Carla Cooper

„Unternehmen brauchen eine digitale Präsenz“

Die in Berlin gegründete Softwarefirma Contentful hilft Unternehmen bei der Verwaltung von Inhalten für ihre digitale Präsenz. „Wir sind sozusagen die Organisatoren der Content-Bibliothek“, sagt CFO Carla Cooper, die im Sommer eine Finanzierungsrunde zu einer Bewertung von rund 3 Mrd. Dollar organisiert hat.

„Unternehmen brauchen eine digitale Präsenz“

Stefan Paravicini.

Frau Cooper, Sie sind im März des vergangenen Jahres vom US-Softwaregiganten Salesforce zu dem aus Berlin stammenden Start-up Contentful gewechselt. Haben Sie den Schritt schon bereut?

Ganz im Gegenteil. Bei Salesforce war ich als Vizepräsidentin für Finanzen und Strategie für einen Bereich mit einem Umsatz von rund 1 Mrd. Dollar verantwortlich. Das war sehr spannend, weil wir das altbekannte Problem der Integration von Anwendungen und Daten mit moderner Technologie und Application Programming Interfaces (API) gelöst haben. Contentful macht im Kern genau das Gleiche, aber für digitale Inhalte.

Wie hebt sich Contentful von Wettbewerbern ab?

Was mich für Contentful eingenommen hat, ist, dass sie eines der ältesten Probleme im Web auf eine neue Art mit neuer Technologie und auf sehr elegante Weise löst. Contentful verfolgt dabei einen „API-first“-Ansatz und setzt auf Komponierbarkeit von digitalen Inhalten – und ich glaube, das ist die Zukunft von Software. Contentful ist in der mobilen Ära mit einem mobilen Ansatz gestartet. Das ist sehr wichtig, weil die meisten von uns über mobile Geräte mit dem Internet verbunden sind.

Was ist denn das Problem, das Contentful für seine Kunden löst?

Wir managen die digitalen Inhalte, die Unternehmen brauchen, um eine erfolgreiche digitale Präsenz zu schaffen. Wir fokussieren uns auf genau diese eine Aufgabe und erlauben es Entwicklern und Web-Designern, sich ihrerseits darauf zu konzentrieren, wie sie die Inhalte präsentieren wollen. Wir sind sozusagen die Organisatoren der Content-Bibliothek.

Contentful organisiert digitale Inhalte für Unternehmen?

Wir wollen es für Leute, die das Design der digitalen Präsenz entwerfen, möglichst einfach machen, sich darauf zu konzentrieren. Wenn sie Inhalte benötigen, können sie diese aus der Bibliothek holen. Sie müssen sich überlegen, wie sie die Bibliothek organisieren. Die Struktur der Bibliothek bauen wir aber für sie auf. Sie legen die Inhalte in der Bibliothek ab und wenn die Bibliothek gut organisiert ist, können sie diesen Inhalt millionenfach wiederverwenden. Wir sind ein Content-Microservice, wenn man es etwas technischer ausdrücken will.

Wie groß ist der adressierbare Markt für diesen Service?

Der Content-Management-Teil des Marktes wird von Analysten wie Gartner auf 5 Mrd. bis 10 Mrd. Dollar beziffert. Zu diesen Zahlen kommt man dann, wenn man allein an Web Content Management denkt. Wir machen aber nicht nur Web Content Management, wir managen digitale Inhalte. Es gibt deshalb viele benachbarte Felder wie Enterprise Content Management, Product Information Management oder Digital Asset Management, die für uns von Interesse sind. Und wenn man diese Marktchancen kombiniert, geht es um einen adressierbaren Markt in der Größenordnung von 30 Mrd. Dollar.

Hat Contentful eine Zukunft als unabhängiger Content-as-a-Service-Provider oder wird der Service irgendwann ein Teil einer großen Software-as-a-Service-Plattform wie Salesforce?

Ich glaube, dass die Möglichkeiten für Contentful sehr groß sind. Wenn wir unser Angebot ausbauen und adaptieren können und außerdem potenziellen Kunden helfen, alle Use Cases zu nutzen, liegt unser adressierbarer Markt noch oberhalb von 30 Mrd. Dollar. Aber man wird letzten Endes sehen, wie sich der Markt entwickelt. Wenn wir uns Statistiken aus unserem Markt anschauen, geben 89 % der Unternehmen an, dass sie „digital first“ sind oder sein wollen. Schaut man sich dann an, wo sie tatsächlich stehen, sind die meisten Unternehmen noch am Anfang. Je weiter diese Reise geht, desto größer wird der Bedarf der Unternehmen sein, ihre digitalen Inhalte so zu organisieren, dass sie leicht auf sie zugreifen können und diese Inhalte immer wieder verwendet werden können. Die Marktchance für Contentful wird deshalb weiterwachsen.

