Investitionsbedarf zwingt Prüfer und Anwälte zur Veränderung
Investitionsbedarf zwingt Prüfer zur Veränderung
Das technologische Wettrüsten der professionellen Dienstleister erfordert enorme Mittel. Manche gehen an die Börse. Andere dienen sich Finanzinvestoren an.
Von Andreas Hippin, London
Der Börsengang von MHA wurde außerhalb der diskreten Welt der Wirtschaftsprüfer und professionellen Dienstleistungsfirmen der City of London kaum wahrgenommen. Doch zeugt das Initial Public Offering (IPO) des britischen Arms von Baker Tilly International vom großen Investitionsbedarf der professionellen Dienstleistungsbranche, die von einem technologischen Wettrüsten erschüttert wird.
Automatisierung kostet viel
Künstliche Intelligenz birgt enormes Automatisierungspotenzial. Das gilt auch für Kanzleien. Wer es nutzen will, muss viel Geld in die Hand nehmen. Als Partnerschaften organisierte Unternehmen sind dazu meist nicht in der Lage. Denn abgesehen davon, dass Streitigkeiten unter Partnern in zentralen Fragen verbreiteter sind als Einigkeit, ist es schwer, den Eigentümern die benötigten Mittel zu entlocken.
Partnerschaftsmodell steht infrage
„Solange diese Modelle weiter existieren, werden Firmen nicht in der Lage sein, die harten Entscheidungen zu treffen, die sie treffen müssen“, sagt Allan Koltin, der CEO der Koltin Consulting Group. Seitdem sich Cinven bei Grant Thornton eingekauft hat, sind in Großbritannien Alternativen wie ein Börsengang oder der Einstieg eines Finanzinvestors ins Bewusstsein der professionellen Dienstleister gerückt. Mancherorts werden bereits Vergleiche mit Margaret Thatchers „Big Bang“ von 1986 gezogen.
„Private Equity hat die Dysfunktionalität des Partnerschaftsmodells offenbart“, sagt Koltin. „Private Equity hat gezeigt, dass man ein Modell produzieren kann, in dem man harte Entscheidungen schneller treffen und besser machen kann.“
Regulatorischer Rückenwind
Für Finanzinvestoren ist die Branche wegen ihrer wiederkehrenden Umsätze interessant. Zudem hat die Branche regulatorischen Rückenwind. Die zunehmende Komplexität der aufsichtsrechtlichen Vorgaben und der wachsende Umfang der Regelwerke dürften ihr noch reichlich Wachstum bescheren.
Es gibt schon so etwas wie einen Sekundärmarkt: Wie die „Sunday Times“ berichtet, steht der Prüfer AAB für 250 Mill. Pfund zum Verkauf. Der Finanzinvestor August Equity habe die Investmentbanker von William Blair mit der Käufersuche betraut. Als mögliche Abnehmer gelten die Private-Equity-Gesellschaften Smith & Williamson und Cooper Parry, die als Konsolidierer im Mittelstandssegment der Prüferbranche auftreten wollen.
Effizienter Daten sammeln
MHA sammelte im April 98 Mill. Pfund an der London Stock Exchange ein. Investitionen in Technologie inklusive künstlichen Intelligenz standen an erster Stelle, als das Unternehmen vor dem IPO am Wachstumssegment Aim den geplanten Verwendungszweck der Mittel angab, die es bei den Anlegern locker machen wollte. Sie sollen das Sammeln von Daten und deren Analyse effizienter machen.
Die Börsennotierung gebe dem Unternehmen eine Plattform „die uns in die Lage versetzt, unsere Expansion zu beschleunigen und weitere Innovationen voranzutreiben“, sagte Chairman Geoff Barnes. MHA verdoppelte zwischen 2020 und 2024 ihren Umsatz auf 180 Mill. Pfund. Angestrebt werden 500 Mill. Pfund. Die Firma will in Großbritannien in die Top 10 der Branche aufsteigen.
Andere Länder, andere Wege zum Geld
Die Partner hätten sich einstimmig für einen Börsengang entschieden, sagte CEO Rakesh Shaunak der Gratiszeitung „City A.M.“ Er sei „für den langfristigen Nutzen unserer Mitarbeiter und Kunden der attraktivste nachhaltige Weg“ gewesen.
In anderen Ländern zogen die jeweiligen Landesgesellschaften von Baker Tilly den Einstieg eines Finanzinvestors einem IPO vor. Anfang des Jahres erwarb die Private-Equity-Gesellschaft Inflexion eine Minderheitsbeteiligung an Baker Tilly Netherlands. In den USA sind seit dem vergangenen Jahr Hellman & Friedman sowie Valeas Capital Partners mit an Bord.
