Das Risiko erhöhter Inflationsraten hat zugenommen
„Nun sag, wie hast du’s mit der Inflation?“ Notenbanken weltweit sehen sich frei nach Goethes Faust zunehmend mit dieser Frage konfrontiert, angesichts zuletzt rapide gestiegener Güter- und Dienstleistungspreise. Zwar lässt sich ein Teil des deutlichen Inflationsanstiegs der letzten Monate durch Sondereffekte wie höhere Rohstoffpreise, gestörte Lieferketten und die Konjunkturerholung erklären. Darüber hinaus sprechen allerdings mehrere Faktoren für eine Zunahme der mittelfristigen Inflationsrisiken.
Überschießen zugelassen
Erstens, Änderung in der geldpolitischen Reaktionsfunktion. Viele Notenbanken haben ihre Geldpolitik strategisch neu ausgerichtet – ein Überschießen des Inflationsziels wird mittlerweile explizit oder implizit zugelassen. Dies erhöht das Risiko geldpolitischer Fehler und einer zu späten Reaktion auf inflationäre Tendenzen. Zweitens, exzessives Geldmengenwachstum und Überschussliquidität. Der Verweis auf eine weiterhin niedrige Geldumlaufgeschwindigkeit sticht nicht: Empirisch ist kein enger Zusammenhang zwischen Umlaufgeschwindigkeit und Inflation feststellbar.
Drittens, De-Globalisierung und Protektionismus. Die nachlassende Dynamik des internationalen Handels durch den anhaltenden Aufbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse sowie die nationale Rückverlagerung von Teilen der globalen Angebots- und Lieferketten wirken tendenziell preistreibend.
Viertens, demografischer Wandel. Entgegen der weit verbreiteten Meinung dürften von der begonnenen demografischen Wende inflationäre Impulse ausgehen.
Fünftens, Bekämpfung der Vermögens- und Einkommensungleichheit. Von einem verstärkten politischen Fokus auf eine gerechtere Vermögens- und Einkommensverteilung sowie einer daraus folgenden stärkeren Umverteilung und „Big Government“ könnten inflationäre Impulse ausgehen.
Sechstens, überhitzte Immobilienmärkte. Der zuletzt starke Anstieg der Hauspreise und Überhitzungstendenzen an den Immobilienmärkten weltweit werden sich in vielen Ländern mit einer Verzögerung von 12 bis 18 Monaten auch in den Güter- und Dienstleistungspreisen niederschlagen.
Siebtens, fiskalische und finanzielle Dominanz. Der stetige Anstieg der globalen öffentlichen und privaten Verschuldung auf Rekordniveaus spiegelt sich nicht nur in erhöhten Finanzstabilitätsrisiken und Ängsten vor einer Schuldenspirale wider. Zusätzlich ist die Abhängigkeit der Schuldner von niedrigen Zinsen und Anleihekäufen der Notenbanken im Rahmen ihrer quantitativen Lockerungsmaßnahmen weiter gestiegen. Dies birgt mittel- bis längerfristiges Inflationspotenzial.
Achtens, Kampf gegen den Klimawandel. Steigende CO2-Preise und indirekte Inflationseffekte aus einer nachhaltigeren Ausrichtung der globalen Produktionsprozesse sollten sich in höheren Güterpreisen niederschlagen.
Fokus auf den USA
All dies zeigt: Das Risiko mittelfristig erhöhter Inflationsraten jenseits der aktuellen Markterwartungen hat deutlich zugenommen. Gleichwohl ist unserer Meinung nach eine erneute Hochinflationsphase ähnlich der der 1970er und 1980er Jahre unwahrscheinlich. Was bedeutet dies nun für Investoren? Erste Hinweise liefert ein Blick in die Vergangenheit, wofür wir die Erträge verschiedener Anlageklassen in Zeiten steigender Inflationsraten analysiert haben. Aufgrund der breiten Datenverfügbarkeit lag der Fokus dabei auf den USA. Unsere Untersuchungen führen zu drei Erkenntnissen.
