Anlagestratege Achim Stranz

„Aktienmärkte weltweit in der Nähe des Bodens“

Achim Stranz hält für unwahrscheinlich, dass die Aktienmärkte am Beginn einer Baisse stehen. Der CIO von Axa Investment Managers Deutschland glaubt, dass sie sich in der Nähe ihres Bodens befinden.

„Aktienmärkte weltweit in der Nähe des Bodens“

Christopher Kalbhenn.

Herr Stranz, sehen Sie noch Abwärtspotenzial für die Aktienmärkte, oder ist das Tief Ihrer Meinung nach schon erreicht worden?

In Kriegszeiten kann man nie wissen, was noch passieren kann. Es können in nächster Zeit durchaus noch Nachrichten kommen, die kurzfristig Druck auf die Aktienmärkte bringen, gerade in Europa. Das könnten etwa militärische Aktionen Russlands in der Nähe der polnischen Grenze sein. Der Krieg überschattet zudem andere Nachrichten, die ebenfalls kurzfristig für Druck sorgen könnten.

Welche wären das?

Der Lockdown in Schanghai. China ist in der Pandemiebekämpfung noch nicht so weit wie Europa. Wenn das in China so weitergeht und sich die Omikron-Variante ausbreitet, könnte es weitere Lockdowns geben.

Was ist Ihrer Meinung nach jenseits kurzfristiger Risiken für die Aktienmärkte wichtig?

Mittel- bis langfristig bedeutend und auch wichtiger ist das, was auf der Inflations- und Zinsseite geschieht. Es fällt auf, dass die Börsen auf die jüngsten Leitzinserhöhungen positiv reagiert haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass damit die Unsicherheit beseitigt ist. Vor kurzem wurde noch darüber diskutiert, ob die Fed in diesem Jahr siebenmal ihren Leitzins erhöht. Es gab die Sorge, dass die Zentralbanken befürchten, dass die Inflation aus dem Ruder läuft, und über das Ziel hinausschießen könnten mit der Folge, dass sie die Wirtschaft abbremsen könnten. Die Kommunikation der Notenbanken war etwas verwirrend. Die hohe Inflation wurde als vorübergehend bezeichnet mit der Erwartung, dass die mit der Behebung der Lieferkettenprobleme zurückgehen würde. Dann mutierte Lagarde zur Falkin, als sie erklärte, man müsse mehr tun, was die Reduzierung der Anleihekäufe betrifft. In der anschließenden Sitzung hat sie dann klargestellt, dass die EZB auf Kurs bleibt.

Es wird befürchtet, dass die Inversion der Zinsstrukturkurve auf eine bevorstehende Rezession hindeuten könnte. Wie sehen Sie das?

In den USA rentieren die fünfjährigen Staatsanleihen höher als die zehnjährigen. Das ist ungewöhnlich. Es wird zwar oft darauf verwiesen, dass eine inverse Zinskurve ein Rezessionssignal sei. Allerdings gilt das nur, wenn die gesamte Zinskurve invertiert. Wir interpretieren die Lage so, dass die Marktteilnehmer in den USA davon ausgehen, dass die Inflation hartnäckig hoch bleibt, aber spätestens im dritten Jahr, wenn sich die Lieferketten normalisieren, der Druck wieder nachlässt.

Befinden sich die Aktienmärkte Ihrer Meinung nach denn nun in der Nähe des Bodens? Wie beurteilen Sie auf den gedrückten Kursniveaus die Bewertungslage?

Wir glauben, dass die Aktienmärkte weltweit in der Nähe des Bodens angekommen sind. Dass der Boden 5% tiefer liegen wird, kann man aber nicht ausschließen. Wir stehen nicht am Anfang einer Baisse. Die Schätzungen für das Gewinnwachstum in den USA liegen zwischen 8 und 10%, trotz der Zinserhöhungen, des Krieges und der China-Lockdowns. Es gibt nach wie vor keine starken Revisionen der Analysten nach unten. Damit haben wir ein KGV von 20 bis 21 und somit eine Gewinnrendite von knapp unter 5%. Bei einer zehnjährigen Treasury-Rendite von 2,5% liegt die Aktienrisikoprämie somit bei rund 2,5%, während wir im langfristigen Mittel von 3% ausgehen. Die Börse ist also nicht überbewertet. Vielmehr bewegen wir uns in einem normalen Equilibrium. Wir erwarten in den nächsten Jahren ein Wachstum von 3% und eine Inflation von 3%. In den USA ist alles im Lot.

Und in Europa?

