Dax-Konzerne wollen ESG-Berichte lesbarer gestalten
Im Gespräch: Moritz Sckaer
Dax-Konzerne wollen ESG-Berichte lesbarer gestalten
Forvis-Mazars-Studie sieht auch ohne deutschen Rechtsrahmen starke Orientierung an europäischen Standards – Fokus auf breiteres Publikum
sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Zwar sind die europäischen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung noch nicht in deutsches Recht gegossen, dennoch orientieren sich die Dax-Konzerne daran, zeigt eine Analyse von Forvis Mazars. Während die Standards sitzen, müssen einige Unternehmen noch daran arbeiten, die Lesbarkeit ihrer Berichte zu verbessern.
Die Berichtssaison 2024 hielt für viele Unternehmen eine überraschende Wendung parat: Das Aus der Regierungskoalition führte dazu, dass die europäische Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) nicht wie erwartet in deutsches Recht überführt wurde. Auf die Umsetzung der CSRD mit einheitlichen europäischen Berichtsstandards, den European Sustainability Reporting Standards (ESRS), hatten sich viele Konzerne zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ausgiebig vorbereitet. Die großen Häuser gehen diesen Weg nun auch ohne nationale Rechtsprechung weiter. Das zeigt die Analyse „CSRD-Umsetzung im Dax 40“ von Forvis Mazars, die der Börsen-Zeitung vorab vorliegt. Für diese wurden die 34 bis Ende März vorgelegten Nachhaltigkeitsberichte der Dax-Konzerne ausgewertet.
Ein zentrales Ergebnis: In der nichtfinanziellen Berichterstattung für 2024 haben sich alle betrachteten Unternehmen an den ESRS orientiert. Gut 80% der Konzerne haben die Standards bereits vollständig angewendet, die anderen zumindest teilweise.
„Die ESRS haben sich gerade bei international tätigen Unternehmen als gemeinsamer Standard etabliert.“
Moritz Sckaer, Forvis Mazars
Die Erleichterungen der Omnibus-Initiative, mit der die EU insbesondere mittelständische Unternehmen von ESG-Regulatorik entlasten will, haben auf die großen Konzerne kaum Auswirkungen, sagt Moritz Sckaer, Partner bei Forvis Mazars und Geschäftsführer der zum Unternehmen gehörenden Nachhaltigkeitsberatung Stakeholder Reporting. „Die ESRS haben sich gerade bei international tätigen Unternehmen als gemeinsamer Standard etabliert.“ In der Aufarbeitung der Angaben sieht Sckaer allerdings große Unterschiede: „Manche Nachhaltigkeitsberichte kommen mit 50 Seiten aus, andere haben mehr als 200 Seiten.“ Generell berichteten deutsche Unternehmen recht ausführlich.
Mit Liebe zum Detail
Zu dem Ergebnis kam kürzlich auch eine Studie der Unternehmensberatung Kirchhoff Consult. Sie hat gezeigt, dass CSRD-Berichte aus Dax-Konzernen im Schnitt 148 Seiten umfassen, die der europäischen Wettbewerber nur 116 Seiten. Den Erklärungsansatz von Kirchhoff Consult, dass hohe Ansprüche der Wirtschaftsprüfer ein Grund für die höheren Umfänge seien, teilt Sckaer. „Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat sehr hohe Ansprüche formuliert.“
Darüber hinaus sei es in Deutschland geübte Praxis, neue gesetzliche Anforderungen sehr detailgetreu umzusetzen. „Die deutschen Unternehmen orientieren sich recht eng an den EU-Vorgaben“, beobachtet er. „In Skandinavien beispielsweise ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung freier.“

Beide Modelle haben dem Berater zufolge ihre Vorzüge. Beim deutschen Ansatz seien die Angaben sehr gut vergleichbar. „Das skandinavische Modell ist dafür verständlicher und oft auch ansprechender aufbereitet“, sagt Sckaer. Daran orientierten sich deutsche Unternehmen mittlerweile stärker. Nachdem sich die Konzerne 2024 an CSRD-konforme Nachhaltigkeitsberichte herangetastet haben, steht nun der Feinschliff an. „In der Beratung sprechen wir mit Mandanten zurzeit oft darüber, wie man die Lesbarkeit von Nachhaltigkeitsberichten verbessern kann“, sagt Sckaer.
