Industrie de Nora

Neuer Wumms für Wasserstoff

Der Thyssenkrupp-Partner Industrie De Nora produziert bei Frankfurt Elektroden für grüne saudische Megacity Neom.

Neuer Wumms für Wasserstoff

Das Städtchen Rodenbach bei Hanau, etwa 20 Kilometer östlich von Frankfurt, ist bisher bestenfalls für den hübschen Ortskern aus Fachwerkhäusern sowie einige Hexenverfolgungen und einen Aufenthalt des Komponisten Paul Hindemith bekannt. Doch bald könnte der Ort zumindest für Energieexperten deutlich an Bekanntheit zulegen. Denn hier, nahe beim kleinen Bahnhof, wird ein unverzichtbarer Bestandteil der großen industriellen Energiewende produziert: Elektroden. Sie kommen in Elektrolyseuren zum Einsatz, die mit Hilfe von grünem Strom aus Sonne und Wind grünen Wasserstoff herstellen. Dieser Wasserstoff wiederum ersetzt die Kokskohle im Hochofen bei der Stahlerzeugung oder kann von Brennstoffzellen-Lastwagen getankt werden.

Das italienische Unternehmen Industrie De Nora produziert schon seit Jahrzehnten Elektroden in Rodenbach. Früher ging es um elektrochemische Prozesse in der Chlorchemie. Doch heute kommen die Elektroden, die wie große viereckige Siebe aussehen, in der Produktion von grünem Wasserstoff zum Einsatz. Rund 70 % von dem, was Industrie De Nora produziert, geht an die Thyssenkrupp-Tochtergesellschaft Nucera, die noch im Jahr 2023 an die Börse gehen soll, wenn es das Kapitalmarktumfeld zulassen sollte. Nucera verbaut die Elektroden in Eletrolyseuren. Am Ende landet die gesamte Produktion aus Rodenbach an einem Ort, an dem man nicht als Erstes suchen würde: in Saudi-Arabiens Zukunftsstadt Neom. Dort ist Peter Terium, Ex-Chef von RWE und Innogy, der Energiechef und baut für 5 Mrd. Dollar eine Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff.

Das Megaprojekt Neom, das Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld als Verwaltungsratschef leitet, wird im Auftrag jenes saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman errichtet, der mit der Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi in Verbindung gebracht wurde. Mit 4 Gigawatt Solar- und Windenergie wird in Neom Wasserstoff produziert. Ab 2026 soll der für die globale Energiewende dringend benötigte Brennstoff auch exportiert werden. Saudi-Arabien will der weltweit größte Exporteur von Wasserstoff werden. Der Markt könnte laut Bloomberg bis 2050 jährlich 700 Mrd. Dollar Umfang erreichen, wenn die Hersteller die Kosten senken.

Unter anderem deshalb läuft in Rodenbach jetzt alles auf Hochtouren. 300 Beschäftigte arbeiten in drei Schichten am Tag an sieben Tagen in der Woche. Die Produktion des Jahres 2023 ist längst verkauft – an die Thyssenkrupp-Tochter Nucera und an Kunden aus der deutschen Chemieindustrie. Und die Fabrik in Rodenbach soll weiter wachsen.

Den Kapitalmarkt wird Industrie De Nora dafür aber erst einmal nicht anzapfen müssen. „Wir brauchen keine Kapitalerhöhung und werden auch auf absehbare Zeit keine vornehmen“, sagte CEO Paolo Dellachà am Rande einer Analystenveranstaltung in Rodenbach der Börsen-Zeitung. Der Manager ist derzeit auf großer Roadshow durch Frankfurt, London und Paris, um die bestehenden Investoren bei Laune zu halten. Neue braucht er vorerst nicht: „Wir können unsere Investitionen aus den IPO-Einnahmen von 200 Mill. Euro und aus dem laufenden Geschäft finanzieren. Bis 2025 wollen wir 300 Mill. Euro investieren – vor allem in die Ausweitung der Produktion, auch in Deutschland. In Rodenbach ist unser globales Kompetenzzentrum für Elektroden in der Produktion von grünem Wasserstoff.“ Zudem werden die Italiener staatlich gefördert: Im Mai 2022 haben die Europäische Kommission und Europas größte Elektrolyseur-Hersteller eine Erklärung im Rahmen der European Clean Hydrogen Alliance unterzeichnet, um beim Wasserstoff-Hochlauf zu kooperieren – verbunden mit millionenschweren staatlichen Subventionen.

Industrie De Nora ist seit Juni 2022 an der Euronext in Mailand notiert. Der Börsengang des Unternehmens war eines der ganz wenigen IPOs, die seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine überhaupt in Europa noch stattgefunden haben. Großaktionär ist neben der Gründerfamilie mit rund 55 % auch der Ferngasnetzbetreiber Snam mit 26 %. Der Börsengang hat nicht nur 200 Mill. Euro Erlös aus neuen Aktien für das Unternehmen eingespielt. Auch für die neuen Aktionäre hat sich das Investment in das Debüt gelohnt: Der Ausgabepreis lag bei 13,50 Euro. Inzwischen ist der Kurs auf 17,67 Euro gestiegen.

De Nora ist der nach eigenen Angaben weltweit größte Anbieter von Elektroden für die wichtigsten elektrochemischen Prozesse in der Industrie – für Kunden in den Bereichen Chlor und Natronlauge, Elektronikkomponenten und Oberflächenveredelung – und zugleich ein Anbieter von Wasserfiltrations- und Desinfektionstechnologien für Industrie, Kommunen, Schwimmbäder und die Schifffahrt. Das Portfolio an geistigem Eigentum umfasst über 260 Patentfamilien mit mehr als 2600 territorialen Erweiterungen.

Die jahrzehntelangen Erfahrungen übertragen die Italiener nun auf das neue Feld des grünen Wasserstoffs, das bereits die Hälfte des Geschäfts ausmacht. Der erste Schritt in diese Richtung war das Joint Venture mit Thyssenkrupp namens Nucera, an dem die Italiener nun zu 34 % beteiligt sind.

Industrie De Nora, 1923 gegründet, erzielte im Jahr 2021 einen Gesamtumsatz von 616 Mill. Euro und einen operativen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 127 Mill. Euro. Im Jahr 2022 waren es dann schon 850 Mill. Euro Umsatz – ein Plus von 38 % – und ein um 50 % nach oben gesprungenes Ebitda von 190 Mill. Euro.

Die Profitabilität von Industrie De Nora ist auch eine Folge des Erfolgs beim wichtigsten Abnehmer der Elektroden – der Thyssenkrupp-Tochter Nucera, die reihenweise Projekte gewinnt. „Wenn Nucera an die Börse geht, werden wir unseren Anteil in diesem Zusammenhang voraussichtlich proportional zur Beteiligung von Thyssenkrupp an Nucera verringern“, kündigte De-Nora-CEO Dellachà an. „Sollte Thyssenkrupp wider Erwarten dringend einen Käufer abseits der Börse für Nucera suchen, stünden wir als Partner natürlich für eine Lösung bereit.“

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