EZB-Ratsmitglied für vorsichtigen Notenbankkurs
mpi Frankfurt
Italiens Notenbankgouverneur Ignazio Visco sieht Anzeichen für eine deutlich nachlassende Inflation in der mittleren Frist. Dies zeigten sowohl der Blick auf die Entwicklung der Preise in der Eurozone auf annualisierter Dreimonatsbasis als auch die Inflationserwartungen von Finanzmarktteilnehmern und Haushalten, sagte das EZB-Ratsmitglied am Mittwoch auf einer Veranstaltung der Frankfurt School of Finance & Management.
Die erwartete Inflationsrate in zwölf Monaten liege jetzt bei 2,9 %, nachdem sie Ende August 2022 einen Höchststand von fast 9 % verzeichnet habe. Visco plädiert daher für eine „allmähliche monetäre Normalisierung“. Eine Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank um 50 Basispunkte auf ihrer kommenden Sitzung in zwei Wochen gilt als quasi gesetzt. Über den weiteren geldpolitischen Kurs wird unter Ökonomen – aber auch innerhalb der EZB – kontrovers diskutiert. Visco gilt als „Taube“ im EZB-Rat, also als ein Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik.
Eine konkrete Forderung für die Höhe der künftigen Leitzinserhöhungen oder den Zeitpunkt, zu dem die EZB den Zinsgipfel erreicht haben sollte, nannte Visco am Mittwoch nicht. Er verwies darauf, dass die derzeitige Lage viele Unsicherheiten bereithalte. Niemand könne sagen, ob es nochmals zu einem Energiepreisschock kommt oder wie sich die Löhne innerhalb der Eurozone entwickeln. Die EZB müsse daher von Sitzung zu Sitzung datenbasiert entscheiden. Trete die Notenbank zu früh von der geldpolitischen Bremse, müsste sie anschließend die Zinsen umso stärker wieder erhöhen, um das Mandatsziel einer Inflation bei 2% zu erreichen. Die Folge wäre eine starke Belastung der Wirtschaft. Auf der anderen Seite könne eine zu späte Lockerung im schlimmsten Fall zu einer Deflation führen – also sinkenden Preisen. Die Risiken, die davon ausgehen – sinkende Unternehmensgewinne, nachlassender privater Konsum oder steigende Arbeitslosigkeit – sind hoch.
Für die Politiker, Unternehmen und Gewerkschaften der Eurozone hatte Visco einen Rat dabei. Die Auswirkungen der Energiekrise dürften nicht zu einem „fruchtlosen Wettlauf“ zwischen Preiserhöhungen und steigenden Lohnen führen oder dazu, dass der Staat mit einer höheren Verschuldung die Bevölkerung ungezielt entlastet. „Vielmehr muss der Kaufkraftverlust durch nachhaltiges Produktivitätswachstum kompensiert werden, wobei gezielte und temporäre fiskalische Maßnahmen zur Entlastung stärker betroffener Haushalte und Unternehmen natürlich nicht ausgeschlossen werden sollten.“ Alles andere würde die Inflation nur stark befeuern.