Unterm Strich

Es gibt viel zu tun für die neue Regierung

Die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft muss von der Modernisierung der Infrastruktur und öffentlichen Verwaltung begleitet werden.

Es gibt viel zu tun für die neue Regierung

Drei große wirtschaftspolitische Herausforderungen warten auf die neue Bundesregierung: Klimaschutz, Digitalisierung und Altersvorsorge. Auf allen drei Feldern wird die künftige Regierung nur Erfolg haben, wenn sie die Wirtschaft und die privaten Haushalte mit ins Boot holt. Da eine Marktwirtschaft keine Kommandowirtschaft ist, setzt dies eine Politik voraus, die nicht mit Verboten agiert, sondern in einem verlässlichen ordnungspolitischen Rahmen Anreize setzt, um die Verbraucher und Unternehmen in die politisch gewünschte Richtung zu lenken. Denn Nachhaltigkeit muss auch für politisches Handeln gelten. Eine Politik des „Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln“, wie sie in der Energiepolitik (Stichwort Atomenergie), in der Verkehrspolitik (Stichwort Schienennetz) oder in der Industriepolitik (Stichwort nationale Versorgungssicherheit) zu erleben war, verschwendet Ressourcen.

Kraftakt Klimaschutz

Der größte Kraftakt steht beim Klima­schutz bevor. Das Ziel der CO2-Neu­tralität bis 2045 in Deutschland ist mit einer tiefgreifenden Transformation der Wirtschaft verbunden, die hohe Investitionen erfordert. Die Krux: Die Rendite auf diese Investitionen, nämlich die Begrenzung der Erderwärmung, ist nicht finanzieller Art und wird nicht allein von den Investoren vereinnahmt, sondern von der Weltgemeinschaft, und das auch erst mit großer zeitlicher Verzögerung. Die einzige systemkonforme und zugleich effizienteste, weil technologieoffene Incentivierung, nämlich die Bepreisung des CO2-Ausstoßes, muss deshalb konsequent beschritten werden. An der Bereitschaft in der deutschen Wirtschaft, diesen Weg zur Klimaneutralität mitzugehen und die höheren Kosten auch in Form von niedrigeren Gewinnen mitzutragen, fehlt es nicht, wie die Selbstverpflichtungen von Allianz über BASF bis zu Volkswagen zeigen und jüngst mit dem Beitritt vieler deutscher Großunternehmen zur UN-Initiative „Race to Zero“ unterstrichen wurde.

Es reicht aber nicht, dass die Nachfrage da wäre. Gerade in Deutschland fehlt das Angebot. Beispiel BASF: Der weltgrößte Chemiestandort des Konzerns in Ludwigshafen steht für 1% der deutschen CO2-Emis­sionen. Will die BASF im Zuge der Dekarbonisierung in der energieintensiven Chemie Gas durch grünen Strom ersetzen, wird sich der Strombedarf am Standort Ludwigshafen von 6 auf 20 Terawattstunden (TWh) mehr als verdreifachen, und zwar trotzt paralleler Einsparungen. Zur Einordnung: Dies entspräche aktuell einer kompletten Monatsproduktion erneuerbarer Energie in Deutschland. Knapp 20 TWh betrug im August 2021 die gesamte in Deutschland erzeugte und ins Netz eingespeiste Menge an erneuerbarer Energie, was gut die Hälfte der ge­samten Stromerzeugung ausmachte. Aber selbst wenn es gelänge, durch zügigen Bau von Windparks an der Küste die benötigten Strommengen zu erzeugen, würde es aufgrund der vielen heute existierenden bürokratischen, planungsrechtlichen und juristischen Hürden gut zehn Jahre dauern, bis über eine Leitung dieser Strom zum Standort Ludwigshafen geliefert werden könnte. Fazit: Deutschland hat ein Umsetzungsproblem. Die Transformation der Wirtschaft setzt eine Transformation der Verwaltung und auch unseres Rechtssystems voraus.

Damit ist auch das nächste große Aufgabenfeld adressiert, die Digitalisierung. Die Pandemie und die Lockdowns haben vor Augen geführt, wie rückschrittlich Deutschland und wie groß der Modernisierungsstau ist. Das beginnt bei Hochgeschwindigkeitsnetzen und einer leistungsfähigen Infrastruktur, die Voraussetzung ist, dass Deutschland beim Thema künstliche Intelligenz wie ge­wünscht zu den Vorreitern gehören kann, und hört bei der öffentlichen Verwaltung, dem Gesundheitswesen und den Schulen noch lange nicht auf. Neben dem sogenannten E-Government, also der Digitalisierung der Verwaltung, sind auch die Zu­ständigkeiten von Kommunen, Ländern und Bund neu zu regeln und Prozesse zu standardisieren. Auch hier fehlt es nicht an guten Vorschlägen und erprobten Vorbildern beispielsweise im Ausland, sondern an der Umsetzung.

Zwickmühle Demografie

Durch effizientere Verwaltung Stellen einzusparen, wäre auch unter demografischen Aspekten nötig. Denn in den nächsten Jahren kommen die Babyboomer-Jahrgänge ins Rentenalter, der Fachkräftemangel wird zunehmen. Auf der anderen Seite wird mit dem Rückgang der Beschäftigten die Finanzierungslücke in der Altersvorsorge noch größer. Die Politik wird sich nicht länger davor drücken können, das System der gesetzlichen Rentenversicherung zukunftsfähig zu machen. Nur die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung kann gewährleisten, dass die sogenannte doppelte Haltelinie aus stabilem Rentenversicherungsbeitrag von maximal 20% und Standardrentenniveau von 48% des Arbeitnehmerdurchschnittseinkommens eine Zukunft hat und nicht ein noch größerer Teil des Staatshaushalts die Rentner subventionieren muss. Denn die Steuergelder werden dringend für den Ausbau der Infrastruktur benötigt, die Hand in Hand gehen muss mit der Transformation der Wirtschaft.

Mit den wirtschaftspolitischen Herausforderungen ist eine finanzpolitische verbunden: die Finanzierung des staatlichen Beitrags zur Transformation vor dem Hintergrund der Schuldenbremse. Steuererhöhungen wären angesichts der auf Unternehmen wie auch Verbraucher zukommenden Transformationsbelastungen der falsche Weg. Am ehesten wäre wohl die Öffnung der Schuldenbremse zugunsten eines „Deutschlandfonds“ denkbar, wie er von industrienahen Ökonomen in die Diskussion gebracht wurde. So könnten die dringenden staatlichen Investitionen in die Infrastruktur finanziert werden. Und über die damit angestoßene wirtschaftliche Dynamik bestünde die Chance der Selbstfinanzierung durch wachsende Steuereinnahmen. An guten Vorschlägen fehlt es also nicht, auf die Umsetzung wird es ankommen.

c.doering@boersen-zeitung.de

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