Erdöl und Erdgas

Pandemie und Geo­politik halten die Energie­märkte im Griff

Im neuen Jahr können die internationalen Konflikte zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite und China, Russland und dem Iran auf der anderen Seite die Energiepreise stark beeinflussen.

Pandemie und Geo­politik halten die Energie­märkte im Griff

Mit der globalen Erwärmung, den stark zunehmenden internationalen Spannungen und nicht zuletzt der nicht enden wollenden Coronakrise stehen die wichtigsten fossilen Energieträger und ihre Preise derzeit stark im Interesse der Märkte und der globale Öffentlichkeit. In den vergangenen beiden Jahren waren starke Ausschläge der Energiepreise nach unten und nach oben zu beobachten. So ist der Brent-Ölpreis kurz nach Beginn der Pandemie unter die Marke von 25 Dollar je Barrel abgesackt, um Anfang Dezember zeitweise über die Marke von 85 Dollar zu klettern, – ohne dass die Pandemie zu Ende wäre. Der Preis für Erdgas an dem von der EU-Kommission quasi geschaffenen europäischen Spotmarkt ist von rund 20 Euro je Megawattstunde im Frühjahr 2021 bis auf rund 190 Euro vor wenigen Tagen gesprungen. Angesichts der enormen Bedeutung der Energiepreise für die Volkswirtschaften und deren Konjunktur sowie mögliche inflationstreibende Effekte, aber auch der Tatsache, dass viele Anleger an den Rohstoffmärkten engagiert sind, gibt es gute Gründe, sich mit den Perspektiven für die Energieträger Erdöl und Erdgas im neuen Jahr zu beschäftigen.

Zunächst zum Thema Erdöl. Der Monat November hat sich für den Brent-Ölpreis als der schwächste seit Beginn der Pandemie herausgestellt, wofür es zwei Gründe gibt. Zum einen hat das Auftreten der neuen Omikron-Variante des Coronavirus erhebliche Ängste an den Märkten geweckt. Erst die aktuelle Vermutung, dass die neue Variante zu eher leichten Krankheitsverläufen führt, hat wieder zu einer gewissen Erholung geführt.

Zum anderen sieht es nach einem erheblichen Überangebot auf dem Weltmarkt im neuen Jahr aus, was zumindest weitere deutliche Preisanstiege deckeln sollte. Nach Einschätzung der Energy Information Adminis­tration (EIA) der US-Regierung hat die Nachfrage das Angebot seit dem dritten Quartal 2020 übertroffen, was zu einer Leerung der Lager um durchschnittlich 1,7 Mill. Barrel pro Tag (bpd) und zu dem Preisanstieg bis zeitweise über 85 Dollar geführt hat. Im vierten Quartal 2021 dürfte sich der Nachfrageüberhang auf 900000 bpd verringern, und für das erste Quartal 2022 rechnen die EIA-Ökonomen mit einem ausgeglichenen Markt. Im weiteren Verlauf des Jahres wird sogar ein neuer Aufbau der Reserven erwartet, mit anderen Worten, der Markt wird überversorgt sein. Dies dürfte deutliche Anstiege des Ölpreises verhindern, selbst wenn die insbesondere in den westlichen Industrieländern unkontrollierbar gewordene Pandemie auf wundersame Weise verschwinden sollte. Aktuell geht die EIA für das zweite Quartal von einem durchschnittlichen Brent-Preis von 71 Dollar aus, für das dritte Jahresviertel von 70 Dollar und für die drei Monate zum Jahresende von nur noch 67 Dollar. Sollte die Pandemie wider Erwarten zu Ende gehen, sind ohne Zweifel ein paar Dollar mehr drin.

Einen zumindest kurzfristigen deutlichen Rückgang des Ölpreises könnte es in dem Fall geben, dass die US-Regierung noch größere Mengen aus der strategischen Ölreserve des Landes auf den Markt werfen sollte. Die bisherige Ankündigung durch US-Präsident Joe Biden hat am Markt jedoch wenig Eindruck gemacht, weil es erhebliche Zweifel gibt, ob die angekündigten 50 Mill. Barrel wirklich den Markt erreichen, und weil sich andere Länder aus dem Machtbereich der USA lediglich mit mehr oder weniger symbolischen Mengen beteiligen.

