Geldpolitik

EZB beschleunigt den Exit

Die Europäische Zentralbank hat ihre historische Zinswende vollzogen und mit einer kräftigeren Zinserhöhung als zuletzt angekündigt überrascht. Die Hintergründe der Entscheidung.

EZB beschleunigt den Exit

ms/rec Frankfurt

Angesichts des sich weiter verschlechternden Inflationsausblicks hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen stärker als angekündigt angehoben und dem umstrittenen Negativzins auf einen Schlag ein Ende gesetzt. Der EZB-Rat erhöhte am Donnerstag seine drei Leitzinsen um jeweils 50 Basispunkte – die erste Zinserhöhung seit elf Jahren und die stärkste Anhebung seit dem Jahr 2000. Bei der Sitzung im Juni hatte der Rat nur eine Anhebung um 25 Punkte angekündigt. Der Leitzins liegt nun bei 0,5%, der Einlagensatz bei 0,0%. Für die nächsten Sitzungen avisierte die EZB weitere Anhebungen – ohne sich im Detail festzulegen.

Mit ihrer Zinswende reiht sich die EZB ein in die Riege jener Notenbanken, die sich weltweit mit Zinserhöhungen und anderen Maßnahmen gegen die hartnäckig hohe Inflation stemmen. Sie agiert aber weiter vorsichtiger als andere Zentralbanken, vor allem als die US-Notenbank Fed. Die Fed hat seit März ihren Leitzins um insgesamt 150 Basispunkte angehoben. Nächste Woche wird eine weitere Erhöhung um 75 oder sogar 100 Basispunkte erwartet. Zugleich hat die Fed mit dem Abbau ihrer aufgeblähten Bilanz begonnen.

Dass der EZB-Rat seine Zinsen nun gleich um 50 statt um 25 Basispunkte erhöhte, erklärte Lagarde mit zwei Gründen: Zum einen habe eine „ak­tualisierte Be­urteilung der Inflationsrisiken“ ergeben, dass sich einige der im Juni attestierten Risiken in­zwischen materialisiert hätten. Sie verwies unter anderem auf das unerwartete neue Rekordhoch bei der Teuerung im Juni von 8,6%.

Interessanterweise nannte sie dabei auch explizit die starke Abwertung des Euro in den vergangenen Monaten. Der Euro war zum Dollar zeitweise unter die Parität gefallen, was über höhere Importpreise die Inflation weiter anheizt. Zum anderen verwies sie auf den Beschluss zum neuen Transmission Protection In­strument (TPI), das ein Auseinanderdriften der Euro-Staaten verhindern soll (siehe nebenstehenden Text).

Mit Blick auf die weitere Zinsentwicklung kündigte der EZB-Rat an, dass bei den kommenden Sitzungen „eine weitere Normalisierung der Zinssätze angemessen sein“ werde. Zur Höhe weiterer Schritte äußerte sich der Rat aber nicht, und auch Lagarde betonte, das sei offen und abhängig von den eingehenden Daten. „Durch das heutige Vorziehen des Ausstiegs aus den Negativzinsen kann der EZB-Rat zu einem Ansatz übergehen, bei dem Zinsbeschlüsse von Sitzung zu Sitzung gefasst werden“, hieß es im Statement. Bei der Sitzung im Juni hatte der Rat nach einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte im Juli eine stärkere Anhebung von mutmaßlich 50 Punkten für September signalisiert.

Die nur vagen Ankündigungen dürften auch damit zu tun haben, dass im EZB-Rat zwar ein Konsens herrschte über das Ende des Negativzinses, das nun vollzogen ist. Weniger Einmütigkeit scheint aber zu be­stehen bei der Frage, ob der Leitzins zumindest auf das sogenannte neutrale Niveau angehoben werden sollte – also jenes Niveau, das die Wirtschaft weder stimuliert noch bremst. Dieses Niveau wird in der EZB auf 1% bis 2% geschätzt.

Die Hardliner im EZB-Rat, die sogenannten „Falken“, dringen auf deutliche Zinserhöhungen – auch als Signal an die Tarifpartner. So argumentiert beispielsweise Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Nagel hat jüngst sogar gesagt, dass der Zins womöglich zeitweise über das neutrale Niveau, also in den restriktiven Bereich, steigen müsse, um die Inflation zu senken.

Dagegen mahnen die „Tauben“ im EZB-Rat wie Direktoriumsmitglied Fabio Panetta zur Vorsicht. Sie haben vor allem die Folgen des Ukraine-Kriegs im Blick. Sie sorgen sich auch vor einer neuen Euro-Schuldenkrise. Zudem verweisen sie darauf, dass die hohe Inflation vor allem exogene Gründe habe, gegen die EZB-Zinserhöhungen nichts ausrichten könnten. Diese Sicht teilen viele Volkswirte. Allerdings hat sich die Inflation zuletzt immer stärker ausgebreitet. Inzwischen liegt die Teuerungsrate bei mehr als 75% des EU-Warenkorbs oberhalb des Ziels von 2%.

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