EZB-Urteil

Bundesregierung weist EU-Verfahren zurück

Die EU-Kommission hat wegen eines umstrittenen EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland gestartet. Die Bundesregierung hält das für unbegründet. Im schlimmsten Fall drohen Strafgelder.

Bundesregierung weist EU-Verfahren zurück

ms/Reuters Frankfurt

Die Bundesregierung hält die Einleitung eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen eines umstrittenen EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts für unbegründet. Das machte sie in einem am Dienstag bekannt gewordenen Schreiben an die EU-Kommission deutlich. In dem Schreiben weist die Regierung auf die grundsätzliche Europafreundlichkeit der deutschen Verfassung sowie auf den Verfassungsauftrag zur Verwirklichung eines vereinten Europas hin. Das „Handelsblatt“ hatte zuerst über das Schreiben berichtet.

Anfang Juni hatte die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren initiiert. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Mai 2020, mit dem Karlsruhe das EZB-Staatsanleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) als zum Teil nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet und sich damit auch erstmals offen gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt hatte. Der konkrete Streit ist bereits beigelegt. Die EU-Kommission befürchtet aber einen schwerwiegenden Präzedenzfall und Nachahmer.

Im Kern geht es um den Vorrang des Europarechts. Juristen streiten seit Jahren über die Frage, ob EU-Recht generell Vorrang vor nationalem Verfassungsrecht hat – oder nur vor einfachen nationalen Gesetzen. Unter dem Stichwort der Verfassungsidentität hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt argumentiert, dass ein Vorrang des Europarechts entfalle, wenn eine Rechtslage mit dem unveränderlichen Kern des Grundgesetzes unvereinbar sei.

Die Regierung betont nun in ihrem Schreiben die generelle Europafreundlichkeit des Grundgesetzes. „Ebenso wie die Europäischen Verträge verpflichtet daher vor diesem Hintergrund das Grundgesetz alle deutschen Verfassungsorgane, ihre jeweiligen Kompetenzen europarechtsfreundlich und im Einklang mit den Unionsverträgen auszuüben“, heißt es in dem Schreiben. Darin regt die Regierung zudem an, einen Dialog einzurichten zwischen dem EuGH und den Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten. Dadurch solle ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Gerichtsverbundes in Europa gefördert und gestärkt werden. Die Bundesregierung denkt an ein regelmäßiges Forum zum Austausch unter den Gerichten, das als Konsultationsgremium dienen könnte.

Die EU-Kommission kann Strafgelder gegen Deutschland verhängen, falls es Berlin nicht gelingt, Brüssel von einer Einstellung des Verfahrens zu überzeugen.

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