Volker Wieland

„Lieber etwas früher mit der Straffung beginnen“

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland hat bei der Fed gearbeitet und die EZB beraten. Im Interview spricht der international anerkannte Geldpolitikexperte über die Politik der US-Notenbank, die hohe Inflation und den EZB-Kurs.

„Lieber etwas früher mit der Straffung beginnen“

Mark Schrörs.

Herr Professor Wieland, ist die Zeit reif für eine Drosselung („Tapering“) der Anleihekäufe der Fed? Und sollte die US-Notenbank auch bald den Leitzins anheben?

Ja, die Anleihekäufe sollten deutlich gedrosselt werden. Es wäre auch sinnvoll, eine Umfrage zur Prognose der Bilanzentwicklung der Notenbank zu veröffentlichen, ähnlich wie die Fed das bereits für den Leitzinspfad macht. Der Leitzins muss jetzt noch nicht angehoben werden. Allerdings scheint mir der Pfad, den die FOMC-Mitglieder erwarten, zu zögerlich. Der Median liegt – Stand September – bei einer Erhöhung auf 0,3% bis Ende 2022 und auf 1% bis Ende 2023. Für die Inflation, gemessen am Konsumdeflator, den die Fed verwendet, erwarten die Notenbanker ausgehend von 4,2% in 2021 eine Stabilisierung bei 2,2% in 2022 und 2023. Ich bezweifle, dass ein Leitzinsanstieg auf gerade mal 0,3% bis Ende 2022 dafür ausreicht.

Vor allem mit Blick auf die USA wächst die Sorge, dass die hohe Inflation zum dauerhaften Problem wird oder gar außer Kontrolle gerät. Hat die Fed den Inflationsdruck unterschätzt?

Die allermeisten Prognostiker haben die Inflation unterschätzt und mussten ihre Inflationsprognosen seit Ende 2020 deutlich anheben. Nach Jahren der Überschätzung der Inflationsentwicklung haben sich die Prognosefehler ins Gegenteil verkehrt. Das gilt auch für die Fed. Selbst von Juni bis September haben die FOMC-Mitglieder noch ihre Prognose für dieses Jahr von 3,4% auf 4,2% im Median angehoben, den Ausblick für nächstes und übernächstes Jahr aber konstant gehalten. Ich denke, die Inflation dieses Jahr wird zu höheren Lohnforderungen im nächsten Jahr führen. Die Inflation dürfte zwar im nächsten Jahr geringer als dieses Jahr ausfallen. Aber das Risiko ist groß, dass die Inflationsrate doch merklich über dem Ziel von gut 2% liegen wird.

Die Fed steht derzeit unter großem politischen Druck – nicht zu­letzt wegen zweifelhafter Finanzgeschäfte einiger Notenbanker. Wie groß ist die Gefahr, dass das die Geldpolitik beeinflusst?

Die Fed ist bei weitem nicht so unabhängig wie die EZB oder die Bundesbank. Zum einen kann die gesetzliche Grundlage ihres Mandats sehr viel leichter geändert werden. Zum anderen hat sie die schwierige Aufgabe, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Beschäftigung zu stabilisieren. In ihrer neuen Strategie hat sie sich zudem deutlich ambitioniertere Ziele für die Beschäftigung gesetzt. Das öffnet sie stärker für politschen Druck, die Geldpolitik weiterhin sehr expansiv zu gestalten. Schließlich sind die Präsidenten der Regionalbanken noch ein Stück unabhängiger als die Gouverneure des Federal Reserve Boards, da sie nicht von der Regierung ernannt werden. Da hilft es nicht, wenn zwei der Regionalbankpräsidenten wegen Finanzgeschäften ausscheiden müssen, die zwar nicht den Ethikregeln widersprachen, aber die den Vorwurf einbrachten, damit würde der Anschein eines Zielkonflikts er­weckt.

Weltweit nehmen Warnungen vor „Stagflation“ zu, also einer stag­nierenden Wirtschaft bei ho­her Inflation. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?

Derzeit haben wir einen stagflationären Effekt. Wachstumsprognosen werden zurückgenommen, während Inflationsprognosen angehoben werden müssen. Es gibt ein gewisses Risiko, dass dies noch eine Weile so bleibt. Allerdings gehe ich weiterhin davon aus, dass die Wirtschaft dafür im nächsten Jahr stärker anzieht, dass wir also bis Ende 2022 doch in etwa dort landen, wo wir es noch zum Frühjahr erwartet hatten. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Liefer- und Kapazitätsengpässe bis Mitte des nächsten Jahres deutlich entspannen.

Ist vor dem Hintergrund die weltweit zunehmend Gestalt annehmende geldpolitische Wende gerechtfertigt?

Ja. Meine Devise wäre, lieber etwas früher mit der Straffung der Geldpolitik zu beginnen und sich damit etwas mehr Zeit zu lassen und in moderateren Schritten vorzugehen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt mit ihrem Beharren auf einer ultralockeren Geldpolitik zunehmend eine Sonderrolle ein. Muss die EZB die Normalisierung schneller angehen?

Ja, ich denke schon, die EZB sollte die Normalisierung entschlossener vollziehen. Sie sollte zumindest eine Normalisierungsstrategie mit Prognosen zur Zins- und Bilanzentwicklung vorlegen. Im Übrigen, es wäre doch leicht umsetzbar, ähnlich wie das FOMC, eine regelmäßige Umfrage zu Inflation, Wachstum und Leitzinsentwicklung unter den EZB-Ratsmitgliedern durchzuführen und zu veröffentlichen. Dann wüssten wir mal anhand harter Zahlen, wie sie sich den Weg aus der Notfallpolitik der Coronakrise vorstellen.

Die Fragen stellte

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