Ampelkoalition

Grünen-Parteitag für Koali­tionsver­handlungen

Nach der SPD machen nun auch die Grünen in einer Gremienentscheidung den Weg frei für Verhandlungen über eine Ampelkoalition. Die FDP will an diesem Montag entscheiden. Die Zugriff auf das Finanzministerium scheint umkämpft.

Grünen-Parteitag für Koali­tionsver­handlungen

Die Grünen sind bereit zu Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP: Bei einem kleinen Parteitag stimmten die Delegierten am Sonntag in Berlin mit großer Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen zur Bildung einer Ampel-Regierung. Von nach Parteiangaben 70 stimmberechtigten Delegierten votierten zwei mit Nein, es gab eine Enthaltung.

Damit steht jetzt nur noch die Zustimmung der FDP aus, deren Gremien am Montag entscheiden wollen. Bereits am Freitag hatte der SPD-Vorstand einstimmig für Koalitionsverhandlungen gestimmt. Erste Gespräche könnten in einigen Tagen beginnen.

„Treiber der großer Transformation“

Vor der Abstimmung hatten Parteichef Robert Habeck und andere Mitglieder des Grünen-Sondierungsteams die Delegierten auf eine Regierungsbeteiligung eingeschworen. „Wir werden Treiberin großer Transformationsaufgaben sein“, sagte Habeck, der um ein Mandat für eine „Fortschrittsregierung“ bat. Seine Partei stehe kurz davor, zum zweiten Mal Teil einer Bundesregierung zu werden. „Es ist tatsächlich so, dass wir gerade ein Stück weit grüne Geschichte schreiben.“

Habeck betonte den Machtwillen der Grünen nach Jahren in der Opposition. Die Partei müsse nun beweisen, dass sie reif dafür sei, Regierungsverantwortung zu übernehmen. „Wir kommen aus der Defensive in die Gestaltung, in die Offensive.“ Die Grünen könnten nun mitgestalten. „Wir wollen diese Verantwortung“, betonte Habeck. „Wir wollen die Wirklichkeit gestalten.“

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner gab die Losung aus: „Lasst uns die Lampen der Ampel richtig verdrahten, damit sie vier Jahre auf Aufbruch leuchten.“

„Finanzministerium nicht der FDP überlassen“

Bei den Grünen mehren sich unterdessen die Stimmen, in der angestrebten Ampel-Koalition das einflussreiche Bundesfinanzministerium nicht kampflos der FDP zu überlassen. Es müsse jetzt darum gehen, Spielräume innerhalb der Schuldenbremse zu nutzen und mit der Bekämpfung von Geldwäsche sowie Steuerhinterziehung und Steuervermeidung neue Spielräume zu schaffen, sagte der Finanzpolitiker Sven Giegold am Sonntag in Berlin. Der Grünen-Politiker war Mitglied des Sondierungsteams seiner Partei zur Bildung einer Regierung mit SPD und FDP. „Die Finanzquellen werden wir nur erschließen, wenn wir die Umsetzung dieser Maßnahmen selbst in die Hand nehmen. Wir dürfen nach schweren Kompromissen in der Steuerpolitik nicht auch noch die Umsetzung der vereinbarten Finanzpolitik opfern.“

Geld sei zwar nicht alles, ergänzte Giegold. „Aber ohne Geld wird alles nichts.“ Das gelte dann für die Umsetzung der Klimapolitik als auch die geplante Digitalisierung des Landes. „Nur durch diese Finanzquellen wird es mit den bitter notwendigen Investitionen klappen.“

Noch deutlicher wurde der grüne Finanzminister aus Baden-Württemberg, Danyal Bayaz, auf Twitter. Grünen-Co-Chef Robert Habeck sei die Idealbesetzung für das Finanzministerium im Bund, das de facto ein Veto-Recht hat. „Er hat sich nicht erst seit gestern gründlich auf diese verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet.“

Im Wahlkampf hatte FDP-Chef Christian Lindner keinen Hehl daraus gemacht, Finanzminister werden zu wollen. Mehrere FDP-Politiker sprachen sich dafür am Wochenende aus. Im Sondierungspapier trägt der Teil zur Steuer- und Finanzpolitik die Handschrift der Liberalen. Ein hochrangiger FDP-Parlamentarier sagte Reuters, mit dem Ergebnis der Sondierungen laufe alles auf Lindner als Finanzminister hinaus.

