel den Angaben zufolge auf 34,3%. Das ist deutlich weniger als 2019, als der Anteil im Jahresmittel noch rund 40% erreichte. Dafür steige der Wert des durchschnittlichen Bestellkorbs. Ebenfalls auffällig sei, dass Impulskäufe, die wichtig für die Branche seien, mehr und mehr zurückgingen.

Gebrauchtwaren sind im Kommen

Vorsichtige Anzeichen der Besserung zeigt allerdings die Bestellfrequenz pro Kunde, erkennbar am Anteil der Mehrfachbesteller, die mehr als einen Kauf innerhalb der letzten sieben Tagen tätigen: Der Wert stürzte seit dem ersten Quartal 2022 zunächst um rund zehn Prozentpunkte ab, hält sich seitdem stabil und bewegt sich seit drei Quartalen leicht aufwärts auf zuletzt 35,9%.

Die Bereitschaft, günstigere, aber gut erhaltene Gebrauchtwaren zu kaufen, sei bei Jüngeren und Familien inzwischen deutlich ausgeprägt, stellt der Verband fest. Unter den 19- bis 29-Jährigen gaben demnach 18,4% der Befragten an, „häufiger“ und 31,9%, „gelegentlich“ gebrauchte Produkte im Internet zu bestellen. Eine ähnliche Akzeptanz zeigten auch die 30- bis 39-Jährigen, bei denen dies 11,7% bzw. 40,1% der Befragten angaben.

Auch die Skepsis gegenüber günstigeren ausländischen Anbietern sinke. Danach gefragt, ob Kunden (aller Altersklassen) bereit sind, bei ausländischen Shops einzukaufen, wenn die Preise niedriger sind, stimmten 22,1% „voll und ganz“ zu; das sind deutlich mehr als bei der Vergleichsmessung von 2022 (16,8%). Die Zahlen basieren auf der Auswertung einer wöchentlich durchgeführten Befragung von 40.000 Verbrauchern im Gesamtjahr 2023.

„Zeichen stehen auf Konsolidierung“

Gemäß Lars Hofacker, Leiter Forschungsbereich E-Commerce beim EHI Retail Institute, stehen seit vielen Jahren die zehn größten E-Commerce-Shops für etwa ein Drittel des Online-Umsatzes in Deutschland. 2023 habe aber gezeigt, dass die Unternehmen auf den hinteren Plätzen aufholten. Sein Eindruck: „Die Zeichen stehen auf Konsolidierung“ – zumal die Profitabilität durch steigende Kosten unter Druck gerate.

Was die Wünsche der E-Commerce-Unternehmen angehe, so machte BEVH-Hauptgeschäftsführer Christoph Wenk-Fischer deutlich, dass Bürokratieabbau und weniger Regulierung die wichtigsten Anliegen sind. Online-Händler in Deutschland beklagten sich etwa über die geringe Vollzugsdichte von vereinbarten Regelungen auf europäischer und globaler Ebene, während Deutschland „Umsetzungsweltmeister“ sei und hiesige Unternehmen dadurch benachteiligt würden.

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