Volker Wieland

„Das stärkt nicht gerade das Vertrauen in die EZB“

Die EZB hat das Inflationsproblem lange unterschätzt. Nun hat sie einen Schwenk vollzogen und erhöht die Leitzinsen wie nie zuvor. Im Interview ordnet der Geldpolitikexperte Volker Wieland das alles ein.

„Das stärkt nicht gerade das Vertrauen in die EZB“

Mark Schrörs.

Herr Professor Wieland, die EZB wird ihre Leitzinsen am Donnerstag wohl erneut kräftig anheben – mutmaßlich um weitere 75 Ba­sispunkte. Ist das wegen der hohen Inflation alternativlos oder angesichts der Rezessionsrisiken schon überzogen?

Die EZB wird noch mehrere größere Zinserhöhungen umsetzen müssen. Die reale Verzinsung ist bei aktuell 0,75% Einlagenzins und 9,9% Inflation tief negativ und bleibt angesichts hoher Inflationserwartungen noch länger so. Die Finanzmärkte erwarten derzeit, dass der Marktzins bis Anfang 2023 auf gut 3% steigt. Ob dieses Niveau reicht, um die Inflationserwartungen wieder unter Kontrolle zu bekommen, bleibt abzuwarten. Ich bin da skeptisch. Die Rezession ist ausgelöst durch Kostensteigerungen und den Rückgang der energieintensiven Produktion und nicht durch einen Nachfrageausfall. Daher erwarte ich nicht, dass die Rezession das Inflationsproblem sozusagen von selbst löst.

Die EZB weist Kritik an einer zu spät vollzogenen Zinswende zurück und argumentiert, das Inflationsproblem wäre jetzt trotzdem mehr oder weniger gleich. Wie beurteilen Sie das?

Jetzt immer noch darauf zu beharren, man hätte zu jedem Zeitpunkt alles richtig gemacht, stärkt nicht gerade das Vertrauen in die EZB. Die Fed scheint da schon weiter. Da Zinserhöhungen nach empirischen Schätzungen den maximalen Effekt auf die Inflationsrate nach vier bis sechs Quartalen entfalten, ist es natürlich immer besser, möglichst frühzeitig auf zunehmende Inflationsrisiken zu reagieren. Hätte die EZB die Zinswende im Sommer oder Herbst 2021 eingeleitet, hätte dies nun schon deutliche Auswirkungen.

Wie stark wird die EZB ihre Leitzinsen erhöhen müssen, um die Inflation in Richtung des 2-Prozent-Ziels zu drücken? Reicht da ein neutrales Niveau von rund 2%?

Ob 2% nominaler Zins neutral wäre, würde ich bezweifeln. Der Markt er­wartet schon 3% für nächstes Jahr. Mir scheint dies eher noch zu wenig, wenn man die Inflation bis 2024 wieder auf 2% drücken will. Vor diesem Hintergrund halte ich die EZB-Inflationsprognose für 2024 für recht optimistisch.

Einige Beobachter warnen vor einem Zinserhöhungswettlauf der Zentralbanken weltweit, der die Volkswirtschaften in die Rezession treibe. Ist das eine Gefahr?

Da die Energiekrise weitgehend ein globaler Schock ist, ist es sinnvoll, dass die Notenbanken in allen betroffenen Ländern die Zinsen erhöhen. Damit werden allzu starke Wechselkursschwankungen, die wiederum inflationstreibend sind, unterbunden. Natürlich wäre es besser gewesen, Fed und Co. hätten früher begonnen und könnten deshalb nun moderater vorgehen. Die Rezession kommt, insbesondere in Europa und Deutschland, weil die Energiekosten extrem gestiegen sind. Die Geldpolitik akkommodiert, das heißt, Banken können sich weiterhin zu sehr niedrigen Zinsen Notenbankliquidität in beliebigem Umfang besorgen. Die Kreditvergabe an den Privatsektor ist hoch, und die Konditionen sind in realer Kaufkraft gemessen weiterhin sehr günstig. Die Notenbankpolitik dämpft die Rezession. Sie löst sie sicherlich nicht aus.

Parallel zur Zinswende nimmt in der EZB die Debatte über die Bi­lanz zu. Ist es jetzt Zeit, den Bilanzabbau anzugehen? Und wie?

Ja, die EZB sollte die Bilanz Schritt für Schritt reduzieren. Dies betrifft die Staatsanleihebestände ebenso wie die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte. Der Grund für die Bilanzausweitung – aus geldpolitischer Sicht – war, dass die EZB bei Deflationsgefahr die Zinsen nicht weit unter null senken konnte und deshalb zu einer quantitativen Lockerung griff. Aber dieses Problem haben wir nun wirklich nicht mehr. Es geht darum, die Zinsen zu erhöhen und die Liquidität zu verknappen.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass es infolge von Zinswende und Bilanzabbau zu Liquiditätsengpässen und Turbulenzen an den Euro-Finanzmärkten kommt?

Das kann man nicht ausschließen. Deshalb ist es vorteilhaft, früh zu starten und dann in moderaten Schritten zu reduzieren.

Die EZB will Zinsgewinne abschaffen, die die Banken aus dem Zu­sammenspiel großzügiger Finanzhilfen (TLTROs) und der raschen Zinswende generieren. Ist das richtig oder droht den Banken da zur Unzeit eine weitere Belastung?

Das ist grundsätzlich ein Problem. Allerdings sollten gegebene Zusicherungen nicht nachträglich ge­brochen werden. Jedenfalls hat die EZB den Banken über die Differenz zwischen Einlagezins und dem Zins auf die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte nun schon länger erhebliche sichere Erträge verschafft.

Einige Euro-Zentralbanken warnen vor enormen Verlusten für die Zentralbanken, die auf die Steuerzahler zurückfallen könnten. Für wie gefährlich hielten Sie das?

Die Notenbankgewinne sind bereits deutlich zurückgegangen. Man erinnere sich, dass die Bundesbank für die Jahre 2020 und 2021 keine Gewinne an den Bundeshaushalt abgeführt hat. Wenn Deutschland Anleihen zu negativen Zinsen begibt und diese aufgrund der Notfallanleihekäufe der EZB wieder auf der Bundesbankbilanz landen, dann ist das eben keine so günstige Finanzierung, wie es auf den ersten Blick erschien. Denn die Bundesbank macht entsprechend Verluste. Allerdings schlagen Notenbankverluste nicht eins zu eins auf den Steuerzahler durch. Notenbanken können sogar mit negativem Eigenkapital operieren und ihre Geldpolitik durchführen. Vertrauensbildend ist das allerdings nicht. Da die große Bilanz geldpolitisch nicht notwendig ist, sondern eher stört, sollte sie zügig abgebaut werden. Dann versiegen auch die Quellen der Bilanz- und Verlustrisiken.

Die Fragen stellte

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