„Zölle haben für uns in Teilen auch etwas Positives“
Im Interview: Melanie Kreis
„Zölle haben für uns in Teilen auch etwas Positives“
Die Finanzchefin von DHL über eingetretene und potenzielle Wirkungen des Zollstreits, die Zukunft der Briefsparte und die Umbenennung der Aktie
Frau Kreis, CEO Tobias Meyer hat mehrfach gesagt, dass die DHL Group (ehemals: Deutsche Post) relativ wenig internationales Geschäft hat, in dem die USA entweder Importeur oder Exporteur sind, und dass die von US-Präsident Donald Trump angekündigten hohen Importzölle – so sie denn tatsächlich irgendwann vollumfänglich kommen – dem Konzerngeschäft nicht unbedingt abträglich sein müssen. Könnten Sie das erläutern?
Mehr Handelsbarrieren bedeuten mehr Komplexität. Das führt dazu, dass Kunden auch eine stärkere Unterstützung von ihrem Logistikpartner brauchen. Wir fühlen uns da global sehr gut aufgestellt. Wenn jetzt ein Kunde seine Lieferketten anpassen möchte und von Land A in Land B umschichtet, können wir ihn dabei unterstützen. So haben die Zölle für uns in Teilen auch etwas Positives. Darüber hinaus ist auch heute noch in vielen Bereichen, in denen wir aktiv sind, der Markt sehr fragmentiert. Und: Wir leben in Zeiten, in denen sich Kunden tendenziell eher an eine große, zuverlässige Marke wie DHL wenden, um Unterstützung zu bekommen.
Welche Geschäftsbereiche von DHL sind besonders stark vom Zoll- und Handelsstreit bzw. dem weltweit gedämpften grenzüberschreitenden Handel betroffen und warum?
Eher konjunktursensibel sind die DHL-Divisionen Express (zeitgenaue internationale Sendungen; die Red.) und Global Forwarding, Freight (Warentransport über Schiene, Straße, den Luft- und Seeweg; die Red.). In diesen beiden Geschäftsbereichen würde sich ein globaler Konjunkturabschwung am deutlichsten auswirken.
Gibt es schon Tendenzen – z.B. Warenströme –, deren Ursprung antizipierte Zollerhöhungen sind? Wie wirken sich diese Veränderungen auf DHL aus?
Wir beobachten momentan alle möglichen Reaktionen bei unseren Kunden. Es gibt Kunden, die sehr zurückhaltend sind und versuchen, alle Entscheidungen so lange wie möglich hinauszuzögern. Auf der anderen Seite nehmen einige Kunden schon jetzt aktiv Umschichtungen vor. Wenn z.B. bislang in China für die USA produziert wurde, der Kunde aber vielleicht noch in einem anderen Land Fabriken hat, für deren Waren die US-Importzölle niedriger sind, wird umgeschichtet. Dann wird in dem anderen Land für die USA produziert, und das in China Hergestellte wird umgeleitet. Insgesamt ist das Handelsvolumen, das aus China in die USA geht, bereits deutlich gesunken – vor allem bei E-Commerce-Sendungen mit geringem Wert, aber auch im Geschäftskundengeschäft.
Wenn DHL Kapazitäten auf einem Schiff chartert, das wochenlang von China in die USA unterwegs ist, kann die Zollsituation bei Ankunft im Zielhafen eine ganz andere sein als bei der Abfahrt. Wer trägt das Risiko?
Entscheidend ist grundsätzlich der Zolltarif, der im Moment des Entladens in den USA gilt. Es sei denn, man macht vorher eine Pre-Clearance (Voranmeldung mit Freigabe) oder meldet sich nach der Ankunft in Zielhafen erst in einem Bonded Warehouse (Zolllager) oder einer Free Trade Zone (Freihandelszone) an; dann gilt entsprechend ein späterer Zoll. Das heißt, es gibt tatsächlich diese Unsicherheit während der Schiffspassage, was der „Tariff of the Day“ ist, wenn das Schiff ankommt. Was für uns in dem Fall hilfreich ist: Uns gehören keine Schiffe – und daran wird sich auch nichts ändern –, sondern wir sind nur Makler der Kapazität. Je nachdem, welche Konstruktion gewählt wird, sind auch nicht wir diejenigen, die für die Verzollung verantwortlich sind. Manchmal beauftragt uns der Kunde damit, aber zunächst liegt die Verantwortung nicht bei uns.
