„Geopolitik treibt die Sparkassen immer mehr um“
„Geopolitik treibt die Sparkassen immer mehr um“
Institute müssen auch für den Krisen- oder Verteidigungsfall planen, mahnt der Präsident des Sparkassenverbandes Rheinland-Pfalz
Von Tobias Fischer, Frankfurt
fir Frankfurt
Die zunehmenden internationalen Verwerfungen und die Bedrohung Europas durch russische Expansionsgelüste beschäftigen auch die Sparkassen. So könnten etwa im Krisen- oder Kriegsfall erhebliche Teile der Belegschaften im Zivilschutz oder Militär gebunden sein, gibt der Präsident des Sparkassenverbandes Rheinland-Pfalz, Thomas Hirsch, zu bedenken. Auf die neue Realität gelte es sich einzustellen.
Im Gespräch: Thomas Hirsch
Die Folgen internationaler Krisen und Konflikte fordern zusehends den Finanzsektor. Selbst kleine Sparkassen müssen sich mit den Konsequenzen wie wachsender Volatilität und Unsicherheit sowie verschärften nichtfinanziellen wie finanziellen Risiken auseinandersetzen – bis hin zur Frage von Krieg und Frieden. „Geopolitik treibt die Sparkassen immer mehr um“, macht Thomas Hirsch, Präsident des Sparkassenverbandes Rheinland-Pfalz (SVRP), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung deutlich. „Wie wir Resilienz schaffen für Krisensituationen, muss auch die Sparkassen-Finanzgruppe beschäftigen“, sagt er, zumal dieser als Teil der kritischen Infrastruktur besondere Verantwortung zukomme.
Und zwar nicht nur in der Frage der personellen Ausstattung im Krisen- oder Konfliktfall, sondern auch im Risikomanagement oder der Banksteuerung. „Die EZB fordert, geopolitische Risiken diesbezüglich stärker zu berücksichtigen“, weiß Hirsch, dessen Regionalverband 20 rheinland-pfälzische Sparkassen mit 77 Mrd. Euro Bilanzsumme und 10.300 Beschäftigten sowie die kommunalen Träger vertritt.
Versorgungssicherheit gefährdet
Dabei richtet er sein Augenmerk insbesondere auf die Facetten der hybriden Kriegsführung Russlands, das unter anderem mit Cyberangriffen, Sabotage und Desinformationskampagnen die Bevölkerung zu verunsichern und Zweifel an der Bereitstellung kritischer Infrastruktur wie Energie, Lebensmittel oder Finanzdienstleistungen zu sähen versuche.
Wir haben gesehen, wie schnell unsere sicher geglaubten Strukturen ins Wanken geraten – nicht nur dann, wenn es um Vorräte an Nudeln oder Toilettenpapier geht.
Wie heikel das sei, konkretisiert er anhand der Corona-Pandemie, in der die Versorgungssicherheit in den Blick gerückt war. „Wir haben gesehen, wie schnell unsere sicher geglaubten Strukturen ins Wanken geraten – nicht nur dann, wenn es um Vorräte an Nudeln oder Toilettenpapier geht.“
Und auch wenn es sich beispielsweise bei Geldautomaten-Sprengungen nicht um hybride Attacken Russlands handele, sondern um organisierte Kriminalität, zeige dies, wie sensibel die Bevölkerung auf derlei Ereignisse reagiere. Als gut geschützt erachtet Hirsch die Sparkassen-Finanzgruppe jedoch, wenn es um Cyberangriffe geht, da mit deren IT-Dienstleister Finanz Informatik (FI) ein Bollwerk gegen entsprechende Attacken zur Verfügung stehe.
Aufmarschgebiet Deutschland
Ein Aspekt, der in der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion noch zu kurz kommt, ist die Frage der personellen Ressourcen in den Unternehmen im Fall der Fälle. Bis Ende des Jahrzehnts könne Russland zum Angriff auf das Nato-Bündnisgebiet, möglicherweise im Baltikum, in der Lage sein, verweist Hirsch auf Einschätzungen von westlichen Militärs und Geheimdiensten. „Würde ein Krieg im osteuropäischen Raum ausbrechen, wäre Deutschland Aufmarsch-, Transit- und Logistikgebiet.“
Mitarbeiter im Zivilschutz
Mit Folgen für die vielen Mitarbeiter der Sparkassen, die im Zivilschutz, in der Freiwilligen Feuerwehr, im Rettungsdienst oder im THW engagiert seien, oder auch als Reservisten in der Bundeswehr, sagt Hirsch. „Im Kriegs- oder Krisenfall stünde zumindest ein Teil von ihnen den Sparkassen nicht mehr zur Verfügung. 20 bis 30% der Belegschaft könnten fehlen. Fraglich ist, ob unter diesen Umständen der Dienstbetrieb noch aufrechterhalten werden könnte.“
Das gelte umso mehr, als die Personallage angesichts des demografischen Wandels ohnehin angespannt sei. Dennoch macht er sich dafür stark, als Arbeitgeber Mitarbeiter anzuspornen, sich im Zivil- oder im Heimatschutz zu engagieren – wohlwissend, dass sie im Einsatzfall der Sparkasse nicht zur Verfügung stehen könnten.
