Stranded Assets

Mit nachhaltigen Immobilien gegen den Klimawandel

Erstklassige Objekte in Toplagen können in wenigen Jahren zu Belastungen im Portfolio werden, wenn sie nicht ständig an die aktuellen Anforderungen im Sinne der Nachhaltigkeit angepasst werden.

Mit nachhaltigen Immobilien gegen den Klimawandel

Was einmal eine Top-Immobilie an einem erstklassigen Standort war, strandet am Ufer der Nachhaltigkeit – so könnte das Schicksal vieler Büro-, Wohn- oder Logistikobjekte in ein paar Jahren aussehen. „Stranded Assets“ sind das Schreckgespenst vieler Assetmanager. Was zu tun ist, um diesen Wert- oder gar Totalverlust von Vermögenswerten zu verhindern, darüber herrscht große Unsicherheit. So gibt nicht einmal ein Drittel der Anfang Dezember vom Beratungsunternehmen EY befragten Asset-, Investment- und Portfoliomanager an, Portfolien bereinigen und Stranded Assets verkaufen zu wollen.

Wo liegen konkret die Gefahren, die Immobilien wertlos machen können bzw. dazu führen, dass die laufenden Ausschüttungen geringer sein werden als ursprünglich kalkuliert? Am besten lässt sich das an den drei Buchstaben ESG, also Environment, Social, Governance, festmachen. Konkrete Kriterien zur Bestimmung einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit finden sich in der EU-Taxonomie-Verordnung. Durch sie soll Kapital in nachhaltige Investitionsobjekte umgeleitet werden. Der delegierte Rechtsakt tritt am 1. Januar 2022 in Kraft. Nach einer ersten Ausführungsbestimmung zu dieser Verordnung sind Gebäude, die vor dem 31. Dezember 2020 errichtet wurden, nachhaltig im Sinne der Verordnung, wenn sie mindestens den Energieausweis der Klasse „A“ haben. Alternativ sind sie auch dann taxonomiekonform, wenn sie zu den 15% energieeffizientesten Gebäuden des nationalen oder regionalen Gebäudebestandes gehören. Für ab 1. Januar 2021 errichtete Gebäude sind die Anforderungen strenger. Ihr Primärenergiebedarf muss mindestens 10% unter den national definierten Standards für Niedrigst­energiegebäude liegen.

Das liest sich eindeutig, ist es aber nicht. In der Umfrage von EY stimmen fast alle Befragten der Aussage zu, es fehle an der „notwendige(n) Klarheit“, wann eine Immobilie zu diesen oberen 15% gehört. Acht von zehn Befragten ist überhaupt unklar, welche Kriterien eine wirtschaftliche Aktivität bzw. eine Immobilie überhaupt erfüllen muss, um als taxonomiekonform zu gelten. Das verwundert nicht, denn am 21. April 2021 hat die EU-Kommission erst den delegierten Rechtsakt zu den Umweltzielen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Es fehlen noch Spezifikationen zu den übrigen Umweltzielen der Verordnung. Sie lauten: nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Diese konkreten technischen Bewertungskriterien sollten bis Ende 2021 vorgelegt werden und zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Immerhin gibt es aber Möglichkeiten, das Risiko von Gebäuden oder ganzen Portfolien, zu Stranded Assets zu werden, fassbar zu machen und aufzuzeigen, wie ein solches „Stranden“ verhindert werden kann. Dazu gehört der mit EU-Geldern entwickelte, kostenlose Carbon Risk Real Estate Monitor (CRREM). Er stellt ein Werkzeug zur Verfügung, das Risiken, die sich aus einem starken Energieverbrauch und hohen CO2-Emissionen ergeben, für einzelne Immobilien bewertet. Dahinter stehen steigende CO2 -Preise und Markterwartungen, aber auch verschärfte Umweltauflagen und Gebäudestandards. Der CRREM zeigt aber auch, wie für spezifische Gebäudetypen in einzelnen Ländern Dekarbonisierungs- und Energiereduktionsstrategien aussehen können, die mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinstimmen.

Der Vergleich zwischen der Bewertung von Einzelobjekten einerseits und klimaziel-konformen Entwicklungspfaden als Benchmark andererseits soll zeigen, welche Objekte Gefahr laufen, Stranded Assets zu werden. Dieser Vergleich berücksichtigt aber auch, dass die Energienetze immer weniger CO2 verbrauchen und dass energetisch sa­nierte bzw. modernisierte Immobilien immer weniger Emissionen erzeugen werden. Damit könnten „Strandungen“ vermieden werden, schreibt Daniel Piazolo, Professor for Real Estate Management and Risk Management an der THM Technische Hochschule Mitttelhessen, im kürzlich erschienenen Standardwerk „ESG für die Immobilienwirtschaft“ (Haufe Verlag). Schließlich ermögliche das CRREM-Werkzeug noch den Vergleich der Sanierungskosten und der Veränderung der CO2-Emissionen mit den Betriebskosteneinsparungen.

Auf Langlebigkeit setzen

Was können Immobilienbesitzer konkret tun, um die Gefahr des „Strandens“ zu vermindern? Erstes Ziel muss es sein, den Energieverbrauch zu reduzieren. Das beginnt schon in der Bauphase durch die Verwendung von Holz oder Leichtbau anstelle von Beton und Stahl. Die Konstruktion sollte einfach und robust sein, auf unnötige Technik sollte verzichtet und schon in der Planung auf Langlebigkeit gesetzt werden.

Im Bestand hat sich als äußerst effizient die Optimierung der Gebäudetechnik durch Einsatz einer verbesserten Software erwiesen. Dazu kommen der Ersatz der Leuchtkörper durch LEDs, neue Fenster und die Dämmung insbesondere der Außenwände. Die CO2-Bilanz lässt sich durch eine Installation von Wärmepumpen und einer Fotovoltaik-Anlage deutlich verbessern. Der restliche Strom sollte weitgehend aus „grünen“ Quellen wie Fernwärme, Wasser- und Windkraft kommen.

Diese Maßnahmen sind ein dauernder Prozess. Denn um den globalen Temperaturanstieg unter 2°C zu halten, müssen die gebäudebedingten Emissionen bis 2050 gegenüber 2015 um fast 80% gesenkt werden, wie es bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) heißt. Um dies zu erreichen, bedarf es deutlich größerer Anstrengungen, als sie bisher auf nationaler oder auf EU-Ebene geplant sind. Die Verschärfung der Regulatorik ist also eine dauerhafte Herausforderung für Bestandshalter, aber auch all diejenigen, die Immobilien neu errichten oder kaufen wollen. So will die EU den Emissionshandel ab 2026 auch auf Gebäude ausweiten. Im Raum steht auch die Festlegung von CO2-Budgets, die für Neubauten nicht überschritten werden dürfen.

Nachhaltigkeitslabels wie das DGNB Zertifikat haben zwar den Anspruch, Bauprojekte zukunftssicher zu machen. Dabei geht es aber in erster Linie um Neubauten und deren Bauphase. Erst langsam läuft bei Zertifizierungen die Betrachtung von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus an. Das bedeutet auch den Abschied vom früher üblichen Vorgehen, Energieschleudern durch Abriss loszuwerden. Der Schutt, der dabei entsteht, muss entsorgt werden – und das wird immer teurer. Rund um den folgenden Neubau entsteht eine hohe CO2-Belastung. Es gilt abzuwägen, ob bei einer energetischen Sanierung eines Bestandsgebäudes die CO2-Bilanz nicht besser ist als bei Abriss und Neubau.

Zu nichts nutze

Wohin die Entwicklung gehen könnte, zeigt das Beispiel des Tulip Tower in London. Die Projektentwickler hatten zwar das höchste britische Nachhaltigkeitszertifikat „BREEAM Outstanding“ erhalten. Trotzdem lehnte die britische Regierung den Bau ab, weil er als Restaurant auf einer hohen Stelze (in der sich lediglich ein Lift befinden sollte) zu nichts nutze sei, sondern nur CO2 emittiere – insbesondere in der Bauphase durch den Einsatz von viel Beton.

Die nachhaltige Zukunftsfähigkeit von Immobilien hängt allerdings nicht nur von Umweltfaktoren ab. Gleichgewichtig sind auch soziale Faktoren („S“) und Governance („G“). Dass „S“ im Moment hinter dem „E“ zurücksteht, liegt nicht zuletzt daran, dass es schwer messbar ist. Denn dafür maßgeblich sind eher weiche Faktoren wie eine frühzeitige Einbeziehung der Nachbarschaft in die Bauplanung, die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards, Erreichbarkeit durch den öffentlichen Nahverkehr, eine Stromversorgung für Elektroautos sowie die Qualität und die Sicherheit der Arbeitsplätze.

Sobald es Kriterien für die Messung der sozialen Aspekte gibt, werden sie ebenso über die Überlebensfähigkeit von Immobilien entscheiden wie heute schon die Umweltgesichtspunkte. Defizite bei der Ausgestaltung und Besetzung von Arbeitsplätzen oder eine schlechte Erreichbarkeit durch den öffentlichen Nahverkehr können Gebäude dann schnell „stranden“ lassen. Und last but not least müssen nichtfinanzielle Unternehmen auch aus der Immobilienwirtschaft im Rahmen der Governance den Anteil ihres Umsatzes, ihrer Investitions- und ihrer Betriebsausgaben offenlegen, der mit ökologisch nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten im Sinne der EU-Taxonomie verbunden ist. Eine Sicherheit, weder heute noch in Zukunft Stranded Assets zu kaufen oder im Portfolio zu haben, kann es nicht geben. Diese Objekte „über Wasser zu halten“ wird eine ständige Aufgabe sein, die aber gelingen muss, um einen Beitrag zum Überleben der Menschheit zu leisten.

Von Thomas List, Frankfurt

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