Spiegeln sich in den Preisen für Schiffskapazitäten auch Spekulationen, ob Zollerhöhungen kommen oder nicht?
Gegenwärtig spielt Psychologie in der Preisbildung eine große Rolle. Die Reeder haben dem Markt gesagt: Es wird ganz eng, nutzt das Zeitfenster bis zum 9. Juli aus! Deswegen sind ja auch die Raten nach oben gegangen. Die Kunden haben auch hier wieder sehr unterschiedlich reagiert: Einige haben abgewartet in der Hoffnung, dass es in den nächsten Wochen wieder günstiger wird. Andere nutzten die Angebote auf dem erhöhten Preisniveau. Der ganze Markt für Schiffskapazitäten ist zurzeit unglaublich dynamisch. Unterm Strich bin ich gerade sehr froh, dass wir eben nur der Makler sind und nicht der, dem die Schiffe gehören.
... im Gegensatz zur ihrer beachtlichen Flugzeugflotte.
Stimmt. In unserer Division DHL Express fliegen rund 300 Flugzeuge speziell für uns. Das liegt in der Natur unseres Geschäftssegmentes Express, denn hier geht es um Geschwindigkeit. Dafür brauchen wir eine eigene Flotte und eigene Flugzeuge, die wir kontrollieren können und die nach unserem Flugplan operieren. Das ist in der Seefracht, wo es ja weniger um Geschwindigkeit geht, komplett anders. Deswegen hat sich nie die Notwendigkeit ergeben, Schiffe zu besitzen.

Foto: DHL Group
Zur Person:
Der berufliche Lebensweg von Melanie Kreis (Jahrgang 1971), die seit 2004 für die DHL Group (ehemals Deutsche Post) tätig ist – davon seit 2014 als Vorstandsmitglied und seit 2016 als CFO –, war zunächst nicht absehbar. Nach ihrem Physik-Studium, das sie an der State University of New York at Stony Brook mit einem Master (1994) und an der Universität Bonn mit einem Diplom (1997) abschloss, erwarb Kreis einen MBA an der Wirtschaftshochschule Insead in Frankreich. Eher zufällig stieß Kreis dann zur Unternehmensberatung McKinsey (1997 bis 2000), wo schon viele Topmanager beruflich Station machten, bevor sie später zu DHL kamen, etwa der ehemalige CEO Frank Appel und der derzeitige Konzernchef Tobias Meyer. Dann ging Kreis für vier Jahre zu Apax Partners, bevor sie sich ihre Sporen in Bonn zu verdienen begann.
Kreis genießt in der Financial Community einen hervorragenden Ruf. Als 2023 ein Nachfolger für Appel als Vorstandschef gesucht wurde, gehörte sie zum Favoritenkreis; sie soll jedoch abgewunken haben. 2024 wurde Kreis von der Zeitschrift „Forbes“ in deren Liste der 50 weltweit einflussreichsten Frauen, die älter als 50 Jahre sind („50 over 50“), aufgenommen.
Ein Schwenk zur Wirtschaftspolitik im Inland. Zu Beginn der schwarz-roten Regierungskoalition sorgte die Ankündigung, dass mittels eines Sondervermögens von 500 Mrd. Euro Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden sollen, für Aufsehen. Wie stehen Sie dazu und welche Auswirkungen könnte das auf DHL haben?
Kurz nach unserer Bilanzpressekonferenz am 6. März bin ich mit unseren Jahreszahlen im Gepäck in die USA geflogen. Es war eine ganz neue Erfahrung, dass man dort Deutschland als toll und spannend wahrnahm, als Wow-Land, in dem plötzlich etwas geht. Man hatte das Gefühl, man ist „Darling of the Week“. Ich persönlich meine, es ist offensichtlich, dass wir Nachholbedarf bei Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung haben. Gerade im Bereich Infrastruktur ist das für die Gruppe sehr wichtig, damit wir reibungslos und mit guter Qualität unsere Dienstleistungen erbringen können.
Klingt, als ob jetzt ein „aber“ käme...