Die Corona-Pandemie hat in vielen Unternehmen die Digitalisierung beschleunigt. Hat man das auch bei Contentful gemerkt?

Absolut. Die Unternehmen brauchen eine digitale Präsenz, wenn sie mit den Menschen in Kontakt kommen wollen. Die Pandemie hat das besonders deutlich gemacht. Wir sind nicht mehr ausgegangen und haben weder Geschäfte noch andere Dienstleistungen so genutzt wie vor der Pandemie. Viele Unternehmen beschäftigen sich deshalb mit der Frage, wie sie mit ihrer Online-Präsenz die gleiche Attraktivität wie früher mit umsatzstarken Ladenlokalen erreichen können. Eine ausgeklügelte Technologie wie Contentful hilft ihnen dabei, ihre Online-Präsenz auf den Kunden zuzuschneiden, ihre Website schneller zu machen und das Online-Erlebnis ihrer Kunden zu verbessern.

Hat die Pandemie denn auch die Wachstumspläne von Contentful beschleunigt?

Wir hatten schon vor der Pandemie ziemlich ambitionierte Pläne. Was sich geändert hat, ist der Antrieb potenzieller Kunden, die Transformation ihrer Unternehmen in Richtung „digital first“ einzuleiten. Für uns haben sich die Dinge nicht dramatisch verändert. Wir sind immer noch verhältnismäßig klein und sind schon vor der Pandemie sehr stark gewachsen. Die Pandemie eröffnet uns aber neue Chancen in Branchen, an die wir vorher nicht gedacht hätten, weil die Unternehmen jetzt verstärkt darüber nachdenken, wie sie in den nächsten fünf Jahren online erfolgreich sein können.

Sie haben im vergangenen Sommer eine Finanzierungsrunde unter Führung von Tiger Global zu einer Bewertung von rund 3 Mrd. Dollar orchestriert. Wie weit reichen die frischen Mittel und was ist der nächste Schritt?

Ich denke, es kommt der Punkt, an dem wir auf einer größeren Bühne spielen wollen. Für uns bedeutet das möglicherweise ein öffentliches Angebot. Denn ein Börsengang wäre abgesehen davon, dass er potenziell zusätzliche Mittel bringt, die Gelegenheit, auf einer größeren Bühne zu spielen. Ein IPO kann wichtig sein, um die finanzielle Stärke gegenüber Kunden zu validieren, und kann noch andere Dinge bewirken, die positiv für das Unternehmen wären. Wir sind überzeugt, dass die Ergebnisse, die wir mit unserem Geschäftsmodell erzielen, langfristig sehr positiv sein werden. Wir werden also keine endlosen Finanzierungsrunden benötigen, um dieses Geschäft zu finanzieren.

Ist Contentful aus Sicht des CFO denn schon bereit für ein IPO?

Darüber äußern wir uns nicht öffentlich. Was ich aber ganz allgemein sagen kann, ist, dass die Dinge, die für einen Börsengang erforderlich sind, auch „best practices“ für jedes Unternehmen sind. Viele der Prozesse, die man etabliert, bevor man an die Börse geht, braucht man auch, um als gut gemanagtes Unternehmen wachsen zu können. Ein öffentliches Angebot kann dafür eine zusätzliche Motivation sein, aber es geht dabei auch ohne Börsengang um wichtige Geschäftsprozesse.

Wäre ein Spac für Contentful eine valide Alternative zu einem IPO?

Spacs können ein interessantes Vehikel sein. Aber wie für jeden Weg an die Börse und für alle Arten der Kapitalbeschaffung gilt, dass sie ihre Vor- und Nachteile haben. Meine Aufgabe ist es, zusammen mit dem Management und unserem Board die Vor- und Nachteile abzuwägen. Ich bin keine Spac-Expertin, die Börsengänge von Mulesoft und Responsys mit mir als CFO waren traditionelle IPOs. Ein Vorteil eines Spac ist aber sicher die Geschwindigkeit. Ist dieser Vorteil groß genug, um einen Spac-Deal in Betracht zu ziehen? Eine Sache, die man bei so einem Deal manchmal nicht bekommt, ist die Interaktion mit den potenziellen Aktionären. Das ist aber wichtig für den späteren Erfolg als börsennotiertes Unternehmen. Man müsste dann also andere Wege finden, diese Interaktion sicherzustellen. Im Endeffekt geht es darum, die Vor- und Nachteile eines Spac den Pros und Cons eines Direct Listing und eines traditionellen IPO gegenüberzustellen.

Unter den Investoren von Contentful finden sich auch der Venture-Capital-Arm von Salesforce sowie Sapphire, ein unabhängiger VC, der unter anderem Mittel von SAP investiert. Könnte ein strategischer Käufer eine Alternative zu einer Börsennotierung sein?

Im Umfeld, in dem wir uns bewegen, ist es wichtig sicherzustellen, dass wir Kontakte zu allen relevanten Stellen für den Zugang zu Kapital unterhalten. Zu unseren Investoren zählen sowohl strategische als auch traditionelle Venture-Gesellschaften. Deshalb stellen wir sicher, dass wir uns mit einer breiten Auswahl von Leuten mit Kapital unterhalten.

Sie haben mehr als 20 Jahre als Analystin für Wall-Street-Firmen wie Robert W. Baird Technologiefirmen unter die Lupe genommen. Wenn Sie heute auf die Tech-Landkarte schauen, wie bewerten Sie neue Hotspots wie Berlin?

Das Spannende an Software ist ja, dass man sie überall entwickeln kann. Es gibt keinen Ort, der großartige Ideen allein für sich in Beschlag nehmen kann. Ich finde es wirklich großartig, junge Softwarefirmen auch außerhalb von Kalifornien zu sehen. Wer die Chance hatte, bei Firmen wie SAP oder in Berlin auch bei Contentful zu arbeiten, kann dazu beitragen, mehr neue Ideen zu entwickeln und in Deutschland ein vielfältiges, innovatives Software-Ökosystem zu schaffen. Ich finde das großartig, weil daraus viele kreative Ideen entstehen werden.

Contentful wurde 2013 in Berlin gegründet und agiert heute global von Standorten wie Denver und San Francisco. Die Führungsmannschaft ist genauso international wie die Investoren und die vielen Talente in der Belegschaft. Ist Contentful noch eine deutsches Unternehmen, oder stellt sich diese Frage nur einem Journalisten aus Deutschland?

Wo wir herkommen, ist für jeden von uns wichtig. Aber wir verstehen uns als ein globales Unternehmen und wir sehen uns als „digital first“. Wir arbeiten nach der Überzeugung, dass unsere Beschäftigten aktive und wertvolle Teile unseres Unternehmens und unserer Gesellschaft sein können, egal von welchem Standort aus sie arbeiten. Die Möglichkeit, aus einem diversifizierten Talentpool an ganz unterschiedlichen Standorten zu schöpfen, macht uns als Unternehmen stärker. Die Pandemie fordert unser Denken über den Arbeitsplatz allerdings neu heraus. Es ist schön, dass wir von so vielen verschiedenen Orten kommen, aber die Welt ist während der Pandemie auch ein ganzes Stück kleiner geworden.

Contentful hat sich zum Ziel gesetzt, mindestens ein Viertel der Technologie-Jobs mit Frauen zu besetzen. Wie schneidet das Unternehmen mit Blick auf Diversität im Vergleich mit anderen Technologiefirmen ab, für die Sie gearbeitet haben?

Im Führungsteam von Contentful ist der Frauenanteil höher als in anderen Unternehmen, für die ich gearbeitet habe. Wir arbeiten daran, unterrepräsentierte Gruppen insgesamt stärker zu repräsentieren – und in technologiebezogenen Positionen gehören Frauen immer noch dazu. Es ist für uns als Unternehmen wichtig und ich glaube, wir haben hier gute Fortschritte gemacht. Es ist noch ein weiter Weg und wir werden weiter daran arbeiten. Aber ohne ein ambitioniertes Ziel macht man keine Fortschritte. Contentful hat bereits mit der Berufung von Frauen in das Führungsteam starke Signale gesendet. Jetzt müssen wir das auf die gesamte Einstellungspraxis über­tragen.

Das Interview führte

BZ+
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