Die Ordnungspolitikerin und ein Investitionsminister
Die Ordnungspolitikerin und ein Investitionsminister
Beim Amtsantritt der neuen Regierung ist insbesondere im Wirtschaftsministerium ein Wind of Change zu spüren.
Von Andreas Heitker, Berlin
Große Worte will Lars Klingbeil zum Start in sein neues Amt nicht verlieren. Der SPD-Co-Parteichef steht am Mittwochmittag in der Sonne im Garten des Bundesfinanzministeriums, um die Geschäfte von Jörg Kukies zu übernehmen. Mit sehr viel Demuth und Freude, wie er sagt. Viel Zeit zum Einarbeiten bleibt ohnehin nicht: Am Nachmittag warten bereits die ersten EU-Amtskollegen auf Telefonate. In der nächsten Woche ein erster Ecofin in Brüssel und natürlich die wichtige Steuerschätzung. Klingbeil lässt sich inhaltlich nur soviel entlocken: Der Haushalt 2025 soll noch vor der Sommerpause ins Kabinett. Das sei so mit Kanzler Friedrich Merz besprochen. Und außerdem verstehe er seine Rolle nicht nur als Finanzminister, sagt der 47-jährige Vizekanzler. Er wolle auch „Investitionsminister“ sein. Es gehe schließlich darum, das 500 Mrd. Euro-Sondervermögen für Infrastruktur möglichst effizient einzusetzen. Vor den Türen des Finanzministeriums veranstaltet die Bürgerbewegung Finanzwende derweil eine Protestaktion, in der der neue Minister aufgefordert wird, auch die CumCum-Milliarden nicht zu vergessen.

Während Bundeskanzler Merz bereits zu seinen ersten Auslandsreisen nach Paris und Warschau unterwegs war, fand am Mittwoch in fast allen Bundesministerien in Berlin die Staffelübergabe statt. Manchmal blieb es nicht bei Blumen, Glückwünschen und den üblichen Danksagungen. Besonders emotional ging es im Wirtschaftsministerium zu, das in den vergangenen Jahren so oft im Zentrum der politischen Debatten stand. Auf einer Mitarbeiterversammlung wurde der bisherige Minister Robert Habeck mit Standing Ovations verabschiedet.

Auch seine Nachfolgerin Katherina Reiche zeigte Respekt und erinnerte an die Bewältigung der Energiekrise 2022. Habeck habe in dieser Zeit „eine fast übermenschliche Leistung“ erbracht, sagte die CDU-Politikerin, die zuletzt als Energiemanagerin eine Eon-Tochter geleitet hatte. Reiche machte dann aber schon sehr deutlich, dass künftig ein anderer Wind im Hause wehen wird. Sie verweist auf den Ökonomen Alfred Müller-Armack und auf Ludwig Ehrhardt und betont: Das Wirtschaftsministerium solle unter ihrer Führung wieder „das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung“ werden. Die bewährten Prinzipien der sozialen Markwirtschaft müssten zeitgemäß gestaltet werden. Und sie wolle wieder mehr auf Eigenverantwortung setzen, sagt Reiche. Habeck war ja wiederholt eine zu kleinteilige, dirigistische Regulierung vorgeworfen worden.
Realitätscheck für die Energiewende
Die gebürtige Brandenburgerin hat schon recht klare Vorstellungen, wo sie schnell erste Akzente setzen will: Die Energiewende will sie einem „Realitätscheck“ unterziehen, um die Systemkosten in den Griff zu bekommen. Die Ausschreibungen von neuen Gaskraftwerken sollen rasch vorangebracht werden, wobei ein noch stärkerer Fokus auf die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS/CCU) gelegt wird. Auch beim Netzausbau wird es eine Bestandsaufnahme und möglicherweise eine Adjustierung geben.

Reiche verweist auch auf die „historische Wachstumskrise“, in der sich Deutschland aktuell befinde. Sie warnt, dass auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt „komplexer“ werde und die Unternehmensinsolvenzen anstiegen. Die 51-Jährige möchte aber zugleich auch Optimismus verbreiten. „Deutschland hat Substanz“, sagt sie und nennt zur Begründung unter anderem die Patentanmeldungen, den Mittelstand und hier insbesondere die vielen Hidden Champions.
Handelsverträge. Bürokratieabbau. Diversifizierung von Lieferverträgen. Stärkung des EU-Binnenmarktes. Reiche, die als ehrgeizig und diszipliniert gilt, hat bereits an ihrem ersten Arbeitstag als Ministerin das Bohren vieler dicker Bretter auf der Agenda. Sie könne sich für tragfähige, komplexe Lösungen begeistern, sagt die studierte Chemikerin. „Ich habe es nicht gerne einfach.“ Für ihr neues Amt ist das nicht die schlechteste Eigenschaft.