Wirtschaftsweise warnen vor Querfinanzierung des Bundes aus dem Infrastrukturpaket
„Mehr Anstrengung für Investitionen“
Wirtschaftsweise warnen vor Querfinanzierung des Bundes aus dem Infrastrukturpaket
Von Angela Wefers, Berlin
Der Sachverständigenrat Wirtschaft ruft die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass die geplanten Infrastrukturinvestitionen aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen tatsächlich zu zusätzlichen Investitionen führen. Dies erfordere mehr Anstrengung als im Koalitionsvertrag vereinbart, konstatiert der Sachverständigenrat in seinem neuen Frühjahrsgutachten. Für ratsam halten die Wirtschaftsweisen es, spezifische institutionelle Vorkehrungen zu treffen.
Zusätzliches Investitionsvolumen
„Es sollte unbedingt verhindert werden, dass bereits geplante Investitionen aus dem Kernhaushalt verschoben werden können“, sagte Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier zum neuen Frühjahrsgutachten. „Denn wir brauchen dringend zusätzliches Investitionsvolumen.“ Die bislang getroffenen Vorkehrungen, um dies zu verhindern, reichten nicht aus. „Es besteht weiterhin erheblicher Spielraum für solche Querfinanzierungen von bis zu 1,2% des BIP“, mahnte Malmendier. Dies entspricht bis zu 50 Mrd. Euro jährlich.
Der Bundestag hatte noch vor Amtsantritt der neuen Bundesregierung einer Grundgesetzänderung für ein kreditfinanziertes Investitionspaket für Infrastruktur und Klimaschutz von 500 Mrd. Euro über zwölf Jahre an der Schuldenbremse vorbei votiert. Zudem dürfen Verteidigungsausgaben von mehr als 1% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von nun an außerhalb der Schuldenbremse kreditfinanziert werden.
„Schwellenwerte einziehen“
Die Sachverständigen stufen den Schwellenwert für Verteidigungsausgaben als zu niedrig ein. Schon jetzt gebe der Bund deutlich mehr als 1% des BIP im Kernhaushalt dafür aus. Die Wirtschaftsweisen fordern, eine Mindestquote von 2% des BIP gesetzlich zu verankern. Auch beim Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz sollte eine Mindestinvestitionsquote für den Kernhaushalt im Errichtungsgesetz festgelegt werden. Damit dürften Investitionen erst aus dem Sondervermögen finanziert werden, wenn die Quote im Kernhaushalt erfüllt ist. Die Wirtschaftsweisen raten dazu, mit 10% zu starten und die Quote „über die Zeit“ auf 12% zu erhöhen. Auch für die Zuweisungen aus dem Sondervermögen an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sowie an die Länder sollten angemessene Investitionsquoten definiert werden.
Grundsätzlich müsse eine langfristige Perspektive vorbereitet werden, um Verteidigung, Infrastruktur und Bildung vollständig aus dem Kernhaushalt zu finanzieren. Die Wirtschaftsweisen votieren dabei zu einem dauerhaften Fonds für Verkehrsinfrastruktur mit eigenen Einnahmen. Für Verteidigung und Bildung sollten Mindestausgabenquoten gesetzlich verankert werden.
Dissens über EU-Fiskalregeln
Die Mehrheit im Rat spricht mit Blick auf die EU-Kompatibilität der Schuldenpolitik nur von „hoher Unsicherheit“. Je stärker die Mittel investitionsorientiert und wachstumssteigernd eingesetzt würden, um so wahrscheinlicher sei, dass die EU-Fiskalregeln eingehalten werden, argumentiert Ratsmitglied Achim Truger. Wirtschaftsweise Veronika Grimm stellt dagegen in einem Minderheitenvotum die Finanzierungskraft für Verteidigung in ganz Europa infrage. Der Rat diskutiere Chancen und Risiken des Finanzpakets im Wesentlichen nur mit Blick auf die deutsche Volkswirtschaft.
Sie argumentiert, dass die zusätzliche deutsche Verschuldung die Zinsen für Staatsanleihen im gesamten Euroraum erhöhen werde. Die im Gefolge steigende Zinslasten in den Mitgliedstaaten verringerten dann den Spielraum der hoch verschuldeten europäischen Staaten für zusätzliche Verteidigungsausgaben. Die Wirtschaftsweisen sind sich zwar einig, dass mehr geschehen muss, als im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Grimm gehen die Vorschläge aber nicht weit genug. Sie müssten stärker auch bei Bürokratiekosten, Gesetzgebung und Verwaltung ansetzen sowie bei Produktivität, regionalen Aspekten und am Arbeitsmarkt.
Der Sachverständigenrat fordert institutionelle Vorkehrungen, damit die Infrastrukturinvestitionen das bisherige Niveau tatsächlich überschreiten. Über die Kompatibilität der neuen Schulden mit den EU-Fiskalregeln gibt es Dissens.