Nordirland-Protokoll

Wenn es um die Wurst geht

Das Nordirland-Abkommen, das eine harte Grenze zwischen der EU und Großbritannien verhindern soll, wackelt. Die Instabilität nimmt zu. Anhand dieses Konflikts können London und Brüssel zeigen, ob sie in der Lage sind, gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden.

Wenn es um die Wurst geht

Von Andreas Hippin, London

Das Nordirland-Protokoll der EU-Austrittsvereinbarung zwischen Brüssel und London ist als Geniestreich gepriesen worden. Schließlich hatten seine Verfasser erreicht, was zuvor als Quadratur des Kreises galt: Rechtlich gehört Ulster zum aus der Staatengemeinschaft ausgetretenen Großbritannien, praktisch aber bleibt es im gemeinsamen Markt mit Resteuropa. Dadurch lässt sich eine harte EU-Außengrenze durch die Grüne Insel vermeiden. Schlagbäume hätten für neue Konflikte zwischen den ehemaligen Bürgerkriegsparteien in Nordirland sorgen können. Der britische Premierminister Boris Johnson unterschrieb es, weil er einen wie auch immer gearteten Deal mit Brüssel brauchte, um die Unterhauswahlen im Dezember 2019 für sich zu entscheiden.

Leider haben die Juristen und Bürokraten, die das Protokoll verfassten, nicht daran gedacht, dass eine harte innerbritische Grenze auf dem Grund der Irischen See ebenso viel Konfliktpotenzial birgt. Hätten sich beide Seiten Mühe gegeben, dafür zu sorgen, dass sich die durch den Brexit bedingten Veränderungen nicht auf den Alltag in Nordirland auswirken, wäre es vielleicht gutgegangen. Doch wenn die Wurst aus Restbritannien ab dem 1. April ein Gesundheitszeugnis braucht, um einreisen zu dürfen, könnten die Zutaten zum „Ulster Fry“, einer Variante des English Breakfast, schnell knapp werden. Blumenzwiebeln, Saatkartoffeln, die Belieferung von Supermärkten – es gibt viele neue Probleme im innerbritischen Warenaustausch, die für die Bevölkerung unübersehbar geworden sind.

Flirt mit dem Notstand

Seitdem eine im Streit mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca wild um sich schlagende EU-Kommission Artikel 16 des Nordirland-Protokolls – den Notstandsparagrafen also – in Anspruch nahm und vertraglich vereinbarte Lieferungen nach Großbritannien durch innerirische Grenzkontrollen unterbinden wollte, hat die Instabilität in Ulster erheblich zugenommen. Die Unionisten von der DUP (Democratic Unionist Party), deren Chefin Arlene Foster die Regionalregierung in Stormont führt, stehen unter Druck, von der britischen Regierung zu verlangen, dass sie ihrerseits Artikel 16 ins Feld führen soll, um die Probleme im Warenhandel zu beenden. Die DUP möchte keine Stimmen an die Hardliner von der Traditional Unionist Voice (TUV) verlieren, die einer Umfrage zufolge bereits in der Wählergunst zulegen. Foster wird vorgeworfen, den Versprechungen Johnsons zum Status von Nordirland zu viel Glauben geschenkt zu haben.

Natürlich lässt sich argumentieren, dass die Briten gewusst haben, was sie unterschreiben. Doch trägt das nicht zur Deeskalation bei. Bis zum 5. Mai kommenden Jahres muss die nächste Wahl zum Regionalparlament stattfinden. Vieles spricht dafür, dass die Ablehnung des Nordirland-Protokolls im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sich die britische Regierung um eine Verlängerung diverser Übergangsfristen bis nach dem Wahltermin bemüht. Derzeit sieht es zwar nicht so aus, als könnten die Gegner des Nordirland-Protokolls die nötigen Stimmen auf sich vereinen. Doch könnten die neu gewählten Abgeordneten des Regionalparlaments dem Vertragswerk mit einfacher Mehrheit ein Ende bereiten.

Das größte Risiko besteht jedoch darin, dass sich die Unionisten schon vor der Wahl aus den politischen Institutionen der Provinz verabschieden, die eine Teilung der Macht zwischen Nationalisten und Unionisten sicherstellen sollten. Dann müsste London einschreiten, um die Umsetzung des Protokolls sicherzustellen – in jeder Hinsicht ein politischer Alptraum.

Am Umgang mit dem Konflikt wird sich zeigen, ob Brüssel und London dazu in der Lage sind, im Umgang miteinander pragmatische Lösungen zu finden. Das Nordirland-Protokoll hat sich in seiner derzeitigen Form als untauglich erwiesen.