Konjunkturampel

Deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession

Die Energiekrise schickt die deutsche Wirtschaft auf Talfahrt. Die Erwartungsindikatoren sind schwach wie nie. Die Konjunkturampel von Börsen-Zeitung und Kiel Economics steht für 2022 und 2023 klar auf Rot.

Deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die deutsche Wirtschaft rutscht wegen der Energiekrise in die Rezession. Was die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics bereits vor vier Monaten signalisiert hat, ist mittlerweile Konsens unter Ökonomen. Die Frage ist nur, wie tief und langwierig sie ausfällt. Die Antwort auf diese Frage hängt zu einem guten Teil von der Entwicklung des Ukraine-Krieges, der Energiepreise und der Lage der wichtigsten Abnehmer von Waren „Made in Germany“ ab. Die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics steht jedenfalls ganz klar auf Rot – und zwar für 2022 und 2023. Signalgeber sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren, anhand deren sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt zu Zeiten der Weltfinanzkrise 2008/2009 befindet.

Schon im Mai hatte die Konjunkturampel das Risiko einer Rezession im laufenden Jahr auf 78% taxiert. Ende Juni war die Rezession den Ampelwerten zufolge praktisch ausgemacht – die Wahrscheinlichkeit lag bei 100%. Bei diesem Wert, so erläutert Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), steht die Ampel gemäß der jüngsten Datenauswertung noch immer.

Die Gründe, warum es für die hiesige Konjunktur so trübe aussieht, sind bekannt: Der Ukraine-Krieg und die westlichen Sanktionen gegen Russland haben die Teuerung für Energierohstoffe nochmals angeheizt. Deutschland und Europa befinden sich in einer Energiekrise, vor allem weil die versiegenden Gaslieferungen aus Russland nur zu einem kleinen Teil ersetzt werden können. Die rasant gestiegenen Gaspreise erhöhen die Energiekosten drastisch und zehren kräftig an der Kaufkraft der Verbraucher. Deren Stimmung ist derzeit so schlecht wie nie, aus Sorge vor der nächsten Heizkostenrechnung und wegen der steigenden Lebenshaltungskosten schränken sie sich bereits ziemlich ein – selbst bei Nahrungsmitteln.

Im Kampf gegen die hohe Inflation haben die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Notenbanken ihre Geldpolitik entschieden gestrafft. Die strikte Null-Covid-Strategie Pekings behindert nicht nur die wirtschaftliche Aktivität in China empfindlich. Sie dämpft auch die Nachfrage nach Exporten aus Deutschland und behindert die Versorgung mit Vorprodukten aus China. Seit längerem belastet dies die Produktionsprozesse in der hiesigen Industrie und in der Bauwirtschaft – was wiederum den Preisauftrieb weiter anheizt. Dass allerorten Fachkräfte schwer zu bekommen sind, wirkt Meier zufolge in dieselbe Richtung.

Die jüngst veröffentlichte Gemeinschaftsdiagnose hält der Institutschef für zu optimistisch. Die vier größten Wirtschaftsforschungsinstitute gehen von einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion in der zweiten Hälfte des laufenden Jahres sowie im Startquartal des Jahres 2023 aus. Nachdem das Auftaktquartal 2022 recht stark verlief, wird das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) ihrer Prognose nach mit 1,4% noch klar im positiven Bereich liegen. Im kommenden Jahr dürfte das BIP dann um 0,4% schrumpfen. Die Bundesregierung ist in ihrer Herbstprojektion, auf der dann wiederum die Steuerschätzung aufbaut, den Zahlen der Gemeinschaftsdiagnose ohne Abweichung gefolgt. Für 2024 erwartet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass das BIP dann wieder um 2,4% zulegt.

Die Septemberumfragen des Ifo-Instituts und der GfK zeigen aber, dass die wichtigsten Erwartungsindikatoren für die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr im Jahresdurchschnitt so stark einbrechen wie lange nicht mehr (siehe Grafik). Die Geschäftserwartungen der Unternehmen werden voraussichtlich auf ein Niveau fallen, das nur im Jahr der Ölkrise 1974 noch geringfügig unterschritten wurde. Die Einkommenserwartungen der privaten Haushalte sinken im laufenden Jahr sogar so stark wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1972 – und zwar mit Abstand. In der Vergangenheit, so mahnt Meier, folgten schon deutlich weniger ausgeprägten Stimmungsverschlechterungen stärkere Einbrüche der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Ver­hältnis zum Trendwachstum, als es jetzt von der Gemeinschaftsdiagnose prognostiziert wird.

Mehr Insolvenzen erwartet

Kiel Economics erwartet mit Blick auf die Entwicklung der Stimmungsindikatoren für das Jahr 2023 einen BIP-Rückgang um 3%. Dabei sei bereits eingerechnet, dass sich die Konjunktur auf den wichtigsten Exportmärkten der deutschen Wirtschaft insgesamt bislang besser hält als in der Mehrzahl der früheren Rezessionsphasen in Deutschland, erklärte Meier. Denn die meisten Länder, in die die deutsche Wirtschaft liefert, seien weniger von russischem Gas abhängig als die deutsche Wirtschaft. Noch ungewiss ist, ob der von der Bundesregierung diskutierte 200 Mrd. Euro schwere „Abwehrschirm“ gegen den Gaspreisanstieg die Stimmung der Unternehmen und Verbraucher in den nächsten Wochen aufhellen oder zumindest stabilisieren und damit die Konjunktur stützen kann. Das Bundeswirtschaftsministerium warnt mit Blick auf aktuelle Frühindikatoren und Umfragen aber bereits vor wieder steigenden Firmenpleiten – eine Insolvenzwelle aber sei „derzeit noch nicht in Sicht“.

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