Kanzlerins Kohlekompromiss
Bundeskanzlerin Angela Merkel will die zähen Verhandlungen über den Kohleausstieg beschleunigen und hat die Beteiligten für ein Treffen ins Kanzleramt eingeladen. Es soll am kommenden Dienstag (15. Januar) stattfinden. Die Einladung ging an die Ministerpräsidenten der Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen, an die zuständigen Bundesminister und an die vier Vorsitzenden der Kohlekommission, die im Auftrag der Bundesregierung arbeitet und einen Weg für den Kohleausstieg vorgeben soll.Eigentlich soll es in dem 30-köpfigen Gremium darum gehen, die Klimaschutzziele der Bundesregierung mit der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit von Strom in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite drängt die Zeit: Die Weltgemeinschaft hat sich auf der Klimakonferenz in Kattowitz darüber verständigt, die CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren, um eine Erwärmung der Erde um mehr als 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit zu verhindern, weil sonst ab Mitte des Jahrhunderts eine halbe Milliarde Menschen vor Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen flüchten müssten. Auf der anderen Seite arbeiten mehr als 20 000 Menschen im Braunkohletagebau und in den Kohlekraftwerken. Hinzu kommen mehrere Hunderttausend Menschen in energieintensiven Branchen wie Chemie, Baustoffe oder Nahrungsmittel sowie in Stahlwerken und Gießereien, deren Arbeitsplätze von einem steigenden Strompreis betroffen wären, weil sie mit ihren Produkten im internationalen Wettbewerb stehen.Doch im Kanzleramt wird etwas anderes im Vordergrund stehen: In gleich drei ostdeutschen Bundesländern wird im September und Oktober 2019 gewählt, neben Thüringen auch in den beiden Braunkohleländern Sachsen und Brandenburg. Die Ministerpräsidenten der vier Braunkohleländer, Armin Laschet (CDU), Michael Kretschmer (CDU), Reiner Haseloff (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), haben die Rechnung aufgemacht: Sie fordern 60 Mrd. Euro für einen Fonds für den sogenannten Strukturwandel in ihren Bundesländern für die nächsten 30 Jahre. Bevor das Geld nicht in den Haushaltsplänen dingfest gemacht ist, wird es wohl auch keine Einigung in der Kohlekommission geben. Das hieße ja, die Wahlergebnisse in den Bundesländern gefährden.Wenn vom Kohleausstieg die Rede ist, dann ist damit inzwischen vor allem der Braunkohleausstieg gemeint. Denn Steinkohle wird in Deutschland nicht mehr gefördert, und sie wird auch kaum noch verstromt. Zur Erzeugung trägt sie gerade noch 13 % bei, weil der rasant steigende CO2-Preis die Rentabilität der Steinkohlekraftwerke immer weiter mindert und den Umstieg auf das weniger Emissionen verursachende Erdgas erzwingt. Doch der Ausstieg aus der billigen und “schmutzigen” Braunkohle, die noch fast ein Viertel des Stroms hierzulande liefert, wird kein Spaziergang. Die höheren CO2-Preise reichen bisher nicht aus, um die Grenzkosten der Braunkohleverstromung dauerhaft über das Niveau der anderen fossilen Kraftwerke zu bewegen.Ohne zusätzliche Maßnahmen der Kohlekommission wird die Braunkohleverstromung wohl bis 2030 auf einem hohen Niveau verharren. Wenn es im Kanzleramt einen Deal geben sollte, dann dürfte er wohl so aussehen, dass zunächst im wohlhabenderen Westdeutschland – also in Nordrhein-Westfalen, wo zunächst keine Wahlen anstehen – mehr Braunkohleblöcke als für die Sicherheitsbereitschaft ohnehin schon geplant eingemottet werden. Das wird nicht ohne milliardenschwere Entschädigung abgehen. Politiker aller Parteien – sogar von den Grünen – haben dies in Aussicht gestellt. Hintergrund sind die Erfahrungen mit dem Atomausstieg, als das Verfassungsgericht den Energiekonzernen nachträglich Entschädigungen zusprach.Es ist wahrscheinlich, dass die Kohlekommission nach hartem Ringen die Abschaltung von 7 bis 10 Gigawatt Kohlekapazität bis Ende 2022 empfehlen wird – von insgesamt rund 100 Gigawatt konventioneller Kapazität. Das gesamte Volumen der Abschaltungen würde erreicht durch einen Mix aus älteren RWE-Braunkohlekraftwerken, die vor allem in Westdeutschland vom Netz gehen, sowie Umrüstungen einiger Kraftwerke von Steinkohle auf Gas und durch eine Auktion, in der Kraftwerke gegen Entschädigung zur Schließung angeboten werden. Weil die ostdeutschen Landtagswahlen anstehen, haben die Verlierer des Braunkohleausstiegs beste Karten, um sich mehr Milliarden zu holen, als ihnen als Ausgleich für den Schmerz zustünden. Man kann sich darüber ärgern. Aber der Klimaschutz ist diese Ausgaben wert.—–Von Christoph RuhkampGleich drei ostdeutsche Landtagswahlen stehen an. Das wird erheblichen Einfluss auf Form und Tempo des Kohleausstiegs nehmen.—–