Commerzbank wirbt bei Aktionären für Eigenständigkeit
Mit lieben Grüßen von Sabine
Vorstand und Belegschaft werben auf der Hauptversammlung gemeinsam für eigenständige Commerzbank – Alle Tagesordnungspunkte durchgewunken
Von Anna Sleegers, Wiesbaden
Erstmals seit der Corona-Pandemie hat die Commerzbank ihre Aktionäre wieder in Präsenz zur Hauptversammlung geladen. Während am Dienstag an den Sicherheitsschleusen im Eingangsbereich des RheinMain Congress Centers (RMCC) in Wiesbaden die ersten Besucher eintrudelten, wehten die Verdi-Flaggen im Sonnenschein. Um bei den Aktionären für die Eigenständigkeit der Commerzbank zu werben, hat der Gesamtbetriebsrat die Belegschaft zu einer Kundgebung aufgerufen. „Hinkelsteine für die Römer“ ist auf Pappschildern zu lesen und „Mein Herz schlägt gelb!“.
Liebe Grüße von Sabine
Gelb waren auch auffällig viele T-Shirts der rund 100 Commerzbanker, die sich auf dem Grünstreifen in der Mitte der vierspurigen Straße drängten, die am Eingang des RMCC vorbeiführt. Das Transparent „Betrieb Hamburg“ zeugte davon, dass sie zum Teil vom Weitem angereist sind. Aus den Boxen schallte das Intro des ACDC-Klassikers „Hells Bells“, zu dem Nicole Diefenthäler das Podium erklommen hat. Unter dem Jubel des Publikums richtete die Betriebsratsvorsitzende der Frankfurter Konzernzentrale „liebe Grüße von Sabine“ aus.
Konditionen des Stellenabbaus stehen
Damit gemeint ist die gerade mit einer Mandatsverlängerung ausgestattete Personalvorständin Sabine Mlnarsky. Eigentlich habe diese selbst Grußworte an die Protestierenden richten wollen. „Aber Ihr wisst ja selbst: Der Terminkalender...“, nahm die Betriebsrätin die Managerin in Schutz. Mit ihr hatte der Gesamt-Betriebs-Ausschuss, dem auch Diefenthäler angehört, die Konditionen festgezurrt, zu denen rund 3.300 Beschäftigte die Commerzbank verlassen werden. Die meisten Stellen werden in der Zentrale gestrichen. Nachrücken werden Mitarbeiter in Ländern mit niedrigeren Lohnnebenkosten und weniger ausgeprägten Mitbestimmungsrechten.
Lob für Betriebsräte
Trotzdem ist man sich mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und den Betriebsräten schnell einig geworden. Das liegt nicht nur an den großzügigen Angeboten an die Ausscheidenden. Mindestens genauso wichtig ist der gemeinsame Feind: Die italienische Großbank Unicredit, die sich im vergangenen Herbst im Zuge des Teilverkaufs der Anteile im Besitz des Bundes angeschlichen hat und nun die zweitgrößte Einzelaktionärin der Commerzbank ist. In ihrer Rede in der zu drei Vierteln gefüllten Halle wird Vorstandschefin Bettina Orlopp den Arbeitnehmervertretern für die „stets konstruktive“ Zusammenarbeit danken, als sie um das Vertrauen der Aktionäre wirbt.
Kooperationen dürfen laut DWS kein Tabu sein
Doch die Eigenständigkeit ist keineswegs für alle Eigentümer der Commerzbank ein Wert für sich. So forderte etwa der DWS-Vertreter Hendrik Schmidt, dass der Vorstand mit der gebotenen Unabhängigkeit agiert und strategische Optionen zur langfristigen und nachhaltigen Wertsteigerung für alle Aktionäre prüft. So weit, sich als Befürworter einer Übernahme durch Unicredit zu outen, ging er zwar nicht. Doch Kooperationen dürften kein Tabu sein, zumindest wenn sie kulturell und ökonomisch passen.
Orlopp betont Umsetzungsrisiken
Konzernchefin Orlopp ist Profi genug, um den unterschwelligen Vorwurf nicht auf sich sitzen zu lassen. Immerhin ist sie per Gesetz dem Wohl des gesamten Unternehmens verpflichtet. Daher stellte sie in der Frage-und-Antwort-Runde in Entgegnung der Frage eines Kleinaktionärs nach einem „Weißen Ritter“ klar, dass immer in Einzelfall geprüft werden müsse, ob die Kombination mit einem anderen Geldhaus sinnvoll sei. Dabei müsse sich jedes Szenario jedoch an der aus ihrer Sicht „sehr attraktiven" Strategie der eigenständigen Commerzbank messen lassen. Jeder Zusammenschluss berge Umsetzungsrisiken und binde Kapazitäten in einem Marktumfeld, das keinen Stillstand erlaube.
