Verena Ross, ESMA

„Mit mehr Transparenz gegen Greenwashing“

Die Chefin der europäischen Marktaufsichtsbehörde ESMA, Verena Ross, plädiert im Interview dafür, EU-einheitliche Regeln in der Anlageberatung zu schaffen. Im Kampf gegen Greenwashing setzt sie auf Daten und mehr Transparenz.

„Mit mehr Transparenz gegen Greenwashing“

Andreas Heitker.

Frau Ross, es gibt aktuell eine Debatte über Greenwashing. Aber haben wir tatsächlich ein Greenwashing-Problem? Oder liegt das Problem in der Regulierung, weil bestimmte Regeln einfach nicht klar genug formuliert sind?

Wir haben in Europa ein relativ komplexes Regelwerk, das sich auch noch in der Entwicklung befindet. Gleichzeitig haben wir eine enorme Nachfrage nach Nachhaltigkeits-Produkten. Viele Anleger haben den Wunsch, sich an der wirtschaftlichen Transformation zu beteiligen. Diese Kombination kreiert natürlich einen schwierigen Rahmen. Die ESMA hatte gerade zusammen mit den anderen zwei europäischen Finanzregulierungsbehörden einen sogenannten Call for Evidence zum Thema Greenwashing. Wir wollen herausbekommen, was hier eigentlich das Problem ist, wie groß es ist und wo es am relevantesten ist. Wir haben die Antworten noch nicht ausgewertet und haben auch noch keine erste Einschätzung. Wir planen aber, hierzu in den nächsten Monaten einen Bericht zu veröffentlichen, um ein rundes Bild zum Greenwashing-Phänomen zu bekommen.

Viele Artikel-9-Fonds sind in den letzten Monaten zum Beispiel zu Artikel-8-Fonds herabgestuft worden. Brauchen wir hier mehr regulatorische Klarheit? Was kann die ESMA hier machen?

Man braucht Erfahrungswerte, um sagen zu können, wie sich Fonds darstellen können. Sie haben recht: Viele Fondsunternehmen haben in der letzten Zeit beschlossen, nochmals die Einstufung ihrer Fonds zu überprüfen – mit ein wenig mehr Erfahrungen und mit mehr Daten. Denn auch die Datenlandschaft verändert sich ja. Es gibt mehr Informationen, wie sich zum Beispiel die einzelnen Komponenten der Fonds darstellen.

Mehr Daten, mehr Erfahrungen – aber keine neuen Leitlinien der ESMA?

Die ESMA und die anderen ESAs (European Supervisory Authorities, also auch die Behörden EIOPA und EBA, Anm. d. Red.) versuchen schon, zu helfen und größere Klarheit zu schaffen, wenn es Interpretationsspielräume gibt, zum Beispiel durch die Veröffentlichung von weiteren FAQs. Wir haben zum Teil auch Fragen an die EU-Kommission weitergeleitet, wenn es Unklarheiten im Gesetzesrahmen gibt, den wir nicht interpretieren können. So versuchen wir, den Marktteilnehmern zu helfen, aber auch den nationalen Aufsichtsbehörden, die ja die Einhaltung der Regulierung überprüfen müssen.

Sie haben kürzlich eine Konsultation zu womöglich irreführenden Fondsnamen abgeschlossen.

Ja und viele haben unseren Vorschlag begrüßt. Denn sowohl von Seiten der Anleger als auch von Anbieterseite wurden Unklarheiten in diesem Bereich kritisiert. Wie wir die Regeln im Endeffekt aber aufstellen sollten, darüber gehen die Meinungen noch auseinander. Auch innerhalb der Fondsbranche sind ja gemischte Stimmen zu hören.

Wann wird es hierzu Leitlinien der ESMA geben? Noch in diesem Halbjahr?

Ich schätze wir werden etwas länger brauchen. Wir müssen erst einmal entscheiden, welches Instrument wir hier benutzen werden. Sustainable Finance ist einer der Schlüsselbereiche in der neuen ESMA-Strategie für die nächsten fünf Jahre.

