LeitartikelRenaissance des Nationalen

Labour will rechts überholen

Der zivilisatorische Kitt, der die britische Gesellschaft zusammenhält, bröckelt. Labour wählt zielsicher die falsche Richtung.

Labour will rechts überholen

Großbritannien

Labour will rechts überholen

Von Andreas Hippin

Der zivilisatorische Kitt, der die britische Gesellschaft zusammenhält, bröckelt. Labour wählt zielsicher die falsche Richtung.

Der britische Premierminister Keir Starmer hat ein Problem. Stünden Unterhauswahlen vor der Tür, würde Nigel Farages Rechtspartei Reform UK weit mehr Stimmen bekommen als Labour. Einer Umfrage von „More in Common“ zufolge könnte „Mr. Brexit“ einen Erfolg davontragen, der Boris Johnsons Erdrutschsieg von 2019 in den Schatten stellen würde.

Zwei Themen sind dafür ausschlaggebend: Zum einen konnte die Regierung die illegale Einreise über den Ärmelkanal nicht stoppen. Sie liefert zur Zuwanderung insgesamt zwar nur einen kleinen Beitrag, sorgt aber immer wieder für dramatische Fernsehbilder. Besser als BBC, Channel 4 und ITV könnte Farage die Ohnmacht der politischen Entscheider nicht inszenieren.

Zuwanderung im Fokus

Zum anderen hat es Reform UK geschafft, die Klimapolitik von Labour für die steigenden Lebenshaltungskosten und die fortschreitende Deindustrialisierung des Landes verantwortlich zu machen. Wie sich auf dem Parteitag der Regierungspartei in Liverpool zeigte, ist sie gewillt, die Herausforderung anzunehmen. Doch wählt sie zielsicher die falsche Richtung. Statt der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten, will sie Reform UK beim Thema Zuwanderung rechts überholen.

Außenministerin Yvette Cooper kanzelte Farage-Wähler als „Plastikpatrioten“ ab. Starmer beschwor eine „patriotische Erneuerung“ des Landes. Alles in allem versuchte die durch Skandale und Rücktritte geschwächte Regierung, die nationale Karte zu spielen. Fahnenschwenken ist auf Labour-Parteitagen sonst nicht so angesagt. Dieses Mal war er ein Meer von Union Jacks. Und Innenministerin Shabana Mahmood kündigte ein hartes Vorgehen gegen illegale Einwanderung an.

Handlungsunfähigkeit demonstriert

Dazu gehört, Flüchtlingen nicht mehr nach fünf Jahren eine Niederlassungserlaubnis auszustellen und automatisch das Recht auf Familiennachzug zu gewähren. Als Anwältin weiß Mahmood natürlich, dass diese Maßnahmen am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen werden. Und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention wird sich Labour nicht verabschieden wollen, auch wenn führende Politiker mit ihrer extensiven Auslegung durch britische Gerichte unzufrieden sind.

Dabei ließe sich der Ärger mit den Straßburger Richtern durch entsprechende gesetzliche Grundlagen vermeiden. Doch demonstriert Starmers Kabinett in dieser Frage, wie in vielen anderen, Handlungsunfähigkeit. Die mit großem Trara verkündete Vereinbarung mit Frankreich, abgewiesene Asylbewerber zurückzunehmen, entpuppte sich als Lachnummer. Der neue Anlauf dürfte vom Europäischen Gerichtshof einkassiert werden.

Schwarzes Loch in der Staatskasse

Nationalistischer sein zu wollen als die Rechten, zahlt sich nicht aus. Es spielt ihnen nur in die Hände. Der zivilisatorische Kitt, der die britische Gesellschaft zusammenhält, ist brüchig geworden. Labour ist mit dem Versprechen angetreten, für Wirtschaftswachstum zu sorgen. Höhere Staatsausgaben haben zwar dafür gesorgt, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr so schnell gewachsen ist wie keine andere G7-Volkswirtschaft. Doch ohne die Privatwirtschaft geht es nicht. Schon jetzt bremst die Wirtschaft ab.

Wenn Schatzkanzlerin Rachel Reeves Ende November ihren Haushalt vorstellt, werden darin erneut heftige Steuererhöhungen enthalten sein. Mehrwertsteuer auf Arztrechnungen zu kassieren, gehört zu den zuletzt gestarteten Versuchsballons. Sozialversicherungsabgaben auf Mieteinnahmen zu erheben, war ein anderer. Das schwarze Loch in der Staatskasse ist aber so tief, dass drastischere Maßnahmen nötig sein dürften.

Wachsende Unzufriedenheit

All das wird für noch mehr Unzufriedenheit in der Bevölkerung sorgen. Labour täte deshalb gut daran, die Gesellschaft nicht durch nationale Rhetorik weiter zu spalten. Sonst kann es schnell wieder zu Unruhen wie im Sommer 2024 kommen. Denn ihre Urheber würden sich ermutigt fühlen.