Jubiläum

„Revolutionäre Ideen und stürmisches Wachstum“

50 Jahre nach ihrer Gründung gilt für die einzige deutsche Tech-Ikone SAP dasselbe wie für die gerade im Entstehen begriffene Unicorn-Generation in Deutschland: Bei Software, Internet und Cloud sind die USA ein Gravitationsfeld für Kapital und Innovation, auf das sich auch die Walldorfer Softwareschmiede ausrichten muss.

„Revolutionäre Ideen und stürmisches Wachstum“

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Die Frage, warum es in Deutschland 50 Jahre nach der Gründung von SAP keinen zweiten Software- und Technologiekonzern von Weltrang gibt, ist zum Jubiläum des Walldorfer Unternehmens aktuell wie nie zuvor. Vorstandschef Christian Klein, der 1999 als Student zu SAP stieß, ein Jahr nachdem das einstige deutsche Start-up seinen Aufstieg zum Weltmarktführer für Unternehmenssoftware mit dem Börsengang an der Wall Street gekrönt hatte, würden dazu schnell einige Gründe einfallen, die ihn selbst heute um­treiben. Trotz hoher Innovationskraft und herausragender Ingenieurskunst, ge­lingt hierzulande die Kommerzialisierung und vor allem die Skalierung von Ideen und Technik nach wie vor oft nur schwerlich.

Bestes Beispiel ist der mit der Digitalisierung untrennbar verbundene Aufbruch der Wirtschaft in die Cloud, den SAP bei sich selbst und den Kunden vorantreiben muss. Das europäische Prestigeprojekt Gaia-X, das den US-Hyperscalern AWS, Microsoft Azure und Google Cloud Paroli bieten sollte, geriet in die Mühlen endloser Konzeptdiskussion und Regulierung. Nun will auch der Bund das Projekt finanziell nicht länger unterstützen. Klein, der die Mitwirkung von SAP von Beginn an zugesagt hatte, kann seine Enttäuschung kaum verbergen. Eines hat das Scheiterns vieler digitaler Projekte in Deutschland oder Europa gemeinsam: Verzettelung, häufig ausgelöst durch föderale Strukturen. Auch Kleingläubigkeit spielt eine Rolle.

Keine rechte Wertvorstellung

Die SAP-Gründer können ein Lied davon singen, war doch das IPO in Frankfurt 1988 eine nicht ganz einfache Ge­burt. Ein Unternehmen, das nichts herstellte, was anfassbar war, bot keine rechte Wertvorstellung; Banken und Publikum ließen sich nur mühsam überzeugen. SAP startet an der Börse mit einer anfänglichen Marktkapitalisierung von 900 Mill. D-Mark, also umgerechnet rund 460 Mill. Euro. Nur kurze Zeit später reiben sich die Anleger Quartal für Quartal die Augen: die Ära R/3 mit dem Um­stieg auf die Client-Server-Achitektur zündet einen ungeahnten Wachstumsturbo und markiert den Be­ginn für einen weltweiten Siegeszug von SAP, der bis Ende der 90er Jahre ungebremst an­hielt.

Damals wie heute entschieden indes Kunden und Investoren im Technologie-Mekka USA über Wohl und Wehe von SAP. Der noch immer größte und innovativste Software-Markt der Welt wurde Triebfeder für Produktinnovation, Umsatzentwicklung – und Managerschicksale. Klein, dessen Tandem mit der Amerikanerin Jennifer Morgan nur kurz währte, sieht sich in der Nachfolge des Vollblut-Salesman Bill McDermott einmal mehr vor der Aufgabe, US-Investoren zu überzeugen, dass der Weg von SAP in die Cloud der richtige ist. Denn dieser Weg ist wahrscheinlich we­niger als der unter Kleins Vorgänger mit großen Akquisitionen gepflastert. Klein schließt Zukäufe nicht aus, er will jedoch keinen Umsatz kaufen, stattdessen gegebenenfalls Technologie.

Das Wachstum aus eigener Kraft kennzeichnet damit nicht nur die SAP-Strategie der frühen Jahre, sondern soll auch in der fortgeschrittenen Digitalwirtschaft des 21. Jahrhunderts die richtige sein. US-Anleger, die immerhin 20% an SAP halten, begegnen dem, was aus ihrer Sicht eine Geduldsprobe ist, mit Skepsis und senken den Daumen. Im Jubiläumsjahr verliert die Aktie bisher mehr als ein Sechstel. Unter den deutschen Anlegern, die nur 7% der SAP-Aktien besitzen, haben die Institutionellen eine ähnliche Sicht.

Dort ist man sich sehr wohl bewusst, dass SAP „derzeit vor der wahrscheinlich größten Transformation in der Unternehmensgeschichte“ steht, wie Markus Golinski, Fondsmanager bei Union Investment, der Börsen-Zeitung sagte. Die Herausforderung für die Anleger sei allerdings ebenfalls groß, denn sie mussten „nach mehrfacher Anpassung der mittelfristigen Wachstums- und Profitabilitätsziele mit einer schwachen Aktienkursentwicklung ihren Tribut zahlen“, befindet der Manager.

Kollege Tim Albrecht von DWS Deutschland stößt in dasselbe Horn: „Während die ersten Dekaden von revolutionären Ideen und stürmischem Wachstum geprägt waren“, gelte es nun für SAP „die Anpassung des Geschäftsmodelles zu gestalten und weiteres Wachstum zu generieren“. Dabei schwingt die Sorge mit, dass die „Anpassung“ vielleicht doch dauerhaft oder zumindest längerfristig zulasten der Profitabilität gehen könnte. Und tatsächlich ist die Reise in die Cloud in der Kundenbasis noch nicht so weit gediehen, dass SAP verlässlich sagen könnte, was mittelfristig sein wird.

Großes Bild nötig

Die einzige deutsche Tech-Ikone war seit Beginn des Jahrtausends immer dann erfolgreich, wenn sie US-Vorbildern nachgeeifert hat. Sei es in der Produktentwicklung – mit einst neuen Anwendungen wie Customer Relationship Management oder Supply Chain Management –, in der Rendite, bei der SAP eine beeindruckende Aufholjagd im Rennen mit Oracle und Microsoft gelungen war, oder auch beim Wachstum, bei dem die US-Investorenbasis daran gewöhnt ist, große Sprünge zu sehen, mitunter auch mit Akquisitionen.

Der Vorstand steht zum Jubiläum vor der Aufgabe, auf allen drei Feldern jenes große Bild zu zeichnen, das die Gründer mit Einsatz und Weitblick entworfen haben.

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