City sorgt sich um den Sommerurlaub
City sorgt sich um den Sommerurlaub
Volatilität macht Londoner Anlagestrategen zu schaffen
hip London
„Ich werde sehr nervös, was meinen Sommerurlaub angeht“, sagte Karen Ward, die Chefstrategin von J.P. Morgan Asset Management (JPMAM) für die EMEA-Region, auf einer Presseveranstaltung in London. „Normalerweise kann ich im August abschalten und entspannen. Aber die Gewissheit habe ich nicht mehr.“
Es werde weitere Ankündigungen aus dem Weißen Haus geben, die für Volatilität sorgen. US-Präsident Donald Trump hatte mit seinen Zollankündigungen am von ihm sogenannten „Liberation Day“ im vergangenen Monat die Kapitalmärkte erschüttert.
Wesentliches Defizitproblem
Moody’s war die dritte Ratingagentur, die den USA ihr Triple-A-Rating entzog. Das sorgte vor allem bei Trump-Kritikern für ein großes Hallo. „Nichts hat sich wirklich verändert“, kommentierte John Bilton, der Multi-Asset-Stratege von JPMAM, die Herunterstufung. Man habe dadurch nichts erfahren, was man nicht schon vorher gewusst habe.
Sie sei „ein Signal dafür, dass es in den Vereinigten Staaten ein wesentliches Defizitproblem gibt, das absorbiert werden muss“, sagte Bilton. Standard & Poor’s und Fitch Ratings hatten ihre Bonitätsnoten schon vor einiger Zeit gesenkt. Man müsse sich aber darüber im Klaren sein, dass es keine echte Alternative zu US-Treasuries gebe.
Langsameres Wachstum erwartet
Mit einer schweren Rezession in den Vereinigten Staaten rechnet Ward allerdings nicht. Solange es zu keinen extremen Ereignissen komme, werde sich das US-Wirtschaftswachstum zwar verlangsamen. Es werde aber nicht zu einer nennenswerten Schrumpfung kommen, sagte die Strategin des Vermögensverwalters.
Bei Goldman Sachs beziffert man die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession derzeit mit 35%. Dieser Wert habe seit Jahresbeginn „stark oszilliert“, sagte Kunal Shah, Co-CEO von Goldman Sachs International in London. Er habe einmal für wenige Stunden bei 55% gelegen, aber auch schon einmal bei 25%. Die Volkswirte hätten ihre Sicht der Dinge mehrfach anpassen müssen.
„Optimistisch für Europa“
Für Investments auf dem Alten Kontinent sprechen gleich mehrere Punkte. „Wir sollten nicht unterschätzen, wie sehr sich das politische Umfeld in Europa verändert“, sagte Ward. Das gelte sowohl für die Fiskalpolitik als auch für die Geldpolitik und die Regulierung. „Deshalb bin ich ziemlich optimistisch für Europa“, fügte sie hinzu. „Meine persönliche Meinung ist, dass Fiskalpolitik viel wirkmächtiger ist als Geldpolitik.“
Die Wirkung von Staatsausgaben auf das Wirtschaftswachstum werde allgemein unterschätzt. Einer der Gründe dafür, dass es den Vereinigten Staaten so gut gehe, sei, dass die US-Regierung viel mehr ausgebe. In Europa habe man dagegen Schulden abgebaut. Das sei ein wesentlicher Grund für die Underperformance Europas. „Die Regierungen haben nicht so viel ausgegeben wie die amerikanische“, sagte Ward. Länder wie Deutschland hätten Spielraum für Ausgaben. Die Frage sei lediglich, wie schnell das vom Bundestag freigegebene Geld ausgegeben werden könne.
Wachstumsfreundlichere Regulierung
Die EZB werde den Leitzins weiter senken, weil sie sich weniger Sorgen um die Inflation mache. Auch das werde hilfreich sei. Und dann sei da noch das aufsichtsrechtliche Regime. „Regulierung kann sehr stark darin sein, Wachstum zu behindern“, sagte Ward. Nachdem sich europäische Politiker zunehmend auf Wachstum fokussieren, dürfte auch die regulatorische Agenda wachstumsfreundlicher werden. Sie sei deshalb ziemlich optimistisch, dass Europa die Ungewissheit rund um Handel und Globalisierung meistern werde.
„Die USA sind ein außerordentliches Land, aber das ist bereits eingepreist“, sagte Ward. „Und zu Europa kursiert schon seit einiger Zeit eine Menge Pessimismus.“ Märkte seien lernfähig. Und genau das könne man derzeit beobachten. Vielleicht habe es zu viel Optimismus für die USA gegeben, vielleicht zu viel Pessimismus für Europa. „Diese Bewertungslücke kann sich aus meiner Sicht weiter schließen“, sagte Ward. „Wir stehen erst am Anfang eines Richtungswechsels bei diesen Kapitalströmen.“
Weniger sicher und dominant
„Jeder denkt darüber nach, manche handeln“, sagte Matt Gibson, der Chef der Client Solutions Group bei Goldman Sachs Asset Management (GSAM), vor Journalisten in London. Die USA würden nicht mehr für so sicher und dominant gehalten wie noch vor sechs Monaten. Er habe allerdings niemanden gesehen, der sich von seinen US-Positionen komplett verabschiedet hätte. Im Schnitt stutzten Kunden ihr Exposure ein bisschen zurück und investierten etwas mehr in Europa und ein bisschen mehr in Asien.
Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Anleger nach den US-Wahlen im Februar „ziemlich maximal long USA“ gewesen seien, sagte Bryon Lake, Chief Transformation Officer der Client Solutions Group. Die Frage sei, ob sie nun zur Ausgangssituation zurückkehren oder ob sie weniger haben wollten.
Stabilität gefragt
„Wir verzeichnen viel mehr Interesse an Europa“, sagte Patrick Thomson, CEO EMEA von JPMAM. Es sei allerdings schwer zu sagen, ob das zulasten anderer Regionen gehe. Die Kunden hielten Europa mit Blick auf die vergleichsweise stabile, vorhersagbare Politik für einen sehr attraktiven Teil der Welt, um Geld anzulegen.
Bilton geht zwar nicht davon aus, dass das Ende der Sonderstellung der Vereinigten Staaten am weltweiten Finanzmarkt naht. Er erwartet aber, dass sie neu bewertet wird. Die höhere Volatilität der Inflation führe potenziell dazu, dass höhere Risikoprämien gefordert werden.
Ward zählt Inflation zu den Risiken, mit denen man sich auch in den kommenden Jahren auseinandersetzen müsse. Es handele sich dabei nicht um einmaliges Vorkommnis nach Abklingen der Pandemie. „Wir kehren zwar nicht in die 1970er Jahre zurück. Aber die 2010er Jahre kommen ganz bestimmt nicht wieder.“
US-Präsident Donald Trump macht mit seiner erratischen Zollpolitik die Börsen nervös. Das gefährdet zwar so manchen Urlaubsplan von Finanzmarktteilnehmern in der Londoner City. Europäische Assets könnten jedoch aus Sicht von Strategen wie Karen Ward von J.P. Morgan Asset Management davon profitieren.