Die europäischen Aktienmärkte sind deutlich billiger, was aber Gründe hat. Das KGV des Euro Stoxx 50 liegt bei nur 15, auch für Europa werden steigende Unternehmensgewinne erwartet. Bei einem KGV von 14 bis 15 ergibt sich eine Gewinnrendite von 7%. Legt man die Verzinsung der zehnjährigen französischen Staatsanleihe von rund 1% zu­grunde, ergibt sich eine Risiko­prämie europäischer Aktien von 6%. Das wäre eigentlich günstig, wäre da nicht die Besorgnis, dass die EZB wegen der hohen Inflation noch mehr machen muss. Hinzu kommen die erheblichen wirtschaftlichen Risiken, die von der hohen Ab­hängigkeit von russischen Ener­gielieferungen bzw. von einer ­möglichen Unterbrechung der Lieferungen ausgehen. Auch dies wird von den Marktteilnehmern eingepreist.

Wie groß sind die wirtschaftlichen Risiken?

Belastungen gehen zum einen von Preiserhöhungen aus. Ferner droht energieintensiven Branchen wie der Glasindustrie die Stilllegung. Die Folge wäre eine Rezession. Andererseits würde das bedeuten, dass die Zinserhöhungen nicht so deutlich ausfallen, wie das derzeit zu erwarten ist. Kommt es aber zu einer Lohn-Preis-Spirale, könnte auch eine Stagflation die Folge sein.

Etliche Unternehmen haben ihre Dividenden teilweise deutlich angehoben. Sehen Sie hier attraktive Anlagechancen?

Die Dividenden sind attraktiv. Wir als Haus bevorzugen allerdings langfristiges strukturelles Wachstum, sprich Quality Growth. Daher sind Dividenden und Aktienrückkaufprogramme für uns in gewisser Weise auch ein Zeichen, dass Unternehmen nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anstellen sollen. Dividenden sind nicht per se schlecht. Wir würden aber lieber Investitionen in langfristiges Wachstum sehen, also eher eine etwas niedrigere Dividendenrendite mit guten Wachstumsperspektiven als eine hohe Dividendenrendite.

Setzen Sie auf bestimmte Anlagethemen wie Klimaschutz, Digitalisierung et cetera?

Die Pandemie und der Krieg haben Lieferkettenprobleme aufgezeigt. Wir erwarten zwar keine Deglobalisierung, aber einen Trend zur Repatriierung. Es wird eine gewisse Mindestproduktion heimisch sein, um einen kompletten Stillstand der Produktion zu vermeiden. Das wird zu höheren Produktionskosten führen. Im Ergebnis steigt damit der Druck zur Digitalisierung und Automatisierung. Langfristig sind damit Digitalisierung und Automatisierung interessante Anlagethemen. Darüber hinaus ist der Service-Sektor im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel interessant. So wird der private Sektor im Pflegebereich sehr stark wachsen. Ein weiteres interessantes Thema ergibt sich für die kommenden zwei Jahre dadurch, dass die Zinsen auf ein vernünftiges Niveau zurückkehren. Der gesamte Finanzsektor wird dadurch attraktiv. Wir bevorzugen eher die Universalbanken, da die Investmentbanken zu abhängig von kurzfristigen Schwankungen im Handelsgeschäft sind.

Welche Anleihesegmente sind derzeit zu bevorzugen?

Europäische Inflationsanleihen sind interessant. In den USA performen sie nicht mehr so gut, weil die Inflationserwartungen auf Sicht von zwei Jahren bereits sinken. Das tun sie in Europa nicht. Hier ist die Sorge größer, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen könnte. 6% Rentenerhöhung ist kein Signal an die Gewerkschaften, sich zurückzuhalten. Einen Blick wert sind auch High-Yield-Anleihen. Sie bewegen sich aktienähnlich, und wir bevorzugen Aktien. Aber man kann sie beimischen, da die Aufschläge teilweise attraktiv sind. Bei den Investmentgrade-Anleihen sind die Aufschläge noch zu niedrig, um den steigenden Zinstrend aufzufangen. In Europa muss man eine kurze Duration wählen, die kurze Spread-Duration liegt aber nur bei 40 bis 50 Basispunkten. In den USA kann man Investmentgrade kaufen. Die Spreads liegen je nach Branche bei 50 bis 60 Basispunkten. Das ist schon gut. In der langen Duration erhält man in den USA eine Rendite von 3 bis 3,5%, in Europa nur 2%. Das bietet wenig Puffer.

Ist der chinesische Aktienmarkt nun interessant?

China ist derzeit eine Wildcard, weil sich das Land wie erwähnt in der Pandemiebekämpfung dramatisch von Europa unterscheidet. Der chinesische Impfstoff scheint nicht so gut zu funktionieren, die Durchseuchung der Bevölkerung ist möglicherweise nicht so weit fortgeschritten wie in anderen Ländern. Wenn die chinesischen Behörden so handeln wie derzeit, müssen sie große Sorgen haben. Wuhan war schon schlimm genug, Schanghai hat aber noch ganz andere Dimensionen. Wir sehen in China derzeit ein Sonderrisiko, weshalb wir uns erstmal zurückhalten.

Das Interview führte

BZ+
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