Wirtschaftswachstum

Großbritannien vermeidet Rezession nur knapp

Nach einem unerwartet schwachen Dezember hat die britische Wirtschaft im Schlussquartal stagniert. Damit ist sie haarscharf an der im Herbst von vielen Ökonomen vorhergesagten Rezession vorbeigeschrammt.

Großbritannien vermeidet Rezession nur knapp

hip London

Die britische Wirtschaft ist im Schlussquartal haarscharf an einer Rezession vorbeigeschrammt. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ein unerwartet schwacher Dezember sorgte dafür, dass sich die Veränderung zum Vorquartal am Ende auf 0,0% belief. Schatzkanzler Jeremy Hunt bot das dennoch die Möglichkeit, Großbritannien als die derzeit „am schnellsten wachsende Volkswirtschaft unter den G7-Staaten“ zu verkaufen. Das zeige, dass die Wirtschaft­ robuster sei, als viele befürchtet hätten. „Wir sind aber noch nicht über den Berg, insbesondere wenn es um die Inflation geht“, sagte Hunt. Zudem handelt es sich um die Erstschätzung des Wirtschaftswachstums, die mitunter erheblich revidiert werden muss, weil noch nicht alle Daten Eingang gefunden haben.

Um den Tatbestand einer technischen Rezession zu erfüllen, hätte das BIP, das im dritten Quartal um 0,2 % zurückgegangen war, weiter schrumpfen müssen. Die Bank of England, die im Herbst noch davon ausgegangen war, dass sich das Land bereits in einem langanhaltenden Abschwung befindet, hatte ihre Prognose für das Schlussquartal im Februar geändert. Statt eines Rückgangs von 0,1 % sagte sie ein Plus von 0,1 % voraus. Mit einer Revision der Prognosen der unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility (OBR) wird weithin gerechnet. Die auf Grundlage solcher Schätzungen getroffenen Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen der Regierung lassen sich nicht so schnell rückgängig machen.

Unter Vorkrisenniveau

Trotz des starken Wachstums im vergangenen Jahr (+ 4,0 %) bewegte sich das britische BIP um 0,7 % unter dem vor der Pandemie – im Dezember 2019 – erreichten Stand (siehe Grafik). Im letzten Monat des Jahres hatte vor allem das schwache Geschäft der Dienstleistungsbranche dafür gesorgt, dass das BIP im Vergleich zum Vormonat um 0,5 % tiefer lag. Weniger Arztbesuche, weniger Aktivität rund um das Sars-CoV-2-Impf-, Test- und Kontaktverfolgungsprogramm sowie die Verlegung von Spielen der Premier League wegen der Fußball-WM in Katar trugen dazu bei. Zahlreiche Streiks im öffentlichen Dienst dürften sich ebenfalls niedergeschlagen haben. Analysten hatten im Schnitt lediglich ein Minus von 0,3 % auf der Rechnung. Im Januar könnte das BIP aus Sicht von Barclays-Volkswirt Abbas Khan durch das Wegfallen dieser Belastungsfaktoren einen Schub erhalten haben. Doch die Wiederaufnahme der Streiks laste vermutlich auf der wirtschaftlichen Aktivität im laufenden Monat.

„Die britischen Exporte stagnierten im Dezember und sind im Schlussquartal insgesamt gefallen“, sagte William Bain, der beim britischen Handelskammerdachverband BCC für das Thema Handelspolitik verantwortlich zeichnet. Das Handelsbilanzdefizit weitete sich dem ONS zufolge im vergangenen Jahr um 85,3 Mrd. auf 108 Mrd. Pfund aus. Dabei war ein rasanter Anstieg der Brennstoffimporte wegen des Kriegs in der Ukraine ein wesentlicher Faktor. Im Schlussquartal schrumpften sowohl die Ausfuhren in die EU als auch in den Rest der Welt. „Das neu geschaffene Wirtschafts- und Handelsministerium muss sich in den kommenden Monaten stark auf die Verbesserung der Export-Performance konzentrieren“, forderte Bain. „Die Daten für das vergangene Quartal zeigen das Ausmaß der Aufgabe, die vor uns liegt.“ Im Gesamtjahr bewegten sich die Ausfuhren unter dem Niveau von 2018.

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