M&A

„Verschwende niemals eine gute Krise“

Nach der Schockstarre zu Jahresbeginn schnellt das M&A-Volumen im zweiten Quartal wieder in die Höhe. Marktführende Unternehmen und auch Finanzinvestoren nutzen insbesondere im Tech-Bereich die Gelegenheit, zu „normalisierten Bewertungen“ zuzugreifen.

„Verschwende niemals eine gute Krise“

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Es wird wieder voller auf dem M&A-Parkett, und die Stimmung steigt. Nach einem scharfen Einbruch des globalen Transaktionsvolumens auf rund 600 Mrd. Dollar zu Jahresanfang – nach 970 Mrd. Dollar im vierten Quartal 2021 – ging es von April bis Juni wieder steil bergauf. Der Mid Year Report von Bain & Company verzeichnete allein für die Monate April und Mai in Summe Deals über 702 Mrd. Dollar. Der „fundamentale Rahmen“ für ein „robustes“ M&A-Geschäft sei intakt, betonen die Experten – trotz Ukraine-Krieg, Inflation und Konjunktureintrübung, die als Giftcocktail für Firmenkäufe gelten könnten.

Bain rechnet daher für das laufende Jahr insgesamt mit einem globalen Volumen von 4,7 Bill. Dollar. Damit wäre 2022 das zweitbeste Jahr überhaupt, nach dem absoluten Rekord des Vorjahres. Dabei regis­trieren die Experten vor allem „strategische“ M&A-Aktivitäten, die in diesem Jahr mit 3,1 Bill. Dollar dominieren und das Durchschnittsniveau der vergangenen fünf Jahre erreichen dürften.

Triebfeder sind zum einen große Branchenkonsolidierungen wie etwa der 11 Mrd. Dollar schwere Zukauf von Celanese, die die Mehrheit am Kunststoffgeschäft von DuPont übernommen hat. Aber auch der von einer Bewertungskorrektur gebeutelte Technologiesektor füllt die Bücher der Deal-Maker stärker als gedacht, wie Sascha Pfeiffer, Managing Director und Co-Head European Technology Group bei Houlihan Lokey, der Börsen-Zeitung sagt. Die „ganz wilde Party“ sei zwar schon seit November vorbei, die Bewertungen bei Vorjahresstars der Softwareszene, schnell wachsenden, unprofitablen Software-as-a-Service-Firmen (SaaS), teilweise um 50 % bis 75 % zusammengeklappt, „aber da ist aktuell einfach nur die Luft raus“, so Pfeiffer. Inzwischen seien wieder „normalisierte Bewertungen in Höhe des 5- bis 8-fachen Umsatzes“ bei Softwareunternehmen die Regel. „Das entspricht in etwa dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre.“

Auch Pfeiffer spricht von einem bisher „guten Kalenderjahr“ und registriert eine rege strategische M&A-Aktivität von großen Playern der Tech-Szene wie Microsoft, Accenture oder IBM. Diese verfügen über gesunde Bilanzen und reichlich Cash und nutzen Kaufgelegenheiten bei Know-how und Technologien, um ihr Portfolio und die Wertschöpfung zu erweitern. Jüngstes Beispiel ist die 61 Mrd. Dollar schwere Akquisition des Softwareanbieters VM­Ware durch Chiphersteller Broadcom.

Tech im Vorteil gegenüber PE

Die großen Technologiekonzerne sind derzeit auch gegenüber Private Equity im Vorteil. Denn Finanzinvestoren ersticken zwar nach wie vor im Geld, aber sie tun sich im Angesicht der Zinswende schwerer, ,die üblichen Leveraged Buy-outs zu konstruieren. „Da wackelt die eine oder andere Finanzierung, Strategen mit tiefen Taschen sind nun manchmal schneller“, erläutert der Manager. So setzte sich Microsoft im Gefecht um Activision Blizzard für 68 Mrd. Dollar gegen zwei große Private-Equity-Gesellschaften durch. Allerdings sind auch Finanzinvestoren gerade im Technologiesegment derzeit sehr aktiv. Nach dem Motto „Never waste a good crisis – verschwende nie eine gute Krise“ nutzen diese Deal-Profis die gesunkenen Bewertungen, um ihre Portfolios mit künftig potenziell gefragter Technik vollzusaugen. „Gesucht sind derzeit zum Beispiel Cybersecurity, aber auch Software für Risikosteuerung, Compliance-Themen und auch profane Kostenkontrolle sowie Human Capital Management“, berichtet Pfeiffer. Der Schwerpunkt hat sich gewisser­maßen auf Krisenmanagement verschoben.

