Großbritannien

Zweistellige Inflation heizt Zins­spekulationen an

In Großbritannien reißt die Teuerungsrate schon jetzt die 10-Prozent-Marke. Das hatten die wenigsten Analysen auf der Rechnung. Was bedeutet das für die Bank of England?

Zweistellige Inflation heizt Zins­spekulationen an

rec Frankfurt

Die Inflation in Großbritannien hat bereits im Juli die 10-Prozent-Marke und somit einmal mehr die Markterwartungen übertroffen. Die höchste Teuerungsrate seit vier Jahrzehnten sorgt an den Finanzmärkten für Spekulationen, dass die Bank of England ihre Zinserhöhungen beschleunigt und verlängert. Analysten und Investoren rechnen nun fest damit, dass die Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung im September den Leitzins abermals um mindestens einen halben Prozentpunkt anheben wird.

Mit der kräftigsten Zinserhöhung seit 27 Jahren haben die britischen Währungshüter den Leitzins vor zwei Wochen auf den momentanen Stand von 1,75 % gehievt. In diesem Zuge stimmten sie ihre Landsleute auf zweistellige Inflationsraten von in der Spitze 13 % ein. Dass es zu Beginn der zweiten Jahreshälfte bereits so weit ist, hatten indes die wenigsten Ökonomen auf der Rechnung.

Verbraucher mussten für Waren und Dienstleistungen im Juli 10,1 % mehr zahlen als vor einem Jahr. Der vom Statistikbüro ONS gemeldete Anstieg ist der stärkste seit Februar 1982. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten im Schnitt mit 9,8% gerechnet. Im Juni lag die Inflationsrate bei 9,4%.

Der Preisdruck nimmt auf breiter Front zu, wie der Anstieg der Kern­inflationsrate von 5,8 % auf 6,2 % belegt. Hier bleiben die besonders hohen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln außen vor. Die Ökonomen der niederländischen Bank ING erklären das vor allem mit höheren Wohnkosten. Im Einzelhandel sind die Preise im Juli sogar um 12,3 % gestiegen.

Mehr Unheil für Verbraucher

Berenberg-Volkswirt Kallum Picke­ring sieht die britischen Verbraucher in einer „miserablen“ Lage. „Ein weiterer Inflationsanstieg in den kommenden Monaten in Verbindung mit einer Abschwächung des Lohnwachstums bei steigender Arbeitslosigkeit wird den Druck auf die Realeinkommen im Winter verschärfen“, befürchtet Pickering. Amtliche Daten zeigen, dass die Inflation trotz Lohnerhöhungen die Kaufkraft schmälert: Nominal sind die Gehälter zuletzt um 4,7% gestiegen, real – also nach Abzug der Inflation – um 4,1% gesunken.

Die Briten müssen sich auf weitere Unbill einstellen: Der staatliche Preisdeckel für Energierechnungen wird voraussichtlich im Oktober steigen. Der Bank of America zufolge verschlechtert sich die Verbraucherstimmung seit Ende Juli wieder, während die Inflationserwartungen nach einer vorübergehenden Mäßigung anziehen. Als Reaktion auf die neuerliche Negativüberraschung haben die Analysten der US-Großbank ihre Inflationsprognosen nochmals angehoben und erwarten das Inflationshoch im Januar bei 14 %.

Die Ökonomen der Bank of England warnen, dass die Inflation nur auf Kosten einer langen Rezession unter Kontrolle zu bringen sein wird. Sie prognostizieren, dass die Teuerungsrate ab nächstem Jahr stark zurückgehen wird. Die Notenbank steht wegen ihrer Geldpolitik und fehlerhafter Prognosen in der Kritik. Die Favoritin für die Nachfolge von Premierminister Boris Johnson, Liz Truss, stellt deswegen die Unabhängigkeit der Bank of England in Frage.

An den Geldmärkten preisen Investoren nun Zinserhöhungen über weitere 200 Basispunkte bis Mitte 2023 ein. Das würde bedeuten, dass der Leitzins auf 3,75% steigt. Während eine kräftige Zinserhöhung im September als ausgemachte Sache gilt, sind manche Ökonomen mit Blick auf November zurückhaltender: „Dies hängt stark von der finanzpolitischen Reaktion des neuen Premierministers im September ab“, stellt ING-Experte James Smith weitere Zinsschritte unter Vorbehalt.

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