Venture Capital

Deutsche Biotech-Firmen gucken bei Wagniskapitalfinanzierung in die Röhre

Deutsche Biotech-Start-ups erhalten im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Wagniskapital. Dabei gilt die Grundlagenforschung in dem Bereich hierzulande als exzellent. Laut dem Beratungsunternehmen EY und dem Branchenverband Bio Deutschland steht sich der Standort selbst im Weg.

Deutsche Biotech-Firmen gucken bei Wagniskapitalfinanzierung in die Röhre

Deutsche Biotech-Branche im Hintertreffen

EY: Hiesige Industrie hinkt europäischen Ländern bei Wagniskapitalfinanzierung hinterher

Deutsche Biotech-Start-ups erhalten im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Wagniskapital. Dabei gilt die Grundlagenforschung in dem Wissenschaftsbereich hierzulande als exzellent. Laut dem Beratungsunternehmen EY und dem Branchenverband Bio Deutschland steht sich der Standort allerdings selbst im Weg.

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Die deutsche Biotech-Branche hat laut einer Studie in Sachen Wagniskapitalfinanzierung noch reichlich Luft nach oben. Zwar stiegen die Investitionen in hiesige Start-ups im vergangenen Jahr sehr deutlich um 68% auf 898 Mill. Euro, wie das Beratungsunternehmen EY und der deutsche Biotech-Verband Bio Deutschland e.V. in einer Analyse herausgestellt haben. Doch entspreche dies gerade mal 0,02% des deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Zum Vergleich: In Großbritannien sind 2024 mit rund 1,6 Mrd. Euro umgerechnet 0,05% des dortigen BIPs in Biotech-Start-ups geflossen. Dänemark kam im gleichen Zeitraum auf 0,07% und die Schweiz sogar auf 0,08%. Deutschland hinke damit im internationalen Vergleich ziemlich hinterher und habe „erheblichen Nachholbedarf“, sagte EY-Partner und Life Science-Experte Klaus Ort bei der Vorstellung der Studie.

Deutlicher Einbruch im ersten Quartal

Der Abstand könnte womöglich noch größer werden, nachdem das Finanzierungsvolumen im ersten Quartal hierzulande gegenüber dem Vorjahresquartal um mehr als 80% auf 41 Mill. Euro geschrumpft ist. Die Studienautoren führen den Einbruch auf Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Regierungswahl in Deutschland sowie auf die „Dynamik der Marktbedingungen in den USA“ und auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen zurück.

Dass es unabhängig davon in anderen Teilen Europas bislang so viel besser läuft, habe verschiedene Ursachen. Ein Grund für die hohen Mittelzuflüsse in Großbritannien sei beispielsweise die umfangreiche Beteiligung durch institutionelle Investoren wie Pensions- und Versicherungsfonds – „das ist in Deutschland derzeit noch nicht der Fall“, sagte Ort. Weitere Faktoren zur Förderung von Wagniskapitalinvestitionen in britische Biotech-Start-ups seien staatliche Anreize wie Steuererleichterungen und Förderinitiativen und ein deutlich attraktiveres regulatorisches Umfeld – insbesondere im Bereich klinische Studien.

Auch in der Schweiz habe es zuletzt regulatorische Änderungen gegeben, „die es kapitalstarken Pensionsfonds erleichtern, in Venture-Capital-Fonds zu investieren und somit die Entwicklung des Sektors weiter unterstützen“, sagte Ort. „Das sollte uns auch ein Beispiel sein.“ Dänemark zeichne sich zudem durch ein „robustes Ökosystem“ aus, „das Innovationen fördert, und durch eine sehr aktive Venture-Capital-Szene, die wir uns in Deutschland gerne wünschen würden“.

Flaute trotz Forschungsstärke

Die Finanzierung sei denn auch nicht der einzige Aspekt, mit dem sich die deutsche Biotech-Branche im internationalen Vergleich schwer tut. Auch geschäftlich geriet die hiesige Industrie zuletzt ins Hintertreffen: Bei den börsennotierten deutschen Biotech-Unternehmen sank der Umsatz im vergangenen Jahr demnach um 10% auf 6,3 Mrd. Euro. US-amerikanische und europäische börsennotierte Biotech-Unternehmen verzeichneten dagegen ein Umsatzwachstum von 7%.

Nicht zuletzt hinke Deutschland auch bei der Anzahl neu zugelassener Medikamente im Verhältnis zur Wirtschaftskraft anderen Ländern wie den USA, China, der Schweiz und England hinterher, sagte Pablo Kimmig, Life Science Experte und Partner bei EY Parthenon. Konkret seien in den USA in den vergangenen fünf Jahren mehr als 150 neue Medikamente zugelassen worden. China sei im gleichen Zeitraum auf 30 Zulassungen gekommen – Deutschland dagegen auf weniger als zehn.

Dabei sei die Grundlagenforschung in den deutschen Biowissenschaften „wirklich exzellent“, sagte Kimmig. Es stelle sich daher „natürlich die Frage, warum es Deutschland nicht gelingt, diesen Vorsprung aus der Wissenschaft in wirtschaftliche Erfolge zu überführen“.

Der vergleichsweise schwierige Zugang zu Kapital sei dabei nur ein Teil der Antwort. Daneben gebe es auch regulatorische Hürden, wie beispielsweise langsame und komplexe Genehmigungsprozesse für klinische Studien. „Diese müssen sowohl vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auch häufig von mehreren Ethikkommissionen genehmigt werden“, sagte Kimmig. Es dauere somit im Durchschnitt oft ein bis zwei Jahre, bis Studien genehmigt werden. „In England und in Amerika gibt es dagegen Fast Track Verfahren, wo das innerhalb von sechs Monaten stattfinden kann.“ Das führe nicht nur dazu, dass die Anzahl klinischer Studien in Deutschland zuletzt zurückgegangen ist, sondern auch dazu, dass Investoren ab einem bestimmten Zeitpunkt kein Interesse mehr an einem Einstieg hätten.

Aus Sicht von EY-Partner Ort sind die Aussichten für die hiesige Branche trotz der vielen Herausforderungen derzeit noch positiv. Hoffnungen machen ihm etwa die vollen Pipelines an Wirkstoffen, die sich derzeit in der klinischen Phase 2- und 3-Studien befinden sowie eine erhöhte Gründungsaktivität und gestiegene Frühphasenfinanzierungen.

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