Erstens, ein Umfeld moderater Inflation (2 bis 4%) war in der Vergangenheit ideal für Aktien. Im Schnitt war die Jahresperformance von Aktien dabei zweistellig – und zwar inflationsbereinigt! Aber auch Rentenmärkte haben in diesen Phasen eine solide reale Rendite erwirtschaftet, die im mittleren einstelligen Bereich lag. Dieses Ergebnis ist allerdings beeinflusst durch das in der Vergangenheit deutlich höhere Zinsniveau.
Zweitens nahm die Attraktivität von Aktien absolut und relativ zu Renten ab, je höher die Inflationsrate stieg. Bei Inflationsraten zwischen 4 und 6% war die Aktienperformance immer noch positiv und übertraf die von Rentenanlagen. Bei höheren Inflationsraten waren Aktien aber Anleihen oft unterlegen und verloren sogar absolut an Wert. Wie lässt sich dies ökonomisch erklären? Das Ergebnis für die Rentenmärkte ist naheliegend: Steigende Inflationsraten implizieren typischerweise ein höheres nominales Zinsniveau (sofern der Realzins nicht deutlich sinkt) – die Anleihepreise fallen. Höhere Inflationsraten belasten aber auch die Aktienmärkte, aufgrund des dämpfenden Effekts auf die Wirtschaftsaktivität: Je höher die Teuerung, desto niedriger das verfügbare Einkommen und damit der private Konsum. Zudem kommen die Margen und Gewinne der Unternehmen unter Druck. Ab mittleren einstelligen Inflationsraten schlägt sich dies dann auch in einem Bewertungsabschlag für Aktien nieder.
Drittens lieferten Rohstoffe, insbesondere Öl und Industrie-Rohstoffe, den stabilsten Inflationsschutz. Interessanterweise ist Gold hingegen als Inflations-Hedge nur bedingt geeignet. Als „zinslose Währung“ profitiert der Goldpreis zwar von niedrigen Realzinsen – hohe Inflationsraten können, müssen aber nicht mit niedrigen realen Renditen einhergehen.
Präferenz für Aktien
Was bedeuten diese Erkenntnisse nun aktuell? Sofern die Inflationsraten – entsprechend unserer Erwartung – nicht dauerhaft über mittlere einstellige Werte steigen, spricht dies für eine Präferenz von Aktien gegenüber Rentenanlagen. Eine beginnende Normalisierung der Geldpolitik, allen voran in den USA, könnte allerdings – zumindest temporär – für deutliche Unruhe an den Aktienmärkten sorgen, zumal gerade US-Aktien extrem hoch bewertet sind. Darüber hinaus sollten Investoren aufgrund des extrem niedrigen Zinsniveaus bei Inflationsüberraschungen mit negativen inflationsbereinigten Erträgen rechnen.
Blick auf Rohstoffe
Anleger sollten zudem Rohstoffe, Rohstoffaktien und Währungen rohstoffexportierender Länder in Erwägung ziehen. Hier ist allerdings im Falle von Inflationsüberraschungen mit niedrigeren Erträgen als in der Vergangenheit zu rechnen, aufgrund des jüngst deutlichen Rohstoffpreisanstiegs und des zu erwartenden anhaltenden regulatorischer Gegenwinds im Kontext der Klimapolitik. Und schließlich sollten Investoren in jedem Fall auf ein Szenario mittelfristig höher als bisher vom Markt antizipierter Inflationsraten vorbereitet sein.
Zuletzt erschienen:
Stärkerer Gleichlauf von Aktien und Staatsanleihen auch in den nächsten Jahren (187), Berenberg
Die Zukunft der Ernährung – besser und nachhaltiger (186), Pictet Asset Management
Aussichten für Emerging Markets langfristig intakt (185), Columbia Threadneedle
Warum Qualität Inflationsschutz bieten kann (184), Vontobel Asset Management