Zinswende

Bei der EZB-Sitzung steht viel auf dem Spiel

Bei der Zinssitzung der EZB am Donnerstag geht es auch um ganz fundamentale Weichenstellungen. Der EZB-Rat darf nicht falsch abbiegen.

Bei der EZB-Sitzung steht viel auf dem Spiel

Wenn der EZB-Rat heute im Frankfurter Ostend zusammenkommt, geht es nicht nur um den geldpolitischen Kurs der nächsten Wochen und Monate und das kurzfristige Wohl und Wehe der Euro-Wirtschaft. Es geht vielmehr zugleich um ganz fundamentale Weichenstellungen für die Zukunft der Europäischen Zentralbank (EZB) – was ihre Glaubwürdigkeit als Hüterin von Preisstabilität und was ihre Rolle im institutionellen Gefüge der Währungsunion betrifft. Die Euro-Hüter müssen höllisch aufpassen, nicht in die komplett falsche Richtung abzubiegen.

Dass der EZB-Rat heute erstmals seit elf Jahren seine Leitzinsen anheben wird, ist wohl so sicher wie das Amen in der Kirche. Dieser Schritt ist tatsächlich auch alternativlos und längst überfällig. Die Inflation in Euroland übertrifft weiter alle Erwartungen und liegt mit dem Rekordhoch von 8,6% mehr als vier Mal so hoch wie die von der EZB mittelfristig angestrebten 2,0%. Zudem breitet sie sich immer mehr in der Wirtschaft aus und sie droht sich zusehends über eine Entankerung der Inflationserwartungen und eine Lohn-Preis-Spirale dauerhaft zu verfestigen. Deswegen kann es für die EZB schlicht keine Option sein, die Hände in den Schoß zu legen – so sehr die Apologeten einer lockeren Geldpolitik auch dafür werben. Jetzt braucht es klare Signale – und entschlossene Taten.

Ob die im Juni angekündigte Zinserhöhung um 25 Basispunkte eine solche entschlossene Tat ist, darf bezweifelt werden. Das sich verschlechternde Inflationsumfeld spricht fraglos für eine Anhebung um 50 Basispunkte. Das würde auch endlich einen Schlusspunkt setzen unter den Negativzins, der seit langem vollkommen aus der Zeit gefallen ist. Fast noch wichtiger aber ist, dass die EZB für die Zeit nach heute kontinuierliche, aber couragierte Zinserhöhungen in Angriff nimmt. Die zunehmenden Rezessionssorgen wegen des Ukraine-Kriegs stellen die EZB natürlich vor ein Dilemma. Sie zahlt dabei auch den Preis dafür, dass sie die Inflation 2021 viel zu lange kleingeredet hat. In der Abwägung muss sich die EZB aber jetzt für das Ziel Preisstabilität entscheiden. Sonst geht ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in einen stabilen Euro vollends verloren. Das wäre auf lange Sicht eine kaum zu unterschätzende Hy­pothek für die EZB – und für den Euro.

Die zweite Richtungsentscheidung betrifft das avisierte neue „Antifragmentierungsinstrument“, das bei der EZB zuletzt unter dem Arbeitstitel Transmission Protection Mechanism (TPM) firmiert hat. Im Kern geht es darum, von der EZB als übermäßig angesehene Renditeunterschiede (Spreads) zwischen den Euro-Staaten zu verhindern. So wichtig es nun aber ist, dass die Geldpolitik in allen Ländern möglichst gleichermaßen ankommt, und so nötig es in Krisen sein kann, sich exzessiven Marktspekulationen entgegenzustemmen – so riskant und anmaßend mutet es an, beurteilen zu wollen, wie viel Spread in Normalzeiten gerechtfertigt ist. Mehr noch aber drohte eine solche Art Beistandsverpflichtung für Italien & Co. nur den Eindruck zu verstärken, dass der EZB am Ende die Solidität der Euro-Staaten wichtiger ist als die Preisstabilität.

Die EZB läuft mit einem solchen Instrument auch Gefahr, ihre undankbare wie unheilvolle Rolle als Dauerausputzer für unsolide Fi­nanz- und Wirtschaftspolitiken sowie für politische Krisen in den Euro-Ländern zu perpetuieren und die brisante Verquickung von Fiskal- und Geldpolitik auf die Spitze zu treiben. Die Frage, ob sich Italiens 5-Sterne-Beweung die aktuellen Machtränkespielchen mit Ministerpräsident (und Ex-EZB-Chef) Mario Draghi getraut hätte, wenn die EZB nicht Mitte Juni für den Notfall Schutz vor den Finanzmärkten versprochen hätte, ist mehr als berechtigt. Und last, aber sicher not least: Wie die EZB argumentieren will, dass ein solcher dauerhafter „Backstop“ für die Staaten nicht gegen das EU-Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstößt, erscheint absolut fraglich.

Man muss jetzt sicher nicht gleich Zeter und Mordio schreien und die EZB schon als Bad Bank Europas und den Euro bereits als veritablen Nachfolger der italienischen Lira brandmarken. Solche Horrorszenarien vergiften nur das Klima und erschweren die sachliche Auseinandersetzung. Dass es zu solchen Szenarien nicht kommt, obliegt aber zuvorderst den Euro-Hütern selbst. Kurzfristige Nöte, so sehr sie auch pressieren mögen, sollten nicht zu langfristig fatalen Entscheidungen führen. Hoffentlich sind sich alle Notenbanker, die da heute zusammenkommen, dieser immensen Verantwortung bewusst. Es steht verdammt viel auf dem Spiel.

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