AnsichtssacheDeutscher Kapitalmarkt

Zurück in die Zukunft – das Zukunftsfinanzierungsgesetz II

Es würde den deutschen Kapitalmarkt stärken, wenn das Parlament das Zukunftsfinanzierungsgesetz II trotz Ampel-Aus noch auf den Weg brächte.

Zurück in die Zukunft – das Zukunftsfinanzierungsgesetz II

Zurück in die Zukunft – das Zukunftsfinanzierungsgesetz II

Von Alexander Rang und Christoph J. Stresing *)

Dass Zukunftsprojekte schon vor ihrer Vollendung Geschichte werden, konnte man zuletzt beim Aus der Ampel beobachten. Und ein ähnliches Schicksal schien auch einem Vorhaben eben dieser Koalition zu widerfahren, das das Wort „Zukunft“ sogar im Namen trägt: Das Zukunftsfinanzierungsgesetz II (ZuFinG II).

Erfreulicherweise hat der neue Finanzminister Jörg Kukies das Gesetz in seiner erst kurzen Amtszeit weiterverfolgt: Das Bundeskabinett hat am 27. November den Regierungsentwurf beschlossen. Der Blick auf die in Deutschland an der Börse gelisteten Unternehmen unterstreicht die Notwendigkeit, Börsengänge in Deutschland zu erleichtern und den Kapitalmarkt zu stärken: Seit 2007 hat sich die Anzahl der Börsengänge fast halbiert. Und noch eine Zahl alarmiert: Berechnungen der Unternehmensberatung McKinsey zufolge ist seit 2015 durch Börsengänge europäischer Unternehmen in den USA ein Wertschöpfungsverlust von mehr als 400 Mrd. Euro entstanden.

Umdenken notwendig

Privates Kapital wäre in Deutschland ausreichend vorhanden. Allein deutsche Versicherungen verfügen über ein verwaltetes Kapital von rund 2 Bill. Euro. Doch in Startups und Scaleups investiert wird dieses Kapital bisher kaum: Deutsche Versicherer legen deutlich weniger als 1% ihres Anlagevolumens in Wagniskapital an. Zum Vergleich: schwedische Rentenkassen investieren teilweise mehr als 10% in Venture Capital. Ein Umdenken bei den Anlagekriterien könnte deshalb ein großes Potential heben.

Die Mobilisierung des Kapitals institutioneller Investoren war Ziel der WIN-Initiative (Wachstums- und Innovationsfinanzierung). In diesem Rahmen haben sich die beteiligten Unternehmen, überwiegend Kapitalsammelstellen und Banken, Mitte September öffentlichkeitswirksam dazu verpflichtet, bis 2030 einen Betrag von 12 Mrd. Euro in deutsches Venture Capital zu investieren. Diese Selbstverpflichtung ist ein starkes Zeichen. Doch ihr liegen in Aussicht gestellte regulatorische Anpassungen zugrunde, die mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz II zumindest teilweise aufgegriffen werden sollen.

Steuerliche Förderung

Der Regierungsentwurf sieht u.a. die Einführung der 1 Eurocent Aktie zur Flexibilisierung der Kapitalaufnahme und Vereinfachungen der Börsenzulassung im Zusammenhang mit Börsengängen vor. Die Zulassung von ausschließlich englischsprachigen Prospekten würde die Emissionspraxis erleichtern. Zudem sollen steuerrechtliche Maßnahmen Investitionen in Venture Capital erleichtern und den Rahmen für Investitionen von Investmentfonds in erneuerbare Energien und Infrastruktur attraktiver gestalten.

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz II steht in dem Themenkomplex der Stärkung des Kapitalmarktes nicht allein: So zielte etwa auch der Draghi-Report mit der Erleichterung der Skalierung von Technologieunternehmen in Europa in diese Richtung. Zudem wird das Zukunftsfinanzierungsgesetz II auf europäischer Ebene vom EU Listing Act flankiert. Neben Erleichterungen im Marktmissbrauchsrecht werden umfangreiche Änderungen im Prospektrecht eingeführt. Die neu geschaffenen Ausnahmen von der Prospektpflicht bei Sekundäremissionen sollten möglichst noch im Rahmen des ZuFinG II zutreffend reflektiert werden. Das betrifft namentlich die angemessene Haftung für das sogenannte zusammenfassende Dokument von maximal elf Seiten, das bei einigen Ausnahmen an die Stelle eines Prospekts tritt.

Hier sieht das ZuFinG II bislang eine reguläre Prospekthaftung vor, obwohl dieses Dokument die Vollständigkeit nicht gewährleisten kann. Zudem werden Emittenten entsprechend der internationalen Marktpraxis bei der Platzierung von größeren Emissionen trotz der neu eingeführten Prospektausnahmen häufig nicht auf einen freiwillig erstellten Offering Circular verzichten können, der einem vollständigen Prospekt in nichts nachsteht. Auch hierfür sollte noch ein passendes, gesetzliches "Prospekt"haftungsregime mit sinnvollen Privilegierungen etabliert werden, um einen Haftungsgleichlauf mit verpflichtenden Prospekten herzustellen.

Weiterhin führt der EU Listing Act die neue Mehrstimmrechte-Richtlinie ein, die abgesehen von ihren Transparenzvorgaben wenig Umsetzungsbedarf auslöst. Der Regierungsentwurf für das ZuFinG II beschränkt sich insoweit auf die Umsetzung und hat das nicht zum Anlass genommen, die bereits mit dem ZuFinG I eingeführten Mehrstimmrechte, etwa durch Entfallen der Zwangsbefristung (sog. sunset clause), attraktiver auszugestalten.

Privat vorsorgen

Hervorzuheben im nationalen Kontext ist noch das Vorhaben der Bundesregierung ein privates Altersvorsorgedepot zu ermöglichen. Neben dem Hauptziel, die private Altersvorsorge in Deutschland abzusichern, würde dadurch die Eigenkapitalkultur bei uns gestärkt und mehr Kapital zur Innovations- und Wachstumsfinanzierung mobilisiert. Gerade weil nicht abzusehen ist, dass das Vorhaben in der auslaufenden Legislaturperiode nochmals an Fahrt gewinnt, sollte diese Idee von einer neuen Bundesregierung unbedingt weiterverfolgt werden.

Es ist jedoch abzusehen, dass diese Maßnahmen kaum ausreichen werden. Denn es ist insbesondere die Nachfrageseite zu stärken, um bereits gelisteten Unternehmen, und solche die es noch werden wollen, Zugang zu hinreichender Liquidität für Innovation und Wachstum zu ermöglichen. Das ist eine Herkules-Aufgabe und wird nicht ohne neue Anreize gehen.

Kein Themenmangel

Gesetzgeberisch könnte dies in der weiteren Zukunft unter anderem mit einer weiteren Flexibilisierung der Regelungen zur Kapitalaufnahme und eines insgesamt liberaleren Aktienrechts zur Steigerung der Attraktivität der deutschen AG/SE flankiert werden. Insofern mangelt es nicht an Themen für die nächste Legislaturperiode. Jetzt bleibt zu hoffen, dass sich im Parlament der Pragmatismus durchsetzt und das Zukunftsfinanzierungsgesetz II jenseits des Ampel-Aus nichts als gescheitertes Zukunftsprojekt, sondern als Erfolg in die Geschichte eingehen kann.

Alexander Rang, Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller, Christoph J. Stresing, Geschäftsführer des Startup-Verbands. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

Alexander Rang ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller, Christoph J. Stresing ist Geschäftsführer des Startup-Verbands.

Ansichtssache

Der Blick auf die in Deutschland an der Börse gelisteten Unternehmen unterstreicht die Notwendigkeit, Börsengänge zu erleichtern.