Fusionen/Übernahmen

Noch spielt die M&A-Musik

Die Fusionswelle rollt. Das M&A-Volumen übersteigt erstmals 5 Bill. Dollar. Drehen die Notenbanken den Geldhahn zu, hört die Musik auf zu spielen.

Noch spielt die M&A-Musik

Noch spielt die Musik für Fusionen und Übernahmen. Im Jahr 2021 wird das M&A-Volumen global wohl zum ersten Mal die Marke von 5 Bill. Dollar erreichen – noch mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007 mit 4,3 Bill. Dollar, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Einige Deals werden nachgeholt, weil sie beim Ausbruch der Pandemie vor eineinhalb Jahren zurückgestellt worden waren. Andere Transaktionen werden eilig vorgezogen, weil die Finanzierungskonditionen so günstig wie nie zuvor sind. Selbst für riskante High-Yield-Emissionen schlechter Bonität wird kaum mehr Zins gezahlt als für Investment-Grade-Anleihen. Und weil das so ist, fließt viel Geld großer Investoren auf der Suche nach einem Renditeaufschlag in die Kassen der Finanzinvestoren. Die Private-Equity-Häuser haben Kapitalzusagen („Dry Powder“) von 3,3 Bill. Dollar angehäuft und investieren in diesem Jahr voraussichtlich erstmals mehr als 1 Bill. Dollar in neue Unternehmensbeteiligungen. Immer öfter treffen sie dabei auf Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) als Bieterkonkurrenten. 419 Spacs, die noch kein Übernahmeziel gefunden haben, sind mit 133 Mrd. Dollar Eigenkapital auf der Suche.

So vielfältig das Bild erscheint – es sind doch im Wesentlichen immer dieselben Treiber für die Welle der Fusionen und Übernahmen: der offene Geldhahn der Notenbanken und die billionenschweren staatlichen Konjunkturprogramme. Über die operativen Gründe für Fusionen wird nur noch wenig gesprochen. Größenvorteile sollen die Stückkosten senken. Auch das Vordringen in neue Produktfelder oder ausländische Märkte kann durch eine Fusion begünstigt werden. Aber solche traditionell diskutierten „Details“ interessieren kaum noch, wenn es vor allem darum geht, das im Überfluss vorhandene Geld zum Rendite treibenden Einsatz zu bringen oder das eigene Konzernuniversum auszudehnen – einfach nur, weil man es kann. Vom Überfluss können auch die Gründer von Jungunternehmen berichten. Mussten sie sich früher mit ihrer Geschäftsidee um das Geld der Investoren bewerben, so ist es derzeit umgekehrt. Die Investoren bewerben sich darum, mit ihrem Geld ein Start-up zum Einhorn mit Milliardenbewertung machen zu dürfen.

Wie lange wird die Musik noch spielen? Schon schränken die Notenbanken ihre Anleihekäufe ein und werden von der beginnenden Inflation dazu gezwungen, Zinserhöhungen anzukündigen. Am Überfluss des Geldes hat das noch nichts grundlegend geändert – und solange die Musik spielt, muss zunächst einmal weitergetanzt werden. Das wird wohl noch monatelang so gehen. Noch hat die vierte Welle der Pandemie ja nicht begonnen, und die Konjunktur läuft. Allein die Dax-Konzerne haben im zweiten Quartal des Jahres einen operativen Rekordgewinn von 15 Mrd. Euro angehäuft, und dank hoher Kurse lassen sich die eigenen Aktien gut als Akquisitionswährung einsetzen.

Doch es steht zu befürchten, dass sich etwas zusammenbraut. Viele Unternehmen haben sich für Übernahmen hoch verschuldet, und viele Investoren haben ihre Investments mit Fremdfinanzierungen stark gehebelt. Für mittelständische Unternehmen in Europa wird im Schnitt das Zwölffache des operativen Gewinns bezahlt – doppelt so viel wie noch 2009. Wenn die Inflation schneller zunimmt, als die wirtschaftliche Erholung an Breite und Zuverlässigkeit gewinnt, dann könnten die Zinserhöhungen alle Schuldner härter treffen als erhofft – sobald sie die heute zu niedrigen Zinsen angehäuften Schuldenberge refinanzieren müssen und auf eine wachsende Risikoscheu der Gläubiger treffen.

An welcher Stelle die Zweifel an den rekordhohen Unternehmensbewertungen zu ernsthaften Bedenken werden und sich vielleicht zu einer handfesten Besorgnis entwickeln, die dazu führt, dass Luft aus den diversen Blasen abgelassen wird, darüber streiten die Experten. Wird es ein überschuldeter Immobilienentwickler wie Evergrande in China sein, der eine allgemeinere Bereinigung einleitet? Oder eine verschärfte Regulierung chinesischer Technologieunternehmen, die den Börsenwert ganzer Unterabteilungen dieses Segments ausradiert und damit Zweifel an der Wiederholung der Silicon-Valley-Geschichte in China weckt? Oder vielleicht die Heerscharen von Spacs, deren Gründer einfach irgendeine Firma kaufen, damit sie ihr Übernahmevehikel nicht unter Hinnahme eigener Verluste abwickeln müssen? Niemand weiß, an welcher Stelle sich die Bewertungskorrekturen zur Krise ausweiten können. Aber alle Akteure an den Kapitalmärkten beschleicht das Gefühl: So kann es doch nicht dauerhaft weitergehen.

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