Sorglos in den Abgrund
Britische Verschuldung
Sorglos in den Abgrund
Von Andreas Hippin
Großbritannien hat darauf gewettet, dass Inflation der Vergangenheit angehört. Ein teurer Fehler.
Großbritannien hat ein Problem. Es zahlt für seine Schulden wesentlich höhere Zinsen als jedes andere hochentwickelte Land. Die Finanzkrise, der Brexit, die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben der offenen Volkswirtschaft des Vereinigten Königreichs mehr geschadet als anderen. Deshalb fordern seine Kreditgeber eine höhere Risikoprämie. Sieht man sich die Sorglosigkeit an, mit der die Regierung Geld ausgibt, könnte man dagegen glauben, die Nullzinsphase sei noch nicht zu Ende.
Dabei gehören Premierminister Keir Starmer und Schatzkanzlerin Rachel Reeves zum rechten Flügel der britischen Sozialdemokratie. Die Parteilinke glaubt, der Staat könne nach Belieben Geld drucken. Dass Zimbabwe mit dieser Form von Modern Monetary Theory gescheitert ist, drang offenbar noch nicht bis in die Volksrepublik Islington durch.
Kosten für Schuldendienst vervierfacht
Auch im Zentrum der Partei hat man sich noch nicht an die Idee gewöhnt, dass man für Schulden Zinsen zahlen muss – und zwar weitaus höhere als zu Zeiten der Labour-Regierung von Gordon Brown. Die Kosten für den Schuldendienst haben sich innerhalb von vier Jahren auf 105 Mrd. Pfund vervierfacht.
Das schwache Wachstum, die großzügigen Ausgaben für den öffentlichen Dienst und die Unfähigkeit, Sozialleistungen auch nur geringfügig zu kürzen, tragen alle dazu bei. Es gibt aber noch ein anