Ukraine-Krieg

Steigende Risikoprämien für Zukäufe nutzen

Anleger sind gut beraten, ihr Aktienengagement nicht zu verringern, sondern durch den Krieg in der Ukraine kurzfristig steigende Risikoprämien zu Zukäufen zu nutzen.

Steigende Risikoprämien für Zukäufe nutzen

„Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und Wochen, in denen Jahrzehnte­ passieren“, lautet ein Sprichwort­. Es beschreibt treffend die neu gewonnene Solidarität in der Europäischen Union und der Nato und das dauerhaft verschobene Verhältnis zu Putins Russland. Aber gilt das auch für die Finanzmärkte? Wir beschreiben die Transmissionsmechanismen des seit 1945 größten Landkriegs in Europa auf die Finanzmärkte sowie deren zeitliche Dimension.

Leider gehören kriegerische Auseinandersetzungen zur Menschheitsgeschichte. Dementsprechend hat sich für die Folgen lokaler Konflikte für den Kapitalmarkt ein typisches Muster herausgebildet: Erwartet der Markt kriegerische Auseinandersetzungen (Beispiel Irak-Krieg), fallen die Kurse im Vorfeld der Auseinandersetzung und erholen sich gleich zu Kriegsbeginn mit der sich auf­lösenden Unsicherheit. Investoren überreagieren also auf die schlechten Nachrichten eines aufziehenden Krieges. Dies wird nach Kriegsausbruch korrigiert. In Kriegen mit einem Prolog bieten im Vorfeld Bonds, Gold, Rohstoffe und Kasse Schutz, während Aktien und Credit abverkauft werden.

Startet ein Krieg dagegen unerwartet (Beispiel Invasion von Kuwait durch den Irak), fallen die globalen Preise für riskante Anlagen mit dem Ausbruch des Krieges stark. Ist der Preisrückgang durch eine erhöhte Risikoprämie induziert, erholen sich Aktien schnell. Verändern sich dagegen die mittelfristigen Gewinnerwartungen, dauert der Kursrückgang länger.

Welches Szenario gilt für den Russland-Ukraine-Konflikt, der ei­gentlich schon zum „Russland gegen den Westen“-Konflikt eskaliert ist? Aus unserer Sicht leiden die globalen Finanzmärkte eher unter einem sprunghaften Anstieg von Risiko­prämien statt unter nachhaltig geringeren­ Gewinnerwartungen, denn die Eskalation des Konflikts war vom Markt nicht erwartet und somit nicht eingepreist. Anders ausgedrückt: Während die erwarteten Cashflows von Aktien nicht nachhaltig Schaden nehmen, steigt die Risikoaversion der Anleger. Für die Finanzmarkttheorie stellt Krieg ein nicht versicherbares Hintergrund­risiko dar. Steigen solche Hintergrundrisiken, werden Anleger ihre Nachfrage nach riskanten Wertpapieren reduzieren.

Mit dem Anstieg der geforderten Risikoprämie sinken die Kurse und damit die geforderte Risikoprämie. Für den langfristigen Anleger hat sich nichts an seiner Position geändert. Zwar ist sein Vermögen gesunken, aber gleichzeitig hat sich die erwartete Rendite erhöht. Solange der noch lokale Krieg keine Auswirkung auf die langfristigen Cashflows des Gesamtmarktes hat, ist die Vermögensposition eines langfristig orientierten Anlegers gleich geblieben. Sicher könnte man sich ärgern, nicht schon früher verkauft zu haben. Mit dem Ärgern sollte man aber noch etwas warten. Erst wenn der rechtzeitige Wiedereinstieg gelingt, hat sich der Verkauf rückblickend gelohnt.

Aus der „Behavioral Finance“ wissen wir, dass Anleger dazu neigen, die Wahrscheinlichkeit extremer Ereignisse zu überschätzen (Prospect Theory) und die jüngste Vergangenheit zu extrapolieren (Gesetz der kleinen Zahl). Anleger sind also gut beraten, ihr Aktienengagement nicht zu verringern, sondern (solange es die persönliche Risikotragfähigkeit zulässt) kurzfristig steigende Risikoprämien für Zukäufe zu nutzen.

Während für Anleger „Abwarten und Tee trinken“ eine plausible Reaktion auf die tragischen Ereignisse in der Ukraine sein kann, gilt das nicht für Zentralbanken. Tatsächlich hat sich die Inflation auf beiden Seiten des Atlantiks schon vor Kriegsausbruch und dem damit einhergehenden Anstieg der Rohstoffpreise verselbständigt. Eine der wenigen makroökonomischen Gewissheiten dürften weiter steigende Preise sein. Bereits im Februar schnellte die Inflation im Euroraum auf 5,8% empor – ein Allzeithoch! In den USA ist die Preisentwicklung sogar noch dynamischer.

Die Europäische Zentralbank (EZB) zeigt sich zunehmend besorgt. Bei ihrer letzten Sitzung hat die EZB die Weichen auf eine Zinserhöhung gestellt. Die Anleihekäufe laufen aus, im dritten Quartal soll Schluss sein. Danach wird dann an der Zinsschraube gedreht.

Mit dem steten Anstieg der Preise werden sich die Inflationserwartungen weiter verfestigen. Denn Unternehmen und Gewerkschaften reagieren auf steigende Preise – und zwar unabhängig davon, ob die Gründe in einem Krieg oder in einer überhitzten Wirtschaft zu suchen sind. Solidarität mit Kiew wird sich kaum in Lohnzurückhaltung und Margenverzicht ausdrücken.

Dabei sind die Preissteigerungen längst nicht mehr nur auf höhere Kosten für Energie zurückzuführen. Im Januar stiegen die Preise von mehr als drei Vierteln aller Kategorien im Warenkorb schneller als das Inflationsziel von 2%.

In den USA und Europa dürften die makroökonomischen Bremsspuren des erschütternden Krieges eher kurzfristiger Natur sein. Nicht zuletzt, weil die geopolitische Krise die staatliche Nachfrage beflügeln dürfte: nicht nur, um Investitionen in Landesverteidigung und Energiesicherheit voranzutreiben, sondern auch, um den zu erwartenden Strom von Flüchtenden zu bewältigen. All dies wird die Inflation erhöhen. Freie Kapazitäten im Euroraum sind gering: Im Januar erreichte die Arbeitslosigkeit ihr historisch niedrigstes Niveau.

EZB muss noch zulegen

Das Zaudern der EZB wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass sie die Zinsen später umso schneller und höher anpassen muss, um die Inflation wieder einzufangen. Eine zu spät, dann aber stark agierende Zentralbank ist allzu oft der Grund für wirtschaftliche Einbrüche. Es ist über 70 Jahre her, dass die USA die Inflation von über 5% auf ein moderates Niveau reduzierten, ohne dabei eine Rezession zu verursachen. Die EZB muss daraus die richtigen Schlüsse ziehen und darf trotz des Krieges die geldpolitische Normalisierung nicht verschleppen. Die Richtung stimmt zwar, aber beim Tempo muss die EZB noch zulegen.