Insolvenzrecht

Vorstoß gegen Pleitewelle

In seltener Einigkeit machen Firmen-Restrukturierer und Insolvenzverwalter einen Vorstoß zur Anpassung des Insolvenzrechts. Sie drängen die Bundesregierung zur Verkürzung des Prognosezeitraums bei der Überschuldungsprüfung von zwölf auf drei Monate.

Vorstoß gegen Pleitewelle

cru Frankfurt

Der Berufsverband der Restrukturierer TMA Deutschland warnt angesichts des Energiepreisschocks infolge des Ukraine-Kriegs vor einem Beibehalten des Prognosezeitraums von zwölf Monaten bei der Überschuldungsprüfung: „Das stellt deutsche Unternehmen und deren Geschäftsleitungen vor ein nicht rechtssicher lösbares Problem“, schreiben Frank Grell von der Kanzlei Latham&Watkins sowie weitere sechs TMA-Vorstandsmitglieder an Justizminister Marco Buschmann.

Diese Situation werde durch die bereits seit mehreren Monaten festzustellende Preisexplosion an den Rohstoffmärkten und die nicht sicher zu projizierende Auflösung der Engpässe in den weltweiten Lieferketten noch verschärft. Diese Gemengelage führe zu beispiellosen prognostischen Unsicherheiten, die mit Blick auf mögliche Unterbrechungen der Öl- und Gasversorgung noch potenziert würden. In der Praxis würden sich Geschäftsleitungen gegenwärtig mit Annahmen helfen, die sie häufig mit Unterstützung ihrer Berater ihren Planungen zugrunde legten.

„Dabei laufen alle Beteiligten Gefahr, dass sich diese Annahmen und die darauf basierenden Planungen im Nachhinein als unrichtig herausstellen und dann bei gerichtlicher Überprüfung post factum als ‚nicht vertretbar‘ angesehen werden, wodurch die Beteiligten sich erheblichen Haftungsrisiken aussetzen“, warnen die Restrukturierer. „Aufgrund der mangelnden Planbarkeit bleibt Geschäftsleitungen in vielen Fällen nichts anderes übrig, als entweder mit hohem persönlichen Risiko auf Basis von Annahmen ‚auf Sicht‘ zu fahren oder aufgrund der objektiv fehlenden Prognostizierbarkeit der Liquiditätsentwicklung zur Vermeidung einer persönlichen zivil- und strafrechtlichen Haftung einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung für im Grunde ‚gesunde‘ Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell zu stellen.“

Oft wird die Forderung nach einer Aussetzung der Insolvenzantragspflichten erhoben. „Dies erscheint uns nicht sachgerecht“, stellen die Restrukturierer fest. „Geschäftsleitungen von Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, müssen aus Gründen des Gläubigerschutzes insolvenzantragspflichtig bleiben.“

Es wäre zwar gut, die Überschuldung als zwingenden Insolvenzantragsgrund abzuschaffen. Aber dafür fehle die Zeit. Zur Vermeidung marktwirtschaftlich nicht gebotener Insolvenzantragstellungen und zur haftungsrechtlichen Entlastung der Geschäftsleitungen sollte, wie bereits im Rahmen der Covid-19-Pandemie, der Prognosezeitraum im Rahmen des Überschuldungstatbestandes vorübergehend verkürzt werden.

Entsprechend der Covid-Insolvenz-Gesetzgebung käme eine Verkürzung des Prognosezeitraumes auf vier Monate in Betracht. Sinnvoller erscheine es aber aus Sicht der Praxis, den Prognosezeitraum in Anlehnung an marktübliche Prognosezeiträume für die Liquiditätsplanung, die 13 Wochen beträgt, auf drei Monate zu verkürzen. Eine Verkürzung des Prognosezeitraumes wäre geeignet, das vorrangige Ziel der Vermeidung unnötiger und volkswirtschaftlich schädlicher Insolvenzen deutscher Unternehmen im aktuellen Marktumfeld zu erreichen. Aus der Sicht der TMA wäre ein Prognosezeitraum von drei Monaten ausreichend kurz bemessen, um auch in der gegenwärtigen Marktvolatilität und prognostischen Unsicherheit und Intransparenz eine hinreichende, den sich aus der Insolvenzordnung ergebenden Haftungsrisiken Rechnung tragende Planbarkeit zu gewährleisten.

„Eine zeitlich befristete Verkürzung der Prognoseperiode wird in Fachkreisen nach unserer Wahrnehmung uneingeschränkte Unterstützung finden.“ In den Genuss dieser Privilegierung sollten nur Unternehmen kommen, die vor dem Beginn des Kriegs in der Ukraine noch nicht bereits zahlungsunfähig oder überschuldet waren. Eine Beschränkung der Privilegierung auf Branchen, die im besonderen Maße unter dem Zusammenbruch von Lieferketten oder dem Preisanstieg an den Energiemärkten leiden, kommt aus Sicht der TMA schon aufgrund der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung und der erforderlichen Bestimmtheit des Überschuldungstatbestandes nicht in Betracht.

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