Energiekonzern

Wintershall Dea vor Scherben­haufen

Für Wintershall Dea, die zu 67% BASF und 33% einem russischen Oligarchen gehört, ist der durch Moskau verursachte Konflikt mit dem Westen ein Desaster. Im Vorjahr stand Russland für die halbe Fördermenge und 63% der Reserven. Nun drohen Abschreibungen. Zudem dürfte das geplante IPO geplatzt sein.

Wintershall Dea vor Scherben­haufen

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

Deutschland ist von russischen Öl- und Gaslieferungen abhängig. Im Jahr 2020 stand Russland für 34% der gesamten Rohölimporte und sogar für 55% der Erdgaseinfuhren (siehe Grafik). Insofern sind die Möglichkeiten der Bundesregierung ge­ring, wegen der Invasion in der Ukraine Sanktionen im Energiebereich gegen Moskau zu verhängen. Präsident Wladimir Putin hat zugesichert, dass trotz des Konflikts mit dem Westen die Gaslieferungen fortgesetzt werden sollen – allerdings nicht aus altruistischen Gründen: Die Einnahmen aus dem Energiegeschäft leisten einen wesentlichen Beitrag zum russischen Staatshaushalt.

Gespräch kurzfristig abgesagt

Dass das Gas aus Russland weiter fließen soll, ist für Wintershall Dea neben den steigenden Preisen für Öl und Gas die einzige positive Nachricht in diesen Tagen. Ansonsten sind die Vorgänge in Osteuropa und die Reaktionen des Westens für den größten deutschen Öl- und Gasproduzenten ein Desaster. Wie dramatisch sich die Lage für den Konzern durch den Krieg verschlechtert hat und dass das Management die Auswirkungen auf das Geschäft, das stark mit Russland verbunden ist, nicht ansatzweise einzuschätzen vermag, zeigt sich daran, dass gestern drei Minuten nach (!) dem regulären Beginn des vor Wochen angesetzten Jahrespressegesprächs dessen Absage per E-Mail verbreitet wurde.

Schwachstelle 1: die Bedeutung des Russland-Geschäfts für Wintershall Dea anhand der Zahlen für 2021. Gemäß dem Geschäftsbericht entfielen von den konzernweit geförderten 634000 Barrel Öläquivalente (boe) pro Tag 303000 auf die Produktion in Russland; das ist ein Anteil von 48 (i.V. 47)%. Der Anteil an den nachgewiesenen und wahrscheinlichen Reserven von 3,37 Mrd. boe habe 2,12 Mrd. boe betragen; das ergibt eine Quote von 63 (61)%. Zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Explorationskosten (Ebitdax), das konzernweit bei 3,83 Mrd. Euro lag, trug das Russland-Geschäft 728 Mill. Euro bei; ein Anteil von 19%. Lediglich bei den Investitionen (Capex) spielte das Land mit 6 Mill. von insgesamt 952 Mill. Euro keine große Rolle.

Inwieweit Wintershall Dea künftig noch in Russland produzieren kann bzw. darf, ist unklar. Offen ist auch, ob in Russland gefördertes Öl und Gas weiter exportiert werden darf und ob die deklarierten Reserven für den Konzern überhaupt noch nutzbar sein werden. Als sicher erscheint, dass auf das Unternehmen sehr hohe Abschreibungen zukommen.

Schwachstelle 2: die Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2. Die zweite Leitung wurde im September 2021 fertiggestellt. In Betrieb ist sie nicht, da die Pipeline nicht zertifiziert ist; es fehlt die Freigabe durch die zuständigen Behörden. Dieser Vorgang ist gestoppt worden, wie Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag mitteilte. Die Baukosten des 1230 Kilometer langen Doppelstrangs, der vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald führt, liegen nach jüngsten Schätzungen bei knapp 10 Mrd. Euro. Die Leitung sollte 55 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr aus russischen Vorkommen direkt nach Deutschland liefern – ohne Umweg über Transitländer wie die Ukraine. Durch die parallel laufende Pipeline Nord Stream 1 sind im vergangenen Jahr unter Vollauslastung gut 59 Mrd. Kubikmeter Gas transportiert worden.

Am Eigentümer und Betreiber von Nord Stream 1 hält die russische Gazprom mit 51% die Mehrheit. Minderheitsaktionäre sind Wintershall Dea, Eon, die niederländische Gasunie und die französische Engie. Wegen der starken Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas ist es unwahrscheinlich, dass die Sperrung von Nord Stream 1 zum Sanktionspaket der EU gehören wird.

Dagegen gehört Nord Stream 2 vollständig Gazprom. Anfangs hatte der Energieriese einen Anteil an der Projektgesellschaft von 50% und BASF/Wintershall, Eon (heute: Uniper), die britische Shell, Engie und die österreichische OMV jeweils 10%. Im Jahr 2016 zogen sich die fünf westeuropäischen Partner aus dem Projekt zurück und wechselten die Rolle: Sie finanzierten anteilig die Hälfte der Baukosten. Insofern drohen ihnen als Darlehensgeber Abschreibungen.

Von Sanktionen getroffen

Schwachstelle 3: der russische Anteilseigner. Wintershall Dea entstand 2019 aus der Fusion der BASF-Tochter Wintershall mit dem Rivalen Dea. BASF ist mit 67% an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligt, die Beteiligungsgesellschaft Letter One – das ist die ehemalige Dea-Eignerin, in der der russische Oligarch Michail Fridman seine Anteile gebündelt hat – hält 33%.

Fridman gilt als einer der einflussreichsten Wirtschaftsführer Russlands. Der 1964 im heute zur Ukraine gehörenden Lemberg geborene In­vestor ist zusammen mit Pjotr Aven der Hauptgründer der Alfa Group, einem der größten privaten Indus­trie- und Finanzkonglomerate in Russland. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gruppe und in leitenden Positionen verschiedener Töchter, etwa bei der Alfa-Bank. Darüber hinaus ist er unter anderem Vorstandsmitglied der Russischen In­dustriellen- und Arbeitgebervereinigung. Fridman dürfte daher zu dem Personenkreis gehören, der als erstes von den EU-Sanktionen gegen russische Politiker, Oligarchen usw. getroffen wird.

Dissens im Eignerkreis

Schwachstelle 4: der angepeilte Börsengang. Anfang des Monats wurde hier ein Dissens zwischen den beiden Großaktionären offenkundig: Während die Investmentgruppe Letter One für ein IPO „zumindest gegenwärtig“, wie es hieß, nicht den passenden Zeitpunkt sah, zeigte sich BASF fest entschlossen, ihren Anteil zu veräußern. Letter One kritisierte den Joint-Venture-Partner deutlich: Die ausschließliche Konzentration des Chemiekonzerns BASF auf einen Börsengang hindere Wintershall Dea, wertsteigernde Aktivitäten zu verfolgen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen dürfte das geplante IPO geplatzt sein.

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