Konjunktur

Zero Covid gefährdet Chinas Ziele

Chinas Wachstumsperspektiven befinden sich wegen immer intensiverer Wirtschaftsschäden durch harte Corona-Restriktionen im freien Fall. Neue Prognosen für die Performance im Jahr 2022 führen das offizielle Wachstumsziel der Regierung ad absurdum.

Zero Covid gefährdet Chinas Ziele

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Zwei Monate harter Lockdown in Chinas Wirtschafts- und Handelskapitale Schanghai und mannigfaltige Corona-Restriktionen in anderen Großstädten und Produktionszentren bringen die Konjunktur auf ein immer abschüssigeres Terrain. Die Wirtschaftsdaten vom Mai zeugen von wesentlich umfangreicheren Verwerfungen der als „Covid Zero Strategy“ bezeichneten Herangehensweise zur Pandemiebewältigung, als sie sich Chinas Wirtschaftsplaner, wie auch das Gros der Analysten ausgemalt hatte.

An Chinas Aktienmärkten hält sich trotziger Optimismus, dass die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft schnell wieder auf die Beine kommen wird, zumal sich in Schanghai seit einigen Tagen erste Anzeichen einer tatsächlichen Umsetzung der bereits vor zwei Wochen avisierten graduellen Lockerung des harten Lockdown abzeichnen. Allerdings dürfte es weitere vier Wochen dauern, bis der Industriegürtel um Schanghai produktionsseitig wieder voll in die Gänge kommt und sich der gewaltige Stau am weltgrößten Containerfrachthafen in Schanghai und anderen Transportknotenpunkten auch nur einigermaßen aufgelöst hat. Parallel zur Linderung der Lockdowns in Schanghai sieht man nun allerdings, wie sich die Nulltoleranzpolitik zu Corona als Fortsetzungsroman in anderen wichtigen Ballungszentren, allen voran Peking und der nahe gelegenen Hafenstadt Tianjin, breitmacht und dort die Wirtschaft sukzessive lahmzulegen droht.

Folgt eine Aufholjagd?

Für Konjunkturwatcher tut sich damit die Schwierigkeit auf, dass sich anders als beim anfänglichen Pandemieausbruch in China im Winter 2020 kein Zeitpunkt ermessen lässt, ab dem die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft aus dem aktiven Virusbekämpfungsmodus heraustritt, und sich bei voller Kraftentfaltung an die Aufholjagd machen kann. Im Jahr 2020 gelang es China als einziger großer Wirtschaftsnation während der Corona-Pandemie einen heftigen, aber relativ kurzen Wirtschaftsschock so zu überwinden, dass es zu der viel beschworenen V-förmigen Konjunkturkurve bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kam.

In diesem Jahr jedoch dürfte es etwas anders aussehen. China hat nach einem klaren Abschwung in der zweiten Jahreshälfte 2021 das neue Jahr zumindest auf dem Papier mit einer leichten Wirtschaftsbelebung eingeleitet und ein BIP-Wachstum von 4,8% im ersten Quartal hingelegt. Daran knüpfte sich die zumindest öffentlich demonstrierte Erwartung der Wirtschaftsplaner, dass sich die Konjunktur im zweiten Quartal im Zuge von relativ sanften fiskalischen und monetären Stimuli weiter stabilisieren würde, um dann in der zweiten Jahreshälfte weiter an Fahrt aufzunehmen.

Das Schönwetterszenario hat die Regierung beim jährlichen Volkskongress Anfang März dazu veranlasst, mit einem zu diesem Zeitpunkt bereits reichlich forsch wirkenden offiziellen Wachstumsziel für 2022 von „ungefähr“ 5,5% nach außen zu treten. Damit wurde angedeutet, dass China wieder zu einem Normalwachstum zurückkehre und Anschluss an das präpandemische Jahr 2019 finde, als die Wirtschaft noch um 6% vorangekommen war. Noch bis in den Mai hinein hat der Regierungsapparat die trotzige Botschaft an die Märkte aufrechterhalten, dass die Wirtschaft fundamental gesund und auf Stabilisierungskurs ist, genügend Stimuli für eine weitere Anregung bereitstehen und kein Grund zum Zweifel am Erreichen des Wachstumsziels besteht.

Geduldsfaden reißt

Im Lager der China-Ökonomen tut man sich generell schwer, „gegen die Regierung zu wetten“, es gab über 30 Jahre hinweg zwar schon oft Anlass, über eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft nachzudenken, aber de facto behielt Peking mit seiner Zielvorgabe immer recht und die Latte wurde nie gerissen. Nun aber ist der Geduldsfaden angesichts der gegen jedwede ökonomische Vernunft verstoßenden Covid-Zero-Politik gerissen und es hagelt an Prognose-Korrekturen.

Bei führenden US-Investmentbanken tastet man sich bereits an die 3-Prozent-Marke heran, die Experten bei Bloomberg Economics rechnen gar nur noch mit 2% Wachstum für 2022. Das wäre niedriger als im Coronajahr 2020, als China auf unter diesen Umständen beachtliche 2,3% kam und könnte sogar bedeuten, dass die US-Wirtschaft, der einige Wirtschaftspropheten in diesem Jahr ein Wachstum von bis zu 2,8% zutrauen, erstmals seit dem Jahr 1976 dynamischer zur Sache geht als die chinesische.

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