Geldpolitik

EZB-Zinsdebatte bekommt neuen Schwung

Angesichts der rekordhohen Inflation erhöht die EZB ihre Leitzinsen wie nie zuvor. Aber wie geht es weiter? Diese Frage wird nicht zuletzt angesichts der Signale der Fed für einen weniger aggressiven Kurs immer spannender.

EZB-Zinsdebatte bekommt neuen Schwung

ms Frankfurt

Einen Monat vor der nächsten wichtigen EZB-Sitzung Mitte Dezember hat die Debatte über den weiteren Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) noch einmal mächtig an Schwung gewonnen. Am Mittwoch äußerte sich gleich eine ganze Reihe Euro-Notenbanker, wo­bei viele Signale dafür sprachen, dass die für Dezember avisierte Zinserhöhung geringer ausfallen könnte als jene um jeweils 75 Basispunkte bei den vergangenen beiden Zinssitzungen – also etwa 50 Punkte. Die Blicke richten sich da auch jetzt schon stark auf die erste Schätzung zur Euro-Inflation Ende November.

Nach langem Zögern hatte die EZB im Juli mit einer Anhebung um 50 Basispunkte die Zinswende eingeleitet und im September und Oktober mit jeweils 75 Punkten nachgelegt. Zinserhöhungen um 75 Punkte hatte es zuvor noch nie gegeben und auch die insgesamt 200 Basispunkte seit Juli sind beispiellos. Die Euro-Inflation hat im Oktober erstmals die 10-Pro­zent-Marke geknackt und 10,7% erreicht. Zugleich wächst aber die Rezessionsgefahr, nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs und der dadurch ausgelösten Energiekrise. Deswegen ist der weitere Zinskurs auch im EZB-Rat heiß diskutiert.

Besondere Brisanz erhält die EZB-Dis­kussion durch jüngste globale Entwicklungen. So hat die US-Notenbank Fed Signale gegeben, dass sie im Dezember ihren zuletzt sehr aggressiven Zinserhöhungskurs et­was abbremsen könnte. Zudem hatten jüngste US-Inflationsdaten die Hoffnung geschürt, dass es bei der US-Teuerung absehbar zu einer Trendwende kommt. Beides hatte auch Spekulationen angeheizt, dass weltweit die Zentralbanken die Straffung abmildern könnten.

Am Mittwoch ließ nun insbesondere Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann aufhorchen. Die EZB habe die Zinsen bereits kräftig angehoben und werde sie weiter erhöhen, sagte er in Wien. Der Rat müsse jedoch zu starke Bewegungen vermeiden, die „nicht nur zu einer Stagnation, sondern zu einer Rezession“ führen könnten, so Holzmann. Das wurde gemeinhin als Warnung vor einem zu aggressiven Zinskurs interpretiert. Holzmann gilt im EZB-Rat als klarer „Falke“, also als Verfechter einer eher straffen Geldpolitik.

Zugleich sagte Italiens Notenbankchef Ignazio Visco am Mittwoch, dass die EZB bei Zinserhöhungen möglicherweise bald auf eine etwas langsamere Gangart umschalten müsse. „Die Notwendigkeit, mit der restriktiven Geldpolitik fortzufahren, ist evident, obgleich die Argumente dafür, einen weniger aggressiven Kurs zu fahren, an Boden gewinnen“, sagte Visco in Rom. Visco warnte davor, sich vorab auf ein bestimmtes Vorgehen festzulegen. Am Dienstag hatte bereits Viscos EZB-Ratskollege, Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau, angemerkt, dass Jumbo-Zinserhöhungen wie im September und Oktober aus seiner Sicht nicht die Regel werden.

Zu Wort meldeten sich am Mittwoch auch Estlands Zentralbankchef Madis Muller und Portugals Notenbankchef Mario Centeno. Muller, der als „Falke“ gilt, drängte nach der Rekordinflation im Oktober auf eine weitere „deutliche“ Zinserhöhung um 50 oder 75 Basispunkte im nächsten Monat. Centeno, eine „Taube“, sagte, Untätigkeit sei „keine Option“, da eine anhaltende Phase erhöhten Preiswachstums an sich eine Rezession auslösen würde. EZB-Vize Luis de Guindos betonte am Mittwoch, dass die Inflationsdaten für November wichtig werden würden. Er erwartet noch für einige Monate zweistellige Inflationsraten.

Neben der Höhe des nächsten Zinsschritts rückt auch immer stärker die Frage in den Mittelpunkt, ob die EZB-Leitzinsen auf ein restriktives Niveau angehoben werden müssen, das die Wirtschaft aktiv bremst. Laut Villeroy de Galhau liegt das soge­nannte neutrale Zinsniveau bei rund 2%, gemessen am Einlagenzins. Dieser Satz liegt aktuell bei 1,5%.