Corporate Governance

„Wir wollen als Investoren Denkanstöße geben“

Aus Sicht der Governance-Experten des Vermögensverwalters Federated Hermes haben sich einige große deutsche Unternehmen bislang unzureichend auf anspruchsvolle ESG-Ziele verpflichtet.

„Wir wollen als Investoren Denkanstöße geben“

Sabine Wadewitz

Herr Dr. Hirt, Frau Lange, wer sich den Engagement-Plan von Federated Hermes für die kommenden Jahre anschaut, gewinnt auf den ersten Blick den Eindruck, es gehe um die Ziele einer sozialen Initiative. Spielt Shareholder Value für einen Assetmanager nicht mehr die entscheidende Rolle?

Hirt: Für uns stehen ESG-Ziele im Vordergrund, die finanziell wesentlich sind. Themen wie Klimawandel und Biodiversität sind auch für Investoren relevant, denn hier geht es um die Grundlage für eine nachhaltige Wertschöpfung von Unternehmen. Dies ist natürlich im Sinne der Pensionsfonds, die Federated Hermes vertritt. Neben diesen rein finanziellen Aspekt geht es auch um Nachhaltigkeit in einem weiter gefassten Sinn. Wir sparen alle für unsere Rente und wünschen uns im Ruhestand nicht nur eine gute finanzielle Absicherung, sondern auch eine intakte, lebenswerte Umwelt. Wir sind der Meinung: Durch gezielten Dialog mit Unternehmen können wir für unsere Kunden beides erreichen.

Stoßen Sie in Ihren Gesprächen mit Unternehmen auf Resonanz für diesen Denkansatz?

Hirt: In manchen Unternehmen sehen wir Nachholbedarf beim Setzen von anspruchsvollen ESG-Zielen. Mit Blick auf CO2-Emissionen stellen wir fest, dass viele Konzerne zwar das Problem erkannt haben und langfristig die richtigen Ziele erreichen wollen, aber noch nicht klar definieren, was zum Erreichen von Klimazielen in den nächsten drei bis fünf Jahren passieren muss. Ein weiteres Thema ist Vielfalt. Hier haben deutsche Unternehmen oftmals zwar theoretisch die Notwendigkeit für Diversität anerkannt, erklären dann aber ausschweifend, warum sie dem zum Beispiel in der Besetzung des Vorstands nicht nachkommen.

Auf die Langsamkeit in dem speziellen Thema hat ja inzwischen der Gesetzgeber reagiert.

Hirt: Es brauchte Anschub von außen, aber nun sind durchaus Fortschritte in Unternehmen zu beobachten. Erfreulicherweise sind jetzt ja sehr schnell einige hochqualifizierte Frauen in Vorstände berufen worden.

Für deutsche Unternehmen fordern Sie mit Blick auf die Beteiligung von Frauen nicht nur einen Anteil von 30% in Aufsichtsräten, sondern auch in Vorständen. Bis wann sollte dieses Ziel erreicht sein?

Lange: So bald wie möglich. Investoren machen seit vielen Jahren Druck, denn Deutschland hinkt anderen Ländern beim Thema Vielfalt in der Chefetage hinterher. Unternehmen hatten seit langem die Möglichkeit, starke Kandidatinnen zu finden. Doch wenn wir hier immer noch keine messbaren Fortschritte sehen können, werden wir die Entlastung von Aufsichtsräten nicht unterstützen.

Sind die Aufsichtsratsvorsitzenden unterdessen offen für den Dialog mit Investoren – auch unterhalb des Dax 30?

Lange: Hier hat sich in den vergangenen vier Jahren sehr viel verändert. Aufsichtsräte und Vorstände kommen zunehmend auf uns zu und suchen den Dialog zu kritischen Themen. Das ist ein klarer Trend. Natürlich ist es nach wie vor so, dass größere Unternehmen aktiver in den Dialog mit Investoren gehen. Doch wir erleben eine neue Generation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die proaktiv agiert.

Wo sehen Sie die stärksten Fortschritte bei ESG-Themen und wo hapert es noch?

Lange: Wir schauen uns die Unternehmen mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen im Detail an – und legen unternehmensspezifisch Kriterien an. Aufgrund dieses Ansatzes sind Fortschritte bei einzelnen ESG-The­men nicht generalisierbar. Wir konfrontieren die Konzerne mit den aus unserer Sicht speziell für Sie relevanten Themen.

Steht da nichts Grundlegendes im Vordergrund?

Hirt: Klimawandel ist ein übergreifendes Thema, bei dem in den Unternehmen viel passiert ist. Das Ziel der Klimaneutralität 2050 wäre vor einigen Jahren bei vielen Unternehmen noch eine Sensation gewesen. Jetzt geht es den Konzernen darum, was in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu tun ist, um die eigene Strategie mit dem Pariser Klimaabkommen in Übereinstimmung zu bringen. Das ist auch eine Reaktion darauf, dass wesentliche Anspruchsgruppen wie Investoren mit Blick auf Umweltschutz jedes Jahr höhere Ansprüche stellen.

Es geht also nicht mehr um Visionen, sondern die harte Realität der kurzfristig notwendigen Maßnahmen, um langfristig Klimaneutralität zu erreichen?

Hirt: Den Unternehmen wird zunehmend bewusst, in welche zunehmend kritische Lage wir mit Blick auf die Erderwärmung gekommen sind. Führende Unternehmen investieren nicht mehr in Bereiche, die nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind. Beim anderen zentralen Thema Diversität hat die Bewegung Black Lives Matter und das stärkere Nachdenken, zumindest im angelsächsischen Raum, über die Beteiligung ethnischer Minderheiten viel verändert.

Haben Sie das in Ihren Engagement Plan aufgenommen?

Hirt: Wir haben unsere Guidelines angepasst und verlangen, dass Unternehmen im Board, sowie in Vorstand und Aufsichtsrat, die Diversität der Bevölkerung und ihrer Kunden angemessen repräsentieren. Nun ist in jedem Land eine unterschiedliche Anzahl ethnischer Minderheiten zu finden, doch Konzerne müssen auch die Gesellschaftsstruktur in ihren Absatzmärkten im Blick behalten. Genauso geht es um eine gerechte Bezahlung und Förderung des Personals, unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe. CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende haben ja oft das Problem, dass Sie aufgrund ihrer herausgehobenen Position in solchen zentralen gesellschaftspolitischen Fragen wenig Feedback aus den eigenen Reihen bekommen. Deshalb wollen wir als Investoren Denkanstöße geben, zum Beispiel beim sogenannten Gender Pay Gap Re­porting.

Ist es für Investoren ausreichend transparent, welche Fortschritte Unternehmen in ESG-Themen tatsächlich erzielen?

Lange: Mit Blick auf den Klimaschutz ist es relativ leicht, die ergriffenen Maßnahmen nachzuvollziehen. Schwieriger wird es zum Beispiel beim Thema Plastikverschmutzung. Kunststoffprodukte haben eine wichtige Funktion, zum Beispiel wenn es um Gewichtseinsparungen im Transport geht, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Wir erwarten von Unternehmen, dass sie unnötige Einwegverpackungen durch besseres Produktdesign reduzieren, Plastik verwenden, welches recycelt oder kompostiert werden kann. Zudem sollen sie den Recyclinganteil in Produkten erhöhen. Das ist insgesamt sehr komplex. Der erste Schritt für uns ist, dass Unternehmen einen Plastik-Fußabdruck publizieren, der in die verschiedenen Polymergruppen aufgespaltet ist. Damit wird für Investoren erkennbar, welches Exposure ein Konzern hat. Hier gibt es leider noch nicht genügend Transparenz.

Wie sieht es mit der Transparenz bei der Einhaltung von Menschenrechten aus?

Hirt: Hier gibt es inzwischen gute Informationsanbieter, die global Daten erfassen. Menschenrechtsverletzungen sollten in gut organisierten Unternehmen überhaupt nicht vorkommen.

Kommen wir zum Dauerbrenner Vorstandsvergütung, eines der zentralen Themen in der diesjährigen Hauptversammlungssaison. Sie plädieren für ein hohes Fixum, hohen Aktienbesitz und weniger variable Vergütung. Was haben Sie gegen erfolgsabhängige Incentivierung?

Hirt: Wir beobachten intensiv, wie sich der Markt entwickelt. Studien zeigen, dass variable Vergütung oft nicht wirklich variabel ist. Das ist ein kritischer Punkt auch mit Blick auf die Auswirkungen der Pandemie. Darüber hinaus sind die Vergütungsmodelle oft so komplex, dass selbst den Beteiligten unklar ist, was am Jahresende auf ihrem Konto landet. CEOs haben uns bestätigt, dass sie es wie einen Lotterieschein empfinden. Es ist deshalb fragwürdig, ob diese Systeme überhaupt incentivieren.

Da zerbrechen sich doch Aufsichtsräte und Berater tagelang den Kopf?

Hirt: Die Zeit, die für die Ausgestaltung der Vergütungssysteme und den Dialog über sie genutzt wird, könnte zielführender verwendet werden. Es werden lange Gespräche im Aufsichtsrat und mit Investoren geführt, dabei geht es um die Bezahlung von gerade mal fünf bis zehn Personen im Unternehmen. Dafür wird zumindest im Dialog mit Investoren leider oft mehr Aufwand betrieben als zur Frage der Besetzung des Aufsichtsrats.

Der Aktienbesitz soll nach den Leitlinien von Federated Hermes beim CEO 500% der Festvergütung betragen, bei ordentlichen Vorständen 300% – ist das nicht übertrieben hoch?

Hirt: Dieses Thema hat sich in Deutschland unterdessen sehr gut entwickelt. Die Unternehmen haben auf unseren Vorstoß reagiert, den wir gemeinsam mit Aufsichtsräten und Beratern 2018 in Vergütungsleitlinien präsentiert haben. Das Festgehalt beträgt ja in der Regel weniger als ein Drittel der gesamten Vergütung, somit ist es ein überschaubarer Betrag, der in Aktien investiert wird. Wer in den Vorstand aufsteigt, hat überdies in der Regel schon vorher Aktienbesitz aufgebaut.

Das Interview führte

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