Wirtschafts- und Strukturpolitik

Düstere Aussichten für Investitionsstandort Deutschland

Deutschland kommt nur mit mehr Investitionen aus der Wachstumsschwäche heraus. Doch die Akteure machen einen großen Bogen um den Wirtschaftsstandort. Eine Ifo-Umfrage fordert Reformen, eine Strategy&-Studie warnt vor fortschreitender Deindustrialisierung.

Düstere Aussichten für Investitionsstandort Deutschland

Düstere Standortaussichten

Ökonomen rechnen mit weiteren Einbußen bei Direktinvestitionen – Hemmschuh Bürokratie

Von Stephan Lorz, Frankfurt
lz Frankfurt

Deutschland kommt nur mit mehr Investitionen aus der Wachstumsschwäche heraus. Doch die Akteure machen einen großen Bogen um den Wirtschaftsstandort. Eine Umfrage des Ifo-Instituts fordert Reformen, eine Studie der Unternehmensberatung Strategy& warnt vor fortschreitender Deindustrialisierung.

Seit 2018 hat die deutsche Industrie massiv ihre Produktion zurückgefahren. In der Chemieindustrie lag das Minus nach einer Studie der Unternehmensberatung Strategy& bei 21%, in der Papierindustrie bei 19%, in der Produktion von Grundmetallen bei 18%, in der Glasherstellung bei 16% und in der Autoindustrie auch bei 16%. Diese negative Bilanz ließe sich mit vielen anderen Branchen fortsetzen. Die Deindustrialisierung ist nach Ansicht der Strategy&-Analysten längst in vollem Gang.

Deutschland profitiert nicht mehr vom globalen industriellen Wachstum, um Schwächen oder hohe Löhne im Inland ausgleichen zu können. Schlimmer: Auch in der Zukunft sieht es nicht gut aus für den heimischen Standort. Denn wenn es um Investitionsentscheidungen geht, warnt Strategy&, so fallen diese in der Regel nicht zugunsten von Europa aus – und schon gar nicht für das Zielland Deutschland. Die Auslandsinvestitionen hierzulande etwa in der Chemiebranche seien seit 2018 um 90% eingebrochen. Zukunftsinvestitionen, Engagement in neue Technologien und Fertigungsprozesse – das alles geht inzwischen in andere Länder und macht diese wettbewerbsfähiger, wachstumsstärker, moderner und leistungsstärker – auch im Hinblick auf Steuereinnahmen und damit Finanzstärke des Staates.

„Goldesel“ Export fällt aus

Diese Entwicklung ist besonders fatal, weil Deutschland in der Vergangenheit immer wieder am Wachstumstropf außerhalb des eigenen Landes hing und über hohe Exporte von der Nachfrage im Ausland profitiert hat. Die Jahre 2022 und 2023 stellten nun etwa für die Chemieindustrie den Wendepunkt dar. Es seien die ersten Jahre gewesen, in denen mehr Produkte aus China nach Deutschland verschifft worden seien als umgekehrt. „Der Export-Goldesel kann die Schwäche des heimischen Marktes nicht mehr ausgleichen“, schreiben die Ökonomen. Grund seien neben den hohen Energiepreisen die unklare Lage auf den Energiemärkten allgemein im Hinblick auf die Klimatransformation sowie die hohe Regulierungsdichte.

Letzteres ist auch nach Ansicht des Ifo-Instituts eines der größten Hemmnisse überhaupt, wenn es um die deutsche Standortattraktivität geht. In dem vierteljährlichen Economic Experts Survey (EES) wurden Wirtschaftsexperten weltweit zur aktuellen europäischen und deutschen Wirtschaftspolitik befragt. In der jüngsten Befragung lag einer der Schwerpunkte rund um Standortfragen, also wie es um das Land bei der Ansiedlung von Unternehmen in Form von Direktinvestitionen und Finanzanlagen bestellt ist. Die Ifo-Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von einem „sehr ernüchternden Bild“. Laut der überwiegenden Mehrheit der Befragten habe der heimische Wirtschaftsstandort in den vergangenen zehn Jahren „substanziell an Attraktivität verloren“. Die Bewertungen des heimischen Standorts seien in Deutschland so negativ wie in wenigen anderen Ländern Europas. Zudem erwarteten von den deutschen Experten knapp die Hälfte sogar eine weitere Verschlechterung in den kommenden zehn Jahren.

Steuerbelastung weniger tragisch

Verantwortlich für die aktuelle negative Einordnung der Standortbedingungen sind nach Ansicht der Experten hauptsächlich die Regulierungen und die bürokratischen Hindernisse. Hinzu kommen die fehlende Digitalisierung sowie der Fachkräftemangel. Die in der Standortdebatte oft an erster Stelle genannte Steuerbelastung rangiert in dieser Umfrage eher auf den hinteren Rängen.

Die genannten Negativfaktoren decken sich größtenteils mit Studien ähnlicher Fragestellungen, wie etwa dem Länderindex der Stiftung Familienunternehmen. Und auch im internationalen Standortranking der Managementhochschule IMD in Lausanne werden die Hauptprobleme in ähnlicher Reihenfolge benannt. Das mit Abstand wichtigste Handlungsfeld für die Politik zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts ist nach den Ifo-Angaben „der Bürokratieabbau, gefolgt von Investitionen in die Infrastruktur sowie der Erleichterung von Arbeitsmigration“.

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