Sorge vor einer Eskalation des Zollstreits wächst
Sorge vor einer Eskalation des Zollstreits wächst
Ökonomen erwarten einen Einfuhrsatz von rund 15 Prozent
lz Frankfurt
Den von US-Präsident Donald Trump für die EU angedrohten Zollsatz von 30%, der damit noch über der im April „verkündeten Marke“ von 20% für die „reziproken Zölle“ liegen würde, halten die allermeisten Ökonomen für reine Verhandlungstaktik. Es ist „nur Lärm“, schreibt die Unicredit, um den Druck auf Brüssel zu erhöhen. Doch gehen sie nun nicht mehr davon aus, dass es für die EU auf den Trumpschen „Basiszoll“ von 10% hinauslaufen könnte, wie zuletzt erwartet. Nach Verhandlungen dürfte sich der Satz „auf 15% einpendeln“, schreibt die UBS. Und viele andere volkswirtschaftliche Analysen schätzen das ebenso ein.
Dass die angedrohten 30% nur eine Verhandlungsmarke sind und später deutlich niedrigere Sätze vereinbart werden, liegt der UBS zufolge auch im eigenen Interesse der USA. Finanzminister Scott Bessent sollte schon allein aus fiskalischen Gründen daran gelegen sein, die US-Konjunktur nicht abzuwürgen. Denn würde die Regierung die bisher genannten Zölle am 1. August umsetzen, „würde die Wahrscheinlichkeit einer Gewinn- und einer Wirtschaftsrezession steigen“, so die UBS.
USA gefährden sich selbst
Zudem seien die USA angesichts der jüngsten Steuergesetze mehr denn je darauf angewiesen, dass Ausländer ihre Staatsanleihen kaufen und die Zinsen nicht noch stärker zulegen. Zudem würden die Märkte bei einer Rezession die steigende Staatsverschuldung noch kritischer sehen als bisher, heißt es.

Deutschland ist angesichts seiner hohen Handelsabhängigkeit von den USA und in seiner gegenwärtig schwachen konjunkturellen Position noch stärker als andere EU-Länder davon abhängig, dass es nicht zu dem angedrohten 30%-Zoll kommt. Nach Berechnungen der Commerzbank würden diese der deutschen Wirtschaft nämlich einen Schaden von 0,7% des Bruttoinlandsprodukts innerhalb von zwei Jahren zufügen. „Sollten diese Zölle tatsächlich in Kraft treten, würde ein Teil des durch die höheren staatlichen Investitionen erhofften Aufschwungs verpuffen“, warnt Commerzbank-Ökonom Vincent Stamer.
Vielstimmiges Europa
Die Europäer, so die Unicredit, zahlten jetzt den Preis, „dass sie nicht mit einer Stimme sprechen“. Von Beginn der Verhandlungen habe es unterschiedliche Äußerungen aus den EU-Hauptstädten gegeben, was in den USA wahrgenommen worden sei. Und auch die Wirtschaft habe die Verhandlungsposition geschwächt: Jeder Sektor habe für sich eine Sonderbehandlung in den EU-Gesprächen beansprucht. Nun aber könnte es „zu spät sein für einen Strategiewechsel“.
So oder so muss sich die EU und speziell Deutschland für die Zukunft auf höhere Handelsbarrieren in den USA einstellen, mahnt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank. Die EU tue gut daran, selber für binnenwirtschaftliche Impulse zu sorgen. „Oberste Priorität muss sein, den heimischen Unternehmen eine höhere Agilität zu verschaffen. Dazu gehört einmal mehr der bereits viel zitierte Bürokratieabbau“.
„Tit-for-Tat-Szenario“
Trotz ihrer recht abgeklärten Haltung zum Verhandlungspoker und den Provokationen Trumps zeigen sich die Ökonomen durchaus in Sorge, dass sich die Handelsgespräche schnell aufschaukeln und in ein „Tit-for-Tat-Szenario“ hineinrutschen mit immer höheren gegenseitigen Zollforderungen. Aber auch bei einer Eskalation, beruhigt Commerzbank-Ökonom Stamer, könnte man ja „nach chinesischem Vorbild noch eine Einigung erzielen“.