Was bedeutet das konkret?

In den nächsten ein bis zwei Jahren werden wir wahrscheinlich drei Hauptthemen haben: Zum einen geht es darum, mit Daten und mehr Transparenz gegen Greenwashing vorzugehen. Zweitens wollen wir mehr im Bereich der Aufsicht. Und drittens wollen wir natürlich weiterhin auch das Risiko im Bereich von Sustainable Finance beobachten. Konkret bedeutet das etwa, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) jetzt umzusetzen. Die neuen Regeln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden für mehr Transparenz extrem hilfreich sein. Es geht darum, wie die Aufsichtsbehörden mit den Regeln umgehen und wie sie von den Unternehmen interpretiert werden.

Können Sie angesichts der zusätzlichen Aufgaben auch auf zusätzliches­ Personal hoffen?

Leider nein. Daher müssen wir immer wieder unsere Prioritäten anpassen

Kommen wir noch zu einem anderen Thema: Die EU-Kommission will in Kürze eine Retail Investment Strategy veröffentlichen. Welchen Stellenwert haben Kleinanleger für die ESMA?

Der Schutz von Privatanlegern gehört zu den Prioritäten unserer Arbeit. Das haben wir extra so noch einmal in unserer neuen Strategie vermerkt. Natürlich muss die ESMA in diesem Bereich ganz eng mit den nationalen Behörden zusammenarbeiten. Der Kleinanleger ist ja sehr stark geprägt durch das, was in seinem nationalen Markt stattfindet, durch Sprache oder Kultur. Wir sollten aber trotzdem auch auf europäischer Ebene noch mehr tun, damit die Privatanleger die richtigen Informationen und die richtigen Hilfestellungen für ihre Investmententscheidungen erhalten.

Der Anteil von Retail Investments ist aber weiterhin gering, oder?

In den letzten Jahren sind die Investitionen von Privatanlegern schon gestiegen. Gerade in der Pandemiezeit hat das niedrige Zinsniveau dazu geführt, dass sich mehr Privatpersonen auch mit Anlagemöglichkeiten beschäftigt haben. Auch gibt es mittlerweile ja ganz andere digitale Möglichkeiten, um an relevante Informationen zu kommen.

Derzeit tobt ein Streit darüber, ob es auf europäischer Ebene ein Provisionsverbot in der Anlageberatung geben soll. Wie ist dazu die Meinung der ESMA?

Mit dem Thema haben wir uns schon vor einigen Jahren im Rahmen eines Mifid-Reviews beschäftigt. Und wir hatten damals darauf gedrungen, dass sich die EU-Kommission noch einmal eindringlich mit dem Thema auseinandersetzt. Die Frage ist doch, wie wir die Anlageberatung aufstellen können, um Konflikte zu vermeiden und die Anleger am besten zu schützen.

Meinen Sie, die jetzige Situation ist für Anleger nicht optimal?

Die Anlageberatung ist ja heute in den EU-Ländern unterschiedlich aufgestellt. In den Niederlanden gilt zum Beispiel schon ein Provisionsverbot. Die Anlageberatung ist in vielen Ländern in die Bankenlandschaft eingebettet. Wir müssen sehen, wie wir hier langfristig die richtigen Strukturen schaffen können, um den Privatanleger bei seinem Wunsch, sich am Kapitalmarkt zu beteiligen, zu unterstützen.

Braucht es dafür unbedingt eine europäische Lösung? Vielleicht kann man das ja auch auf nationaler Ebene belassen?

Aus ESMA-Perspektive ist es schon wichtig, hier einen einheitlichen Rahmen zu schaffen. Denn sowohl Anleger als auch Firmen, die Finanzprodukte anbieten, wollen oft auch die Möglichkeit, sich grenzüberschreitend am Kapitalmarkt beteiligen zu können. Für uns ist es daher extrem wichtig, dass wir im Binnenmarkt auch gemeinsame Lösungen und einheitliche Standards für Europa finden.

Das Interview führte

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