ESG-Informationen in freiwilligen Berichten
Auch freiwillige Formate würden zunehmend genutzt, um einzelne Projekte hervorzuheben und für ein breiteres Publikum aufzubereiten. „Damit erreichen die Unternehmen dann Zielgruppen, die zwar Interesse an den ESG-Informationen haben, sich aber nicht durch Dutzende Seiten mit regulatorisch geprägten Darstellungen wühlen möchten.“
In der laufenden Hauptversammlungssaison wählen die Unternehmen auch wieder die Prüfer für ihre Nachhaltigkeitsberichte. Im zurückliegenden Jahr haben rund drei Viertel der betrachteten Dax-Konzerne ihren Bericht mit begrenzter Sicherheit („limited assurance“) prüfen lassen, ergab die Forvis-Mazars-Studie. Weitere sieben wählten darüber hinaus für ausgewählte Kennzahlen die Prüfung mit hinreichender Sicherheit („reasonable assurance“). Dies geschehe häufig, wenn einzelne Kennzahlen etwa in die variable Vergütung von Vorständen einfließen, erklärt Sckaer.
Allianz lässt Nachhaltigkeitsbericht vertieft prüfen
Das einzige Unternehmen, das den kompletten Nachhaltigkeitsbericht mit hinreichender Sicherheit hat prüfen lassen, ist die Allianz. „Es überrascht mich nicht, dass es ein Unternehmen der Versicherungsbranche ist“, sagt Sckaer. „Wenn es um die Versicherbarkeit von Standorten oder Infrastrukturen geht, sind Umweltrisiken bereits heute ein wichtiger Faktor.“
Wann genau die CSRD in deutsches Recht überführt wird, ist nach wie vor offen, dennoch geht Sckaer davon aus, dass die Konzerne in der ESG-Berichterstattung nicht mehr hinter die Bemühungen der Vorjahre zurückfallen werden – auch wenn manche Dax-Unternehmen wie SAP sich dem politischen Druck aus den USA beugen und etwa bei ihren Diversitätsprogrammen umlenken. „Es überrascht mich schon, wie schnell dies passiert“, räumt Sckaer ein. „In der Welt, in der diese Konzerne operieren, verlieren diese Themen nach meiner Wahrnehmung keinesfalls an Bedeutung.“
Mehr Transparenz zu Gender Pay Gap
Die Anwendung der europäischen Berichtsstandards ESRS könne gerade bei sozialen Themen zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit führen, betont Sckaer. So zeigt die Forvis-Mazars-Analyse große Fortschritte bei der Offenlegung des Gender Pay Gap, der geschlechtsspezifische Verdienstunterschiede aufzeigt. In der jüngsten Untersuchung haben 82% der Unternehmen Angaben zum Gender Pay Gap gemacht, im Vorjahr waren es erst 20%.
Angaben zur „CEO-Ratio“
Noch größer ist der Sprung bei der Kennziffer, die die Vergütung der am höchsten bezahlten Person zum Median der jährlichen Vergütung aller Beschäftigten ins Verhältnis setzt. Diese sogenannte „CEO-Ratio“ haben 2023 nur 5% der Dax-Konzerne offengelegt, für 2024 finden sich die Angaben in 80% der untersuchten Berichte. Die höhere Transparenz zeigt Fortschritte auf, kann aber auch als Warnsystem für die Aufsichtsgremien dienen, sagt Sckaer: „Wenn die Zahlen sich verschlechtern, kann der Aufsichtsrat gezielt nachfragen.“