Goldman Sachs optimistisch

Es gehen allerdings bei weitem nicht alle Analysten von einem auf längere Sicht verhältnismäßig niedrigen Ölpreis aus. Deutlich optimistischer für den Ölpreis sind die Analysten der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs. Sie gehen nämlich davon aus, dass der durchschnittliche Ölpreis der Sorte Brent Crude 2023 bei 85 Dollar je Barrel liegen wird. Dies begründen sie unter anderem mit einem Verweis auf die Schieferölproduzenten in den USA. Diese würden ihre zurückhaltende Vorgehensweise hinsichtlich Produktionsausweitungen beibehalten, insbesondere nach dem jüngsten Preisverfall wegen der Omikron-Virus­variante. Gleichzeitig erkennen sie bei der Organisaton Erdöl exportierender Länder (Opec) ein längerfristiges Kapazitätsproblem, das auch von anderen Analysten gesehen wird. Somit könnte es dem um Russland und einige andere Produzenten erweiterten Kartell Opec plus eventuell schwerfallen, die Produktion über die derzeit vereinbarten 400000 bpd pro Monat auszuweiten.

Ein wichtiger Punkt, den es beim Ölpreis immer zu berücksichtigen gilt, ist die Geopolitik. Aktuell geht es vor allem um den Aufstieg Chinas, Russlands und regionaler Mächte wie dem Iran sowie die zunehmend verzweifelt anmutenden Gegenmaßnahmen von USA und EU, die insgesamt für erhebliche geopolitische Instabilität sorgen. Sollte etwa der Konflikt zwischen Russland und der Ukaine weiter eskalieren und es dabei zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, könnte dies den Ölpreis stark nach oben treiben, wenn die USA ihre gegenwärtig umfangreichen Ölimporte aus Russland einstellen; durch den lange angekündigten Rauswurf russischer Banken aus dem von den USA kontrollierten internationalen Zahlungssystem Swift könnten Zahlungen für russische Öllieferungen zumindest für eine Weile stark erschwert werden. Wenn damit dem Weltmarkt de facto russisches Öl entzogen wird, könnte dies einen Preissprung auslösen.

Ähnlich destruktives Potenzial für den Ölmarkt hätte ein amerikanischer und/oder israelischer Angriff auf den Iran mit dem Ziel, den Aufstieg des Landes zur Atommacht zu verhindern. Der Iran würde dann unter anderem die Meeresenge von Hormus sperren, über die rund ein Viertel der weltweiten Öltransporte per Schiff läuft. Die militärischen Fähigkeiten dazu hat das Land auf jeden Fall. Allerdings hätte eine Explosion des Ölpreises für die USA und Europa katastrophale Folgen, was die US-Regierung von Abenteuern abhalten sollte.

Es ist übrigens nicht zu erwarten, dass die gegenwärtigen Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA unter europäischer Vermittlung über einen Wiedereintritt Amerikas in das Atomabkommen JCPOA dazu führen werden, dass die USA ihre harten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran abmildern. Zum einen rücken die USA bislang von ihrem Maximalforderungen an den Iran nicht ab, zum anderen ist die neue iranische Regierung unter Ministerpräsident Ebrahim Raisi weniger kompromissbereit als die vorherige unter Hassan Rouhani. Es wird also nicht zu einer vollständigen Rückkehr iranischen Öls an den Weltmarkt kommen, sondern dabei bleiben, dass China iranisches Öl unter der Hand aufkauft. Dadurch wird es nicht zu einer deutlichen Ausweitung des Überangebots auf dem Ölmarkt kommen – und auch nicht zu dem starken Ölpreisrückgang, wie ihn die Biden-Administration mit Blick auf Inflationsgefahren und die Chancen einer Wiederwahl anstrebt.

Inwieweit ein ebenfalls nicht auszuschließender Krieg zwischen China und den USA um die chinesische Insel Taiwan den Ölmarkt beeinflussen würde, ist nicht klar. Den größten Einfluss hätte zweifellos eine Seeblockade Chinas durch die amerikanische Marine mit dem Ziel, China von Energielieferungen abzuschneiden, indem beispielsweise die Meeresenge von Malakka durch die USA gesperrt würde. Denkbar ist für diesen Fall ein starker Anstieg des Ölpreises, aber auch ein starker Rückgang, wenn große Ölmengen nicht mehr nach China verkauft werden können.

Was den europäischen Gaspreis am Spotmarkt betrifft, so ist quasi garantiert, dass dieser auf hohem Niveau bleibt und nicht wieder auf Niveaus vom Frühjahr 2021 oder davor zurückfällt. Dafür spricht die Politik der EU-Kommission und der nationalen Regierungen. Diese setzen stark auf regenerative Energien, ohne sich über deren mangelnde ständige Verfügbarkeit Gedanken zu machen. Mit Kohle oder atomar betriebene Kraftwerke werden abgeschaltet, was die Abhängigkeit Europas von Erdgas als Energieträger auch für die Stromproduktion erhöht. Gleichzeitig aber geht die Erdgasproduktion in West- und Nordeuropa Jahr für Jahr zurück. Dies wiederum steigert die Abhängigkeit von Russland als dem weltweit wichtigsten Gasproduzenten. Entgegen den Wünschen der russischen Regierung, die langfristige Lieferverträge bevorzugt, hat die EU-Kommission schon seit längerem auf die Entwicklung des Spotmarktes gesetzt, der zwar für einige wenige Jahre für niedrigere Preise gesorgt hat, aber in der gegenwärtigen Konstellation auch für die eingangs beschriebene Preisexplosion. Amerikanisches Flüssiggas (LPG) als eine mögliche Entlastung hat sich als unzuverlässig erwiesen, da dieses jüngst wegen der dort höheren Preise nach Asien umgeleitet wurde.

Über die erste Jahreshälfte 2021 ging die westeuropäische Förderung von Erdgas um 22,5 Mrd. Kubikmeter zurück. Dadurch fehlten zu Beginn der Heizperiode im November in den europäischen Gasspeichern 18,5 Mrd. Kubikmeter, wodurch sie nur zu 60% gefüllt sind. Gleichzeitig entzogen die USA dem europäischen Markt 9 Mrd. Kubikmeter Flüssiggas, das sie auf die Märkte in Asien und Lateinamerika umleiteten.

Eine spürbare Entlastung würde es geben, wenn die bereits fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb gehen könnte. Dann nämlich könnte Russland insgesamt zusätzliche 55 Mrd. Kubikmeter Gas über die Pipelines Nord Stream 1, Nord Stream 2 und Jamal Europe liefern. Dies würde für eine deutliche preisliche Entspannung am europäischen Spotmarkt sorgen. Derzeit liefert Russland über die langfristigen vertraglichen Verpflichtungen hinaus kein zusätzliches Erdgas über die Jamal-Europe-Pipeline, Man scheint sich bewusst zurückzuhalten, um auf diese Weise Druck auf die Bundesregierung auszuüben, den Genehmigungsprozess voranzutreiben. Al­lerdings ist die neue Bundesregierung mit erklärten Gegnern von Nord Stream 2 besetzt, vor allem auf Seiten der stark transatlantisch ausgerichteten Grünen.

Mitte November hatte die Bundesnetzagentur als erste zuständige Behörde für die Zertifizierung der neuen Pipeline das Verfahren Nord Stream 2 vorläufig ausgesetzt. „Nach eingehender Prüfung der Unterlagen“ sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass der Betreiber der Pipeline eine Gesellschaft deutschen Rechts sein müsse, teilte die Bundesnetzagentur mit. Bislang war die Nord Stream 2 AG als Betreiber der Pipeline vorgesehen, wobei diese ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ist. Nun muss ein neues Unternehmen in Deutschland gegründet werden, vorbei die russische Seite dazu ihre Bereitschaft bereits bekundet hat. Damit fängt aber der Zertifizierungsprozess noch einmal von vorne an. Dies wird einige Monate dauern, wobei danach die EU-Kommission als Genehmigungsbehörde eingeschaltet wird, die sich weitere vier Monate Zeit lassen kann. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wird Nord Stream 2 nicht vor der zweiten Jahreshälfte 2022 in Betrieb gehen.

Aktuell gibt es einen weiteren Engpass für die europäische Gasversorgung. Wegen des Westsahara-Konflikts hat Algerien die Gaslieferungen nach Marokko und über die dortige Pipeline auch nach Spanien und Portugal eingestellt. Damit verschärft sich also die Versorgungslage in Europa weiter.

Super-GAU am Gasmarkt

Aber es könnte für Europa noch wesentlich schlimmer kommen – oder besser für die bei Erdgas engagierten Finanzinvestoren. Den Super-GAU auf dem europäischen Gasmarkt dürfte es geben, wenn die USA erreichen, dass die EU – etwa wegen neuer Sanktionsrunden nach einem neuen Krieg in der Ukraine – ihre Gasimporte aus Russland einstellt. Dieselbe Folge hätte es, wenn die Europäer wegen des Ausschlusses Russlands aus Swift russische Erdgaslieferungen für eine Weile nicht mehr bezahlen könnten, was das vorläufige Ende der Lieferungen zur Folge hätte. In beiden Fällen würde der Preis am euro­päischen Spotmarkt weit über die bisher gesehene Preisspitze von 190 Euro hinausgehen.

In den vergangenen Jahren haben sich die damals bestehenden geopolitischen Risiken zwar zumeist nicht realisiert. Da die Spannungen international aber stark zugenommen haben, könnte es diesmal anders sein. Aber auch wenn die genannten geopolitischen Krisenszenarien nicht Realität werden, könnte den globalen Energiemärkten mit Blick auf die weitergehende Pandemie ein turbulentes Jahr 2022 bevorstehen.

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

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