Ein halbes „aber“. Ich glaube, wir haben den großen Vorteil, dass der deutsche Staat im langfristigen Rückblick sparsam gewirtschaftet hat. Dabei hat man aber auch in verschiedenen Bereichen von der Substanz gelebt und zu wenig investiert. Deswegen sind Investitionen grundsätzlich eine gute Idee, und wir haben Bereiche mit klarem Nachholbedarf. Aber das muss diszipliniert passieren. Das Sondervermögen darf nicht zu anderen Zwecken als für Infrastruktur und Digitalisierung missbraucht werden. Das ist die große Sorge, die ich habe und die viele andere teilen. Wird das Geld wirklich zum Wohle der nächsten Generationen verwendet? Wenn das Sondervermögen heute einfach für den kurzfristigen Konsum verwendet würde und verpuffte, wäre es sehr kritisch zu sehen.
Es gibt Investoren, etwa die Fondsgesellschaften DWS und Deka, die DHL wiederholt aufforderten, eine Abspaltung des Post- und Paketgeschäfts in Deutschland zu prüfen. Das DHL-Management hat das bislang stets abgelehnt. Doch 2024 wurde eine eigenständige Gesellschaft für Post & Paket Deutschland auf den Weg gebracht. Einige Beobachter vermuten, dies sei die Vorstufe einer Abspaltung.
Unser Vorstandsteam hat immer wieder klar gesagt, dass der Bereich P&P Deutschland ein wichtiges Familienmitglied ist und bleiben wird. Es ist klar, dass diese Division – anders als die vier DHL-Divisionen – derzeit einen schwierigen Transformationsprozess durchläuft, von Brief zu Paket. Wenn man unser deutsches Post- und Paketgeschäft mit anderen Postgesellschaften vergleicht, sind wir sehr gut unterwegs. Diese Division hat im vorigen Jahr 820 Mill. Euro operatives Ergebnis gemacht. Dieses Jahr peilen wir 1 Mrd. Euro an. Das ist auch notwendig, damit die Division ihren jährlichen Investitionsbedarf, u.a. in die Transformation, aus eigener Kraft stemmen kann, was für uns aus Konzernsicht wichtig ist.
Anfang März hat DHL einen Stellenabbau im einstigen Kerngeschäft angekündigt. Hier sollen dieses Jahr 8.000 Stellen – entsprechend 4% der im Bereich P&P Deutschland Beschäftigten – gestrichen werden. Per Ende 2024 beschäftigte DHL in dieser Division etwa 187.000 Personen; davon sind rund 170.000 tarifgebundene Mitarbeiter, die Kündigungsschutz genießen. Wie soll der Jobabbau stattfinden?
Der Abbau soll sozialverträglich erfolgen: Indem freiwerdende Stellen nicht neu besetzt werden, etwa wenn Beschäftigte in Rente gehen oder den Konzern aus anderen Gründen verlassen.
Wie sind ihre längerfristigen Vorstellungen für das Geschäft von P&P Deutschland angesichts des seit vielen Jahren sinkenden Briefaufkommens?
Wenn wir Richtung Ende der Dekade blicken, dann werden wir in dieser Division auch wieder anfangen zu wachsen, weil das Briefaufkommen dann einen Boden erreicht haben und das Paketwachstum dominieren wird. Dann haben wir den marktführenden Qualitätspaketdienstleister in der größten europäischen Volkswirtschaft im Portfolio.
Die DHL-Familienmitglieder haben alle schon ihr eigenes Apartment im gemeinsamen Haus, nur P&P Deutschland wohnt momentan noch im Wohnzimmer.
Im September vorigen Jahres hat DHL u.a. die Anpassung der Legal- an die Managementstruktur angekündigt. Welchem Zweck dient das?
Es geht um die Vereinheitlichung und Vereinfachung der legalen Konzernstrukturen, die wir in Einklang mit unseren operativen Managementstrukturen bringen wollen. Nach Abschluss dieses Vorhabens wird beispielsweise P&P Deutschland im selben „Zustand“ sein wie die DHL-Geschwister. Das Bild, das ich immer verwende, ist das eines Familienhauses mit verschiedenen Apartments. Die DHL-Familienmitglieder haben alle schon ihr eigenes Apartment im gemeinsamen Haus, nur P&P Deutschland wohnt momentan noch im Wohnzimmer. Jetzt schauen wir, dass der Bereich – wie die anderen vier Divisionen – ein eigenes Apartment bekommt. Über dem Ganzen haben wir dann eine Holding als Dachgesellschaft. Das ist eine modernere Konzernstruktur, die z.B. die IT-Erneuerung in einzelnen Bereichen einfacher macht. So eine Konstruktion bringt unterm Strich mehr Flexibilität.