Die Grünen sind in der Ampel-Konstellation gemessen an der Größe ihrer Fraktion im Bundestag der zweitstärkste Partner. Weil die SPD als größte Fraktion das Kanzleramt bekäme, hätten die Grünen eigentlich die zweite Wahl. Zuletzt hatten viele Insider aber gesagt, die FDP solle mit dem Finanzministerium in die Ampel-Regierung gelockt werden. Die Grünen könnten dafür ein deutlich aufgewertetes Klimaministerium bekommen.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Diskussion sei verfrüht. „Ressortfragen stellen sich für uns derzeit überhaupt nicht. Solche Dinge klären wir am Ende erfolgreicher Koalitionsverhandlungen.“

Noch wichtige Details zu klären

Harsche Kritik von der Basis war auf dem Grünen-Parteitag kaum zu hören. Cansin Köktürk aus Bochum merkte an, sie habe bei dem Sondierungsergebnis den Eindruck, die FDP habe die Wahl gewonnen. „Wo steht in diesem Sondierungspapier die wahrhaftige Beseitigung der Armut in diesem Land?“, fragte sie. Andere hoben den Handlungsbedarf hervor, den es in einer künftigen Bundesregierung beim Klimaschutz und beim Kampf gegen Armut gebe.

Mehrere Delegierte mahnten, dass in den nun bevorstehenden Koalitionsverhandlungen noch wichtige Details zu klären seien. So müsse deutlich werden, woher das Geld für notwendige Investitionen kommen solle, betonte die Hamburger Delegierte Anja Hajduk. Die Grünen müssten FDP und SPD in die Pflicht nehmen, um „diese 500 Milliarden für ein Investionens-Jahrzehnt“ zusammenzubekommen. Die Grünen wollen insbesondere in öffentliche Infrastruktur und Klimaschutz investieren.

Der Kieler Delegierte Lasse Petersdotter lobte die Einigung auf 12 Euro Mindestlohn als „Revolution“, warnte aber auch, die Vorhaben zum Klimaschutz müssten in den Koalitionsverhandlungen noch konkreter und ambitionierter werden. Die Grünen müssten aufpassen, „dass die FDP nicht Grenzen zieht, während wir Hoffnungen beschreiben“.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock erhielt insbesondere für die im Sondierungspapier festgehaltenen Klimaschutz-Vorhaben Applaus. Hier sei wahnsinnig viel erreicht worden zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.

In einer künftigen Bundesregierung unter Beteiligung ihrer Partei könne es aber nicht sein, dass sich diese „globale Aufgabe unserer Zeit“ auf nur ein Ministerium konzentriere – ohne einen ressortübergreifenden Ansatz, etwa für den Verkehr oder die Landwirtschaft. „Es funktioniert eben nicht, wenn das Verständnis ist: Ein Ressort kümmert sich mal um Klimaschutz“, sagte Baerbock und bedankte sich an dieser Stelle auch bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) für deren Bemühungen gegen alle Widerstände.

Bei der Rente könne man nicht die nächsten Jahre so „dahinwurschteln“, stellte Baerbock klar. „Wir wollen einen echten Aufbruch schaffen, auch für zukünftige Generationen.“

In den Koalitionsverhandlungen stünde aber auch noch einiges an Arbeit an, sagte Baerbock, die ankündigte, dass die europäische Außenpolitik eine große Rolle in den Verhandlungen spielen werde. In der Vergangenheit sei „eine Chance für die Menschenrechte in dieser Welt“ vertan worden. „Es wird immer wieder dazu kommen, dass wir auch bis in die Nacht heftig ringen“, sagte sie mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen voraus.

Während es in Sondierungsverhandlungen um die noch unverbindliche Erkundung von Gemeinsamkeiten und Differenzen geht, haben die Partner bei Koalitionsgesprächen eine gemeinsame Regierung schon fest im Blick. Über den Koalitionsvertrag wollen die Grünen ihre Mitglieder in einer Urabstimmung entscheiden lassen. Erklärtes Ziel ist eine Regierungsbildung vor Weihnachten.

Am Freitag hatten die Unterhändler einer möglichen künftigen Ampel-Koalition ihr Sondierungsergebnis präsentiert. Dies nahm der kleine Parteitag der Grünen „zustimmend zur Kenntnis“. Es listet Themen auf, bei denen die drei Parteien eine „Vorfestlegung“ erzielen konnten.

Einige Streitthemen sind bereits abgeräumt. So soll es keine Steuererhöhungen geben und die Schuldenbremse eingehalten werden. Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro pro Stunde steigen. Beim grünen Kernthema Klimaschutz ist unter anderem ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien und ein Kohleausstieg im Idealfall schon bis 2030 geplant.

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