Zeitverzögert, aber aggressiver
Zinsschritte zeitverzögert, aber aggressiver
Volatile Inflation erschwert nicht nur britischen Geldpolitikern die Arbeit
Von Andreas Hippin, London
Eine vorbeugende Geldpolitik wird für die Bank of England aus Sicht von Notenbankbeobachtern zunehmend unmöglich. Die Notenbanker haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Zeitverzögerte, aggressive Zinsschritte werden deshalb wahrscheinlicher.
Die britische Notenbank hat in der vergangenen Woche zwar den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,25% gesenkt. Die am Markt kursierende Hoffnung, dass nun rasch weitere Zinsschritte folgen werden, könnte jedoch schnell verpuffen. Auf der Bank of England Watchers' Conference in London warnten gleich zwei Mitglieder des geldpolitischen Komitees mit Blick auf den heimischen Inflationsdruck vor einer übereilten Lockerung.

Die Indikatoren für die Hartnäckigkeit der Inflation bewegten sich in die richtige Richtung, sagte Megan Greene. „Aus meiner Sicht sind sie aber immer noch zu hoch.“ Die ehemalige Chefvolkswirtin von Kroll gehört dem Monetary Policy Committee (MPC) seit Juli 2023 an. Ähnlich sah es Clare Lombardelli. Vorsicht sei angebracht.
Kurzfristig stärkerer Preisauftrieb
Die Bank of England geht davon aus, dass der Preisauftrieb im Sommer bis auf 3,7% zunehmen wird. „Die Frage ist jetzt, ob Individuen und Firmen sehr empfindlich auf den kurzfristigen Anstieg der Inflation reagieren werden“, sagte Greene. Das gelte insbesondere für die privaten Haushalte. Nach der jüngsten Annäherung zwischen Washington und Peking fürchte sie allerdings, dass die Umleitung von Handelsströmen stärker disinflationär wirken könnte als angenommen.
Doch wolle sie die Bedeutung des Außenhandels für die britische Wirtschaft nicht übertreiben, sagte Greene.
Weniger Ungewissheit willkommen
„Wir sehen jetzt Veränderungen, die die Ungewissheit reduzieren“, sagte Lombardelli. Das sei „unglaublich willkommen“. Doch das dominante Thema der Diskussionen im MPC sei der heimische Inflationsdruck gewesen. Die starke Lohnentwicklung sei mit dem Inflationsziel der Notenbank von 2,0% nicht vereinbar. Die ehemalige OECD-Chefvolkswirtin hatte im vergangenen Jahr Ben Broadbent als stellvertretenden Gouverneur der Bank of England abgelöst.

Die jüngsten Arbeitsmarktdaten deuten auf eine Verlangsamung des Lohnwachstums hin. Für die Privatwirtschaft lag es in den drei Monaten per Ende März bei 5,6%, also 0,2 Prozentpunkte unter der jüngsten Prognose der Notenbank.
Glaubwürdigkeit in Gefahr
Die Arbeitslosenquote stieg auf 4,53%. In der Privatwirtschaft gingen 57.000 Stellen verloren. Das war der höchste Wert im laufenden Zyklus, strich der Deutsche-Bank-Volkswirt Sanjay Raja heraus. Die von der Steuerbehörde HMRC gelieferten Daten seien „besorgniserregend“. Seit August 2024 summierten sich die Verluste auf 222.000 Stellen.
Es sei für Notenbanken schwer geworden, vorbeugend zu handeln, sagte Katherine Neiss, die Europa-Chefvolkswirtin von PGIM Fixed Income. Die Inflation sei viel variabler geworden. „Das könnte uns noch einige Zeit erhalten bleiben“, sagte Neiss, die zuvor lange für die Bank of England tätig war. Das stelle auch ein Problem für die Glaubwürdigkeit der Notenbanken dar.
Volatilere Notenbankbilanzen
Wenn Notenbanken zeitverzögert antworten müssten, müssten sie das viel aggressiver tun, sagte Neiss. Das werde sich auf ihre Bilanzen auswirken. Die Bank of England sei vielleicht ein bisschen weniger unabhängig als andere, weil ihre Aufgabenstellung jährlich vom jeweiligen Schatzkanzler festgelegt werde, sagte Isabelle Mateos y Lago, Chefvolkswirtin von BNP Paribas. Alle Notenbanken hätten infolge von Quantitative Easing Geld verloren, konstatierte sie. Doch in Großbritannien sei das zum Problem geworden, „weil das Schatzamt dafür einen Scheck ausstellen muss“.
Es gebe zuweilen eine „etwas problematische Reflexivität und Prozyklizität“. Das erschwere Vorhersagen dazu, wo es mit der Geldpolitik hingehe.
„Prozyklische Anpassungen“
Die britischen Fiskalregeln erzwängen „prozyklische Anpassungen“, wenn die Zinsen stiegen, sagte Mateos y Lago. Das gebe es in anderen Märkten nicht.
MPC-Mitglieder hielten sich zurück, über Bewegungen bei den Renditen britischer Staatsanleihen (Gilts) zu sprechen, sagte Sushil Wadhwani, der dem Komitee von Juni 1999 bis Mai 2002 selbst angehörte. Es sei „wirklich unglückselig“, dass man in der Privatwirtschaft stets mit Steuererhöhungen rechne, wenn die Renditen stiegen. Anleger würden zunehmend unruhig.
„Fiskalische Ermüdung“
Aus Sicht von Andrew Benito, Chefvolkswirt von Eisler Capital, ist „fiskalische Ermüdung“ ein wesentliches Risiko für Großbritannien. Benito war zuvor gut ein Jahrzehnt für die Bank of England tätig. Der Risikoprämie, die Anleger für britische Staatsanleihen und die Währung fordern, liege eine fiskalpolitische Risikoprämie zugrunde.
Wadhwani nannte den verteidigungspolitischen Ausblick eine „perfekte Gelegenheit“ für die Regierung, die Fiskalregeln zu lockern. Sie dürften nicht verändert werden, um mehr Geld für die Aufrüstung des Militärs zur Verfügung zu haben, sagte dagegen Benito. Vorhersehbare Aufwendungen für die Landesverteidigung sollten durch Steuererhöhungen finanziert werden, forderte er. Man müsse alles tun, um eine Lockerung der Fiskalregeln zu verhindern. „Wir haben Glück gehabt, dass es wegen der Hoffnung, dass Trump einen Kompromiss eingeht, einen Aufwärtstrend an den Märkten gab.“