IAA-Serie: Mobility 2021

Wettrüsten gegen Tesla hat begonnen

Elektromobilität für die Massen ist in den USA trotz Tesla noch Zukunftsmusik. Amerikanische Traditionskonzerne wie General Motors und Ford wollen jetzt aber mit massiven Investitionen aufholen.

Wettrüsten gegen Tesla hat begonnen

Von Norbert Kuls, New York

Joe Biden ist ein Autonarr. Der US-Präsident ist stolzer Besitzer eines Chevrolet Corvette aus dem Jahr 1967, ein Hochzeitsgeschenk seines Vaters, der damals für einen Autohändler gearbeitet hat. Spritztouren sind für Biden momentan aber nicht drin: Die Aufpasser vom Secret Service lassen Präsidenten aus Sicherheitsgründen nicht selbst ans Steuer. Biden kann jedoch träumen. Als er Anfang August im Beisein von General-Motors-Vorstandschefin Mary Barra und anderen Spitzenmanagern der drei großen amerikanischen Autohersteller eine Anordnung für Elektromobilität unterschrieb, machte er unbezahlte Werbung für seine Lieblingsmarke „Ich habe eine Zusage von Mary, dass ich den ersten elektrischen Corvette fahren darf, wenn sie ihn bauen“, sagte Biden. Noch gibt es allerdings keinen E-Corvette. Überhaupt ist Elektromobilität in den USA noch weitgehend Zu­kunftsmusik. Aktuell sind nur 2% der dort verkauften Neuwagen E-Modelle. Aber die Amerikaner wollen mehr. Eine rechtlich nicht bindende Anordnung von Biden sieht vor, dass bis 2030 die Hälfte aller in den Vereinigten Staaten neu verkauften Autos elektrisch angetrieben sein sollen. General Motors (GM), Ford und Stellantis streben ihrerseits an, dass bis 2030 40% bis 50% ihrer verkauften Neuwagen Elektromodelle sein werden, solange der Kongress Milliarden von Dollar für ein landesweites Netz von Ladestationen bereitstellt und Steuergutschriften gewährt.

Nicht zur Präsentation der elektrischen US-Autozukunft eingeladen war kurioserweise der einzige amerikanische Hersteller, der schon jetzt zu 100% Elektrofahrzeuge produziert – und der den vom Weißen Haus ratifizierten Wandel von Verbrenner- zum Elektromotor in den vergangenen Jahren angetrieben hatte: Tesla. „Scheint seltsam“, twitterte Tesla-Vorstandschef Elon Musk bissig.

Die Börse schreibt’s vor

Die Abfuhr hat politische Gründe. Die Automobilarbeitergewerkschaft UAW, der es bislang nicht gelang, bei Tesla Fuß zu fassen, war an den Gesprächen mit Biden beteiligt. Gewerkschafter, die sich um die Auswirkungen der Industrie-Transformation auf Arbeitsplätze sorgen, sind ein wichtiger Wählerblock von Bidens Demokraten. „GM, Ford und Stellantis „sind die größten Arbeitgeber der UAW“, sagte Bidens Sprecherin auf die Frage nach Tesla. „Ziehen Sie ihre eigenen Schlussfolge­rungen.“

Biden hat sich angesichts des UAW-Widerstands auch Forderungen widersetzt, eine verbindliche Vorgabe für die Einführung von Elektrofahrzeugen zu machen oder Kalifornien zu folgen und ab 2035 den Verkauf von benzingetriebenen Neuwagen ganz zu untersagen. Der bevölkerungsreiche Bundesstaat fördert die Einführung von E-Fahrzeugen seit Jahrzehnten. Die öffentlichkeitswirksame Zurschaustellung von E-Fahrzeugen der amerikanischen Traditionskonzerne war aber ein Zeichen, dass sie im Wettrennen mit Marktführer Tesla aufholen wollen. Mehr als zwei Drittel der in den USA verkauften batteriegetriebenen Autos sind Teslas. Mit der Mittelklasselimousine Model 3 produzierte Tesla zudem erstmals ein reines E-Auto für den Massenmarkt.

An den Aktienmärkten wird Elek­tromobilität seit Jahren als Schlüsseltechnologie der Zukunft gehandelt. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 680 Mrd. Dollar ist Tesla an der Börse entsprechend fast viermal so viel wert wie die drei großen US-Hersteller zusammen. Aber in diesem Jahr liegt die Aktie von Tesla leicht im Minus, wogegen die Kurse von GM, Ford und Stellantis überdurchschnittlich stark gestiegen sind. Das gilt auch für andere Traditionskonzerne wie Volkswagen oder Daimler, die die Transformation ihres Ge­schäfts anstreben. „Die Börse fordert eine beschleunigte Vision für Elektroautos, bei der schon in den nächsten Jahren mehr Investitionen getätigt werden“, sagt Dan Ives, Analyst beim Wertpapierhaus Wedbush, der ein „Wettrüsten“, der traditionellen Hersteller konstatiert.

Besser spät als nie

GM und Ford hatten schon vor dem Fototermin im Weißen Haus immer größere Investitionen in Elektromobilität angekündigt. GM will zwischen 2021 und 2025 nun 35 Mrd. Dollar in die Entwicklung elektrischer und selbstfahrender Fahrzeuge stecken. Die Summe ist 75% höher als noch im März 2020 avisiert. Bis 2035, also fünf Jahre nach der von Biden gesetzten Frist, will GM dann nur noch E-Fahrzeuge bauen. „Wir investieren aggressiv in einen umfassenden Plan, um sicherzustellen, dass GM in allen Aspekten der Transformation zu einer nachhaltigeren Zukunft führend ist“, sagte Vorstandschefin Barra im Juni. Ford hatte nur einen Monat vorher 8 Mrd. Dollar an zusätzlichen Investitionen angekündigt. Insgesamt will der Autobauer nun bis 2025 30 Mrd. Dollar in den Bereich pumpen.

Trotz aller Vorschusslorbeeren von Investoren bringen die großen US-Hersteller aber erst jetzt Fahrzeuge auf den Markt, die Tesla ernsthaft Konkurrenz machen könnten. Ford verkauft seit Anfang des Jahres den Mustang Mach-E, einen kleinen Geländewagen (SUV), der auf positive Resonanz stieß und direkt mit dem Tesla Model Y konkurriert. Im kommenden Jahr soll dann eine elektrische Version des F-150 auf den Markt kommen. Die Benzinversion des Pick-up-Trucks ist das meistverkaufte Fahrzeug in den Vereinigten Staaten.

GM hat kürzlich ein SUV-Nachfolgemodell für den Chevy Bolt eingeführt. Auch VW konkurriert in diesem Massensegment seit kurzem mit dem ID4. In der oberen Elektro-Mittelklasse, wo Tesla mit der Limousine Model S und dem SUV Model X führt, greifen Luxusmarken wie Porsche oder Audi an. Fachleute erwarten, dass Tesla angesichts der wachsenden Konkurrenz Marktanteile verlieren wird, auch wenn der Umsatz des Unternehmens mit einem insgesamt wachsenden Markt steigen dürfte. Michelle Krebs, Analystin bei Autotrader, zieht folgendes Resümee: „Tesla war der einzige Anbieter und das ist jetzt nicht mehr so.“

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