„Plattformlösungen statt Vermächtnispflege“
Indirekt warb der DWS dann aber doch dafür, dass die Commerzbank nicht bloß auf ihre Eigenständigkeit beharrt. So fehle es der Commerzbank etwa im Privatkundengeschäft an einem tragfähigen hybriden Modell: „Das Filialnetz und das Digitalangebot laufen nebeneinander, aber nicht zusammen.“ Die Folge seien hohe Kosten und eine inkonsistente Kundenerfahrung. Auch bleibe die IT-Systemlandschaft zu komplex, was den Rollout neuer Produkte verlangsame. „Hier erwarten wir eine klare Fokussierung auf mehr Plattformlösungen und Innovation statt Vermächtnispflege und Insellösungen“, ergänzte er. Doch der Bau einer zeitgemäßen Plattform aus einem Guss ist teuer und lässt sich nur durch hohe Skaleneffekte refinanzieren. Das ist vielleicht eines der wichtigsten Argumente für eine europäische Bankenfusion.
Antwort auf Kritik von Unicredit-Chef Orcel
Einzelne Aktionäre bezogen sich die von Unicredit-Chef Andrea Orcel im Vorfeld der Hauptversammlung aufgeworfene Kritik an der mangelnden Profitabilität. Er hatte unter anderem bemängelt, dass das Aufwand-Ertrags-Verhältnis der Commerzbank im ersten Quartal mit 56% deutlich hinter dem Vergleichswert der deutschen Konzerntochter HVB von 36% herhinke. Diese Kritik ließ Orlopp an sich abperlen. Der Vergleich einzelner Kennzahlen sei nicht sinnvoll, sagte sie und ergänzte: „Ich bin mir jedoch sicher, dass die Commerzbank im europäischen Vergleich sehr wettbewerbsfähig ist“.
„Neubewertung im vollen Gange“
Eine Sichtweise, die Alexandra Annecke von Union Investment durchaus teilte. Die Neubewertung der Commerzbank am Kapitalmarkt sei im vollen Gange, konstatierte sie angesichts der Kursgewinne in den vergangenen Wochen. „Und es ist noch Luft nach oben", fügte sie mit Blick auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis hinzu. Dies liege bei der Commerzbank nun bei 1 und damit noch unter dem Sektordurchschnitt europäischer Banken von 1,2.
Rückendeckung für den Vorstand
Wie auch die übrigen Vertreter der Fondsgesellschaften und Aktionärsverbände ließ Annecke wenig Sympathien für Orcels Vorhaben erkennen. Einigkeit bestand dagegen mit Blick auf das Veranstaltungsformat. Wenn es nach ihnen ginge, würde die Hauptversammlung auch im kommenden Jahr wieder in Präsenz stattfinden. Die virtuelle Hauptversammlung ist ihnen seit langem ein Dorn in Auge, da sie ihnen kein Forum für den öffentlichen Austausch mit dem Vorstand bietet. Dennoch segnete die Hauptversammlung bei einer Präsenz von 49,65% das Ansinnen, auch künftig virtuelle Aktionärstreffen durchzuführen mit großer Mehrheit ab. Auch das neue Vergütungssystem wurde anstandslos durchgewunken.
Belegschaft meldet sich zu Wort
Gleich mehrere Beschäftigte nutzten ihre Belegschaftsaktien, um auch in der Fragerunde noch einmal die Trommel für die Eigenständigkeit der Belegschaft zu rühren. Wenn die Commerzbank wie auf dem Kapitalmarkt im Februar angekündigt, tatsächlich allen Beschäftigten Aktien schenkt, könnte diese Redebeiträge künftig noch größeren Raum einnehmen.
Burgfrieden statt Klassenkampf: Arbeitnehmervertreter und Vorstand demonstrieren auf der Hauptversammlung in Wiesbaden Einigkeit im Abwehrkraft gegen Unicredit. Den von einzelnen Investoren angesprochenen Kennzahlenvergleich mit den profitableren Italienern lässt das Management an sich abperlen.