Unterstützung für Finanzpaket
Hirsch begrüßt in diesem Kontext das Hunderte Milliarden Euro schwere Finanzpaket der Bundesregierung für Infrastruktur und Sicherheit, von dem er sich von 2026 an merkliche Effekte verspricht. „Wir brauchen Investitionen in die Verteidigung, denn hier stehen wir nicht gut da", sagt er. Das gelte auch für die Verkehrsinfrastruktur. „Können beispielsweise unsere Brücken Panzer tragen? Nein. Das ist aber notwendig, denn es nützt uns nichts, wenn sie im Verteidigungsfall am falschen Platz stehen.“
Generell zeigt sich der frühere Landauer Oberbürgermeister erfreut, dass in der Politik offensichtlich der Wille bestehe, die großen Probleme in der Gesellschaft anzugehen. Dazu zählt Hirsch auch die Themen Altersvorsorge und Wohnungsbau, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt von enormer Bedeutung seien. Die Finanzgruppe wolle sich hier spürbar einbringen, sagt er. „Die Sparkassen stehen Gewehr bei Fuß, wenn es darum geht, Investitionen von Unternehmen, Wohnungsbau und öffentlicher Infrastruktur zu finanzieren.“
Wachsende Regulierung
Wenn es um die Frage geht, wie geopolitische Risiken zu messen sind, verweist Hirsch auf die Findigkeit der Regulierer: „Ich bin sicher, ihnen wird einiges einfallen. Schließlich werden immer neue Kennzahlen ersonnen oder zusätzliche Kapitalpuffer auferlegt, um Risiken zurückzudrängen. Darauf müssen wir uns auch mit Bezug auf geopolitische Risiken einstellen.“
Jedes Institut müsse noch stärker diversifizieren und darauf achten, welche Risiken es sich möglicherweise ins Haus holen könnte. „Wie wir schon in den Diskussionen über Nachhaltigkeit erlebt haben, kann es bedeuten, dass auf das eine oder andere Geschäft verzichtet wird.“ So könnten zum Beispiel geopolitische Erwägungen dazu führen, dass einem mittelständischen Kunden, der etwa im Baltikum investieren möchte, die entsprechende Finanzierung versagt werde.
Thesaurieren statt ausschütten
Angesichts der zunehmenden geopolitischen Herausforderungen und regulatorischen Anforderungen rät Hirsch den Sparkassen zur Zurückhaltung. In der Abwägung, ob sie eher an ihre Träger ausschütten oder besser thesaurieren sollten, vertritt er klare Vorstellungen: lieber das Geld zusammenhalten.
Eine Ausschüttung von 1 Mill. Euro entspricht angesichts der nötigen Eigenkapitalunterlegung insgesamt 20 Mill. Euro weniger Wohnungsbaufinanzierung oder 12 Mill. Euro weniger Firmenkrediten.
Zumal sich Gewinnausschüttungen direkt auf die künftigen Kreditvergabemöglichkeiten auswirkten. „Eine Ausschüttung von 1 Mill. Euro entspricht angesichts der nötigen Eigenkapitalunterlegung insgesamt 20 Mill. Euro weniger Wohnungsbaufinanzierung oder 12 Mill. Euro weniger Firmenkrediten“, führt Hirsch mit Verweis auf Geschäfte aus, die den Sparkassen entgingen, wenn sie sich gegenüber den Kommunen als Trägern sehr spendabel zeigten.
„Es wäre fatal, einerseits mit einem Tröpfchen zu versuchen, die kommunale Finanznot zu lindern, auf der anderen Seite aber einen See von Nachteilen zu haben“, mahnt der Sparkassen-Präsident. „Natürlich sind Ausschüttungen möglich, wenn die Gesamtlage der Sparkasse dies bedenkenlos zulässt. Der Blick muss allerdings darauf gerichtet sein, was die Sparkasse braucht – und zwar nicht nur heute, sondern auch übermorgen.“
Zur Person
Seit annähernd zweieinhalb Jahren führt Thomas Hirsch den Sparkassenverband Rheinland-Pfalz (SVRP) mit Sitz in Mainz. Bevor er, wie er sagt, die „sehr erfüllende Aufgabe“ als Präsident eines der zwölf regionalen Sparkassen- und Giroverbände in Deutschland antrat, war er sieben Jahre lang Oberbürgermeister seiner knapp 50.000 Einwohner zählenden Geburtsstadt Landau in der Pfalz. Nächstes Jahr wird er 40 Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet haben, davon 25 Jahre in Führungsfunktionen.
Nach einer Tätigkeit in der Kreisverwaltung Südliche Weinstraße wechselte der Diplom-Verwaltungswirt 1990 in die Verwaltung der Stadt Landau, wo er es von der Leitung der Pressestelle über die Geschäftsführung der Stadtholding bis hin zum Oberbürgermeister gebracht hatte.
Hirsch ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sein Lebensmittelpunkt liegt weiterhin in der Südpfalz, bei Landau. In seiner Freizeit widmet er sich dem Wandern im Pfälzer Wald oder in den Bergen, sofern er nicht mit seiner Familie unterwegs ist, zu der drei Enkeltöchter gehören.