Um operativ 1 Mrd. Euro pro Jahr zu verdienen, die für Investitionen im Bereich P&P Deutschland nötig sind, werden von Zeit zu Zeit Erhöhungen von Portopreisen, Paketpreisen usw. notwendig sein. Diese Erhöhungen müssen von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Fühlen Sie sich in dieser Hinsicht gegängelt?
Das Post- und Paketgeschäft in Deutschland ist reguliert, weil wir eine marktbeherrschende Stellung haben. Das ist eine Situation, mit der wir schon immer leben und umgehen mussten. Nun hatten wir in den vergangenen Jahren eine außergewöhnliche Entwicklung: Wir hatten eine Preisregulierung für die Jahre 2022 bis 2024, die u.a. noch auf Basis von niedriger Inflation kalkuliert worden war. Dann hatten wir aber Jahre mit sehr hoher Inflation und einem beschleunigten Briefmengenrückgang, in denen wir auf der Preisseite nicht entsprechend nachziehen konnten. Deswegen hatten wir für die Jahre 2025 und 2026 mit einem höheren Preissteigerungsspielraum gerechnet und nach den Diskussionen um das Postgesetz gesehen, dass das auch gerechtfertigt gewesen wäre. Die Entscheidung des Regulierers über unseren Preisantrag fiel unserer Ansicht nach viel zu niedrig aus.
Warum?
Die Bundesnetzagentur hat andere Annahmen verwendet. Das ist das Recht und die Rolle der Bundesnetzagentur. Letztlich hat der Regulierer seine Sicht auf die Dinge, wir haben unsere. Unsere Positionen stimmen natürlich nicht immer zu 100% überein. Was die Öffentlichkeit kaum mitbekommt: Es gibt immer wieder Preisanträge bei kleineren Produkten, die einfach so durchgehen.
„Für die Erwirtschaftung der Dividenden und Aktienrückkäufe sind die DHL-Divisionen zuständig.“ Ihre Worte aus der jüngsten Bilanzpressekonferenz. Kommt da konzernintern nicht etwas Missgunst auf, nach dem Motto: Wir, die DHL-Divisionen, sorgen für den Konzerngewinn, also die nötigen Mittel für Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe, während P&P Deutschland kaum das Geld reinholt, das sie selbst brauchen und dafür schon einen grünen Haken bekommt?
Auch die DHL-Kollegen wissen, dass P&P Deutschland durch einen herausfordernden Transformationsprozess gehen muss und deswegen in einer anderen Situation ist als die DHL-Divisionen. Sie wissen, dass die Kollegen bei P&P Deutschland hart arbeiten und ihren Beitrag leisten. Da überwiegt ganz klar das Verständnis. Wir sehen zudem alle die Zukunftsperspektive für P&P Deutschland, und deswegen ist es absolut in Ordnung, wenn derzeit die Beiträge zur Dividende unterschiedlich verteilt sind.
Durch ein Sparprogramm sollen die Kosten um mehr als 1 Mrd. Euro gesenkt werden. Die Maßnahmen treffen alle Unternehmensbereiche und sollen ihre volle Wirkung 2027 entfalten. Würden Sie einige Beispiele nennen, wo und wie gespart wird?
Zunächst: Unsere Konzernstrategie 2030 trägt den Titel „Accelerate sustainable growth“ – wir wollen also schneller und nachhaltig wachsen. Wir haben den Namen „Fit for Growth“ für den Effizienzaspekt unsere Strategie bis 2030 bewusst gewählt, denn gute „Fitness“ ist wichtig, damit wir unsere Wachstumsstrategie erfolgreich umsetzen können. Wenn man einen Marathon angehen möchte und ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat, muss man sich ja auch rechtzeitig in Form bringen. Das ist der Gedanke hinter „Fit for Growth“. So optimieren wir unser Flugnetzwerk bei DHL Express. Da spielt eine Rolle, dass wir viel mit Partner-Airlines zusammenarbeiten. Zudem erneuern wir kontinuierlich unsere Flugzeugflotte. Wenn man ein teures altes Flugzeug ausmustert und durch ein modernes ersetzt, führt das zu Effizienzgewinnen.