Neue Hürden sind im M&A-Geschäft indes auch entstanden. Der Ukrainekrieg und die geopolitischen Spannungen haben nicht nur zu einer Umorientierung in den Lieferbeziehungen und speziell in der Energiepolitik geführt, sondern auch Unternehmenskäufe deglobalisiert. „Deals mit China kann man völlig vergessen“, summiert der Experte. Alles, was mit russischem Geld zu tun hat und damit Gefahr läuft, Sanktionsgesetze zu verletzen, werde ebenfalls nicht angefasst.

Datasite beobachtet als Technologie-Anbieter für digitale Tools im gesamten M&A-Prozess „eine beachtliche Widerstandkraft der Region EMEA“ gegenüber den genannten Hürden im Deal-Making. Zwar war die Zahl der Transaktionen in der Region gegenüber Vorjahr rückläufig, doch die Bewertungen hielten sich erstaunlich gut mit einem wertmäßigen Rückgang im Halbjahr gegenüber 2021 von 6,5 % auf 579 Mill. Euro, heißt in den von dem Anbieter veröffentlichten M&A-Trends für 2022.

TMT-Deals führen Liste an

Dabei ragt wiederum der TMT-Sektor (Technologie, Medien und Telekommunikation) deutlich her­aus, mit 817 in der Datenbank von Datasite erfassten Assets, die 2022 auf den Markt kommen dürften. Dies sei rund ein Viertel aller „Deal-Stories“. Im ersten Halbjahr stach der Verkauf von Orange Spanien an Másmóvil für 8,1 Mrd. Euro hervor. An Nummer 2 steht das Segment Industrials & Chemicals, mit 571 erfassten Transaktionen in Planung.

Laut Markus Schiller, Landeschef von Datasite, ragt vor allem der deutsche Markt im TMT-Sektor heraus. „Hier zeigt unsere Deal-Pipeline einen Zuwachs von 30% gegenüber dem Vorjahr“, sagt er der Börsen-Zeitung. Nach einem kurzen Stillstand bedingt durch den Schock des Ukraine-Kriegs hätten sich die Aktivitäten schnell erholt. „Man kann feststellen, dass Käufer genauer hinschauen, was die Qualität der Assets und die Bewertungen angeht“, befindet der Manager. Jedoch hält sich die Preiskorrektur aus seiner Sicht in Grenzen. „Es werden teilweise weiterhin hohe strategische Preise angesetzt.“

Der kritische Blick der Käufer spiegelt sich allerdings in längeren „Deal-Laufzeiten“, wie die Daten zeigten. „Wir reden hier von Prozessen, die üblicherweise drei bis sechs Monate in Anspruch nehmen und sich jetzt eher auf sechs bis neun Monate erstrecken“, erläutert Schiller. Dabei spielt nicht nur eine verlängerte Due Diligence eine Rolle, sondern gegebenenfalls auch ein höherer Zeitaufwand, um die Finanzierung darzustellen. „Die Zinswende ist überall deutlich zu spüren, egal ob es um Fundraising geht oder den konkreten Einstieg von Investoren bei einem Unternehmen“, so der Experte.

Käufer sind wählerisch geworden. Im Konsumbereich – den gefallenen Stars der Pandemie – herrsche äußerste Zurückhaltung. Als gefragte Sektoren nennt Schiller ebenfalls Cybersecurity, aber auch „Themen im Energiebereich“. Der Telekomsektor verspreche jenseits des Servicegeschäfts, also im Bereich von Netzinfrastruktur, Datencentern und dergleichen, ebenfalls ein reges Geschäft in der zweiten Jahreshälfte.

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