Bryan Marsal macht Schlagzeilen
Auch Sanierungsberater zieht es an die Börse. In Großbritannien sind bereits Begbies & Traynor und FRP Advisory an der LSE notiert. Der weitaus größere US-Wettbewerber Alvarez & Marsal sorgte zuletzt für Schlagzeilen, weil CEO und Mitgründer Bryan Marsal der „Sunday Times“ zufolge auf einem „Away Day“ in Portugal eine Folie in seine Präsentation einbaute, die den potenziellen Börsenwert der Firma zwischen 16 Mrd. und 18 Mrd. Dollar verortete.
Er habe rein hypothetisch gesprochen, ließ sich das Blatt von der Firma nahestehenden Quellen erklären. Alvarez & Marsal habe nicht vor, in nächster Zeit an die Börse zu gehen. Marsal bezog sich dem Bericht zufolge bei seiner Schätzung auf den von Analysten für den kleineren Rivalen Alix Partners genannten Wert von 8 Mrd. Dollar. Vor einem Monat hatte die Zeitung berichtet, dass Alix Partners Goldman Sachs mit dem Verkauf einer Minderheitsbeteiligung beauftragt habe.
Kanzleien im Visier
Alvarez & Marsal wird mehrheitlich von den Familien der beiden Gründer, Marsal und Tony Alvarez II, gehalten. Der Rest verteilt sich auf Partner. Angeblich sind die Familien nicht daran interessiert, die Kontrolle abzugeben.
Nicht nur Prüfer, auch Kanzleien sind ins Visier von Finanzinvestoren gerückt. „In einem konkurrenzbetonten Rechtsmarkt, in dem die digitale Transformation entscheidend für die Bereitstellung von Dienstleistungen wird, suchen Firmen nach Wegen für die Expansion ihres Geschäfts“, sagt Jeff Zindani, Managing Director bei Acquira Professional Services. Mithilfe von Private-Equity-Gesellschaften ließen sich die Investitionen stemmen, die für Technologie-Upgrades, die regionale Expansion und die Rekrutierung von Talenten nötig sind.
Noch ganz am Anfang
In den vergangenen sechs Monaten habe man einen starken Anstieg des Interesses von Private Equity und anderen externen Investoren beobachtet, heißt es in einer im Februar vorgelegten Studie von Acquira. Noch befindet sich diese Entwicklung ganz am Anfang.
Einer von Acquira zitierten HSBC-Umfrage unter 100 Führungskräften von Kanzleien zufolge rechnet zwar knapp die Hälfte (49%) mit Übernahmen und Fusionen in nächster Zeit. Doch nur 8% gaben an, dass die Unterstützung durch Finanzinvestoren für ihre unmittelbaren Strategien eine Rolle spielt.
Fragmentierung bietet Chancen
Der Finanzinvestor Blixt hat seit 2021 durch seine Plattform Lawfront eine Reihe von regionalen Kanzleien wie Farleys und Patterson Commercial Law übernommen. 2024 stieg die niederländische Waterland Private Equity bei der Beyond Law Group ein. Zu den weiteren Transaktionen des Jahres gehört das Investment von Horizon Capital bei FBC Manby Bowdler. „Der britische Rechtsmarkt bietet Chancen, weil er stark fragmentiert ist“, sagt Robin Elley, Senior Investment Manager bei Waterland. „Das bietet Spielraum zur Konsolidierung und für Umsatzwachstum.“
Generative KI wird den Rechtsmarkt revolutionieren, indem sie die Automatisierung von Aufgaben wie die Ausgestaltung von Verträgen ermöglicht, die früher für den Kunden maßgeschneidert wurden. Das bietet erhebliches Kostensenkungspotenzial, das von Private Equity sicher gern wahrgenommen wird. Allerdings könnte das Verhältnis zum Kunden darunter leiden.
Kehraus bei Slater & Gordon
Stark renditeorientierte Investoren und als Partnerschaften organisierte Unternehmen wie Prüfer und Kanzleien kommen selten zusammen. Denn Partner wollen ihren Anteil am Gewinn und lassen ihre Performance nicht gern durch standardisierte Systeme bewerten.
Und Finanzinvestoren neigen dazu, mit eisernem Besen zu kehren. Nachdem der Hedgefonds Anchorage Capital das britische Geschäft der Kanzlei Slater & Gordon übernahm, wurden Büros geschlossen und Hunderte Stellen gestrichen.