Was unternehmen Sie darüber hinaus?...
Wir optimieren unseren Betrieb in den Zustelldepots und unseren Hubs (Netzknotenpunkte; die Red.); da geht es zum Beispiel um Automatisierung, zum anderen um die Anpassung der Routenplanung. Darüber hinaus realisieren wir Einsparmöglichkeiten in den indirekten Funktionen, wo wir von Digitalisierung und Prozessstandardisierung profitieren.
Um Wachstumspotenziale zu entfalten, setzt DHL seit September 2024 verstärkt auf fünf Initiativen: Life Sciences & Healthcare, Neue Energien, den Fokus auf 20 Länder mit besonders großen Wachstumschancen, E-Commerce und Digital Sales. Hier will man mit besonderen Logistikdienstleistungen punkten. Worin unterscheiden sich die Dienste von DHL etwa bei Life Sciences & Healthcare von denen der Wettbewerber?
Gerade in diesem Bereich ist es unabdingbar, ein tiefgreifendes Know-how mitzubringen, denn Kunden sind bei Pharma bzw. Healthcare aus nachvollziehbaren Gründen sehr risikoavers – sie sind hier nicht bereit, einen Vertrauensvorschuss zu geben, nach dem Motto: Schauen wir mal, ob das klappt. Da ist es ein großer Vorteil, wenn man einen etablierten Markennamen hat und als zuverlässiger Partner gilt, der viel Erfahrung hat.
Haben Sie Beispiele dafür, was DHL von Wettbewerbern abhebt?
Was uns wirklich auszeichnet, ist, dass wir eine End-to-end-Lieferkette anbieten können. In unserer Division Supply Chain haben wir Lagerlösungen für alle Temperaturbereiche, in Global Forwarding haben wir eine Luftfrachtlösung für größere und schwerere Sendungen, und Express bietet schnelle Zustellung für kleine, mittlere und große Sendungen inklusive Zustellung auf der letzten Meile an. Das ist ein Angebot, das in dieser Form kein Wettbewerber hat. Eine weitere Chance für uns bieten aktuelle Entwicklungen in der modernen Medizin. So werden Krebstherapien zunehmend auf den individuellen Patienten angepasst. Arzneien werden dadurch seltener als Standardlieferung an ein Krankenhaus gehen, sondern immer häufiger an Arztpraxen oder direkt zum Patienten nach Hause geliefert. Das ist ein inhärent attraktiver Wachstumsmarkt, für den wir dank der Breite unserer Dienstleistungen einzigartig aufgestellt sind.
Die Nettofinanzverschuldung lag per Ende März mit 18,8 Mrd. Euro optisch recht hoch. Welche Gründe gibt es dafür?
Das Gros der Nettofinanzverschuldung machen Leasing-Verbindlichkeiten aus, vor allem für unsere Flugzeuge und für Immobilien, die wir nach IFRS 16 bilanzieren müssen. Das waren zum 31. März 14,7 Mrd. Euro. Unsere Anleihen kamen dagegen auf einen Wert von 8,7 Mrd. Euro. Nun kann man stundenlang darüber philosophieren, ob IFRS 16 eine gute Idee war und die Dinge wirklich transparenter gemacht hat. Für uns ist Leasing ein wichtiger Teil unseres Geschäftsmodells. So bringt Leasing im Flugzeugbereich auch Flexibilität, um gegebenenfalls die Flottengröße anzupassen – das ist unsere Antwort auf Änderungen des Kapazitätsbedarfs. Und wenn ein Kunde im Lagerlogistikbereich mit uns für fünf Jahre einen Outsourcing-Vertrag abschließt, mieten wir in der Regel auch für fünf Jahre ein Lagerhaus, damit wir – falls das Geschäft nach fünf Jahren ausläuft – nicht ein Gebäude im Eigentum haben, das wir gegebenenfalls nicht nutzen können. Deswegen sieht unsere Nettofinanzverschuldung der absoluten Zahl nach erhöht aus. Sie ist aber bei uns vom Geschäft gedeckt, und daher habe ich deswegen auch keine schlaflosen Nächte.
Wie äußern sich die Ratingagenturen zu DHL? Gibt es eine Vorgabe, welche Bewertung mindestens erreicht werden muss?
Unser Rating ist uns sehr wichtig; es ist eine Zielgröße in unserer Finanzstrategie. Von Moody´s werden wir zurzeit mit „A2“ bewertet und von Fitch mit „A–". Damit liegen wir bei Moody´s am oberen Ende unserer selbst gesteckten Bandbreite und bei Fitch sogar einen Notch besser.
DHL war in den vergangenen Monaten recht rege, was Akquisitionen angeht, auch wenn keine Megaübernahmen darunter waren. Welche Wirkung hat das auf die Cash-Kennzahlen?
Sie haben recht: Wir haben in jüngster Zeit wohl mehr Transaktionen bekannt gegeben als in den vergangenen Jahren zusammengenommen. Für die eigentliche operative Cash-Generierung vor M&A bringt das natürlich keine Veränderung. Die Conversion von Nettogewinn in Cash liegt vor M&A-Transaktionen bei uns mit rund 90% auf einem ziemlich guten Niveau, das wir auch halten wollen. Das ist die Basis, die es uns erlaubt, uns dieses anorganische Wachstum leisten zu können.
Der Deutsche Versand Service (DVS) wirft der Deutschen Post Dumping vor. Es geht um einen mutmaßlichen Schaden von 978 Mill. Euro zuzüglich Zinsen. Treibende Kraft hinter der Schadenersatzforderung ist der aktivistische Investor 7Square Partners. Wie stehen Sie bzw. der Vorstand dazu? Haben Sie Prozessrückstellungen für den Fall eines Schuldspruchs gebildet?
Zu dem Thema gibt es nichts Neues. Das ist ein schon länger andauernder Rechtsstreit, dem wir uns stellen. Wir haben hier eine fundamental andere Rechtsauffassung und werden diese entschieden vor Gericht vertreten. Ansonsten sagen wir zu laufenden Verfahren nichts, also auch nicht zu etwaigen Rückstellungen.

Am 1. Juli 2023 hat sich der Konzern von Deutsche Post in DHL umbenannt. An der Börse werden aber nach wie vor Aktien der Deutschen Post gehandelt und nicht DHL-Aktien. Warum?
Wir haben seit zwei Jahren einen neuen Namen, mit dem wir nach außen auftreten: DHL Group. Wir haben auch das Börsenkürzel schon auf DHL geändert, und mittelfristig ist es unser Ziel, auch als börsennotierte Gesellschaft unter DHL zu firmieren. Der richtige Zeitpunkt dafür wird kommen, wenn wir die erwähnten Anpassungen unserer Legalstruktur vollzogen haben. In unserem Zielbild gibt es die DHL Holding als Muttergesellschaft und eine neue Deutsche Post AG als Tochtergesellschaft für unser P&P Deutschland-Geschäft. Wir bereiten das alles im Verlauf dieses Jahres mit dem Ziel der Zustimmung auf der Hauptversammlung im nächsten Frühjahr vor.
Die Konzernbewertung an der Börse ist nicht auf dem Niveau, wo sie unserer Meinung nach sein sollte.
Die Aktien von Deutsche Post bzw. DHL liegen zu 78,7% in Streubesitz. 17% hält die KfW Bankengruppe und 4,3% besitzt das Unternehmen selbst. Was hat DHL mit den eigenen Aktien vor?
Die zurückgekauften Aktien werden entweder eingezogen, zur Bedienung langfristiger Vorstandsvergütungen und möglicher zukünftiger Belegschaftsaktienangebote. Ich möchte aber daran erinnern, dass wir unser 2022 initiiertes Rückkaufprogramm im Volumen von bis zu 4 Mrd. Euro um 2 Mrd. aufgestockt haben. Es sollte ursprünglich dieses Jahr auslaufen; wir haben es aber bis Ende 2026 verlängert und beschleunigt – womit wir klar signalisiert haben, dass die Konzernbewertung an der Börse nicht auf dem Niveau ist, wo sie unserer Meinung nach sein sollte.
Organisches Wachstum, Akquisitionen, Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe – wo liegen ihre Prioritäten?
Das ist in unserer Finanzstrategie klar geregelt. Die Basis in Richtung der Aktionäre ist die reguläre Dividende. Da müsste schon sehr viel passieren, bevor wir über eine Kürzung der Dividende nachdächten. Auf der Geschäftsseite haben Investitionen in organisches Wachstum Vorrang. Je nachdem, wie gut unsere Cash-Generierung und wie stark unsere Bilanz sind, überlegen wir dann, was wir für anorganisches Wachstum und für Aktienrückkäufe ausgeben können. Wenn wir in einer Gemengelage wären, wo wir finanziell weniger gesund aufgestellt wären, stünde ein Aktienrückkauf als erstes zur Disposition. Das ist etwas, wofür man schon eine gewisse Basisgesundheit haben sollte.
DHL hat sich klare Ziele in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt und sich bislang ausdrücklich zu diesen Zielen bekannt, die noch vor den Regierungswechseln in Washington und Berlin ausgerufen wurden. Kann man sicher sein, dass der DHL-Vorstand angesichts der veränderten politischen Großwetterlage die Nachhaltigkeitsziele nicht doch revidiert?
Ich bin überzeugt: Die Folgen des Klimawandels sind real und sie werden zunehmend deutlicher. Als Logistikunternehmen haben wir signifikante CO₂-Emissionen. Ich glaube, dass wir uns einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können, wenn wir unseren Kunden emissionsarme Alternativen in den einzelnen Produkten anbieten können. Deswegen sind wir auch bereit, in Vorleistung zu gehen. In den vergangenen Jahren haben wir jeweils dreistellige Millionenbeträge in die Dekarbonisierung investiert. Aber es ist völlig klar, dass es uns gelingen muss, Kunden dafür zu begeistern, sich an den Kosten zu beteiligen und für die emissionsarmen Produkte mehr zu bezahlen. Davon hängt es ab, wie viel wir auch mittel- und langfristig in solche Produkte investieren können. Wenn wir auch nach zehn Jahren noch sehen, dass es keine Zahlungsbereitschaft gibt, dann muss ich mich der Frage stellen: Schaffe ich mit den Produkten wirklich einen Wettbewerbsvorteil? Schließlich investieren wir das Geld unserer Aktionäre.
Können Sie ein Beispiel für ein grünes Produkt von DHL nennen?
Nehmen Sie Express. Hier ist das Hauptthema die Fliegerei. Da kann man sehr transparent zeigen, wie viel nachhaltigen Flugtreibstoff wir kaufen und um wie viel teurer der als herkömmliches Kerosin ist. Wir können unseren Kunden klar anbieten: Wenn du dieses Produkt kaufst, dann werden deine CO₂-Emissionen für eine Sendung von Hongkong nach Frankfurt um X-Prozent gesenkt.
Ein Thema, das aktueller denn je ist: Cybersicherheit. Was unternimmt DHL, um Kunden vor Angriffen zu schützen?
Wie versuchen natürlich, bei unseren Kunden ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir bestimmte Dinge niemals tun würden, etwa per SMS nach Bank- oder persönlichen Daten zu fragen. Wir selbst prüfen zum Beispiel: Wo werden Domains auf DHL weltweit angemeldet? Gibt es in Social Media plötzlich DHL-Accounts, die nicht von uns kommen? Das versuchen wir, im Blick zu behalten und gehen dann auch dagegen vor. Aber entscheidend ist und bleibt die Wachsamkeit auf individueller Ebene.
Wie schützt sich DHL selbst gegen Cyberangriffe?
Was unseren eigenen Cyber-Defense-Bereich anbelangt: Das ist ein Top-Prioritätsthema, mit dem wir uns intensiv beschäftigen. Ein Indikator dafür, wie wichtig uns das ist, ist, dass dieses Thema in die Vorstandsvergütung einfließt. Für mich sind Cyberattacken eine der größten Risiken für große Unternehmen weltweit. In unserer Branche gibt es Wettbewerber, die davon betroffen waren.
Das Interview führte Martin Dunzendorfer. In voller Länge lesen Sie das Interview auf www.boersen-zeitung.de.
Sollten die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Importzoll-Erhöhungen in vollem Umfang kommen, muss das für DHL nicht zwingend von Nachteil sein. Wie Finanzchefin Melanie Kreis im Interview ausführt, profitiert der Logistikkonzern auf mehrere Arten von der komplexen und hochdynamischen Gemengelage im internationalen Handel. Zudem lehnt sie die Abspaltung des Post- und Paketgeschäftes in Deutschland unmissverständlich ab und stellt die Umbenennung der Deutsche-Post-Aktie in DHL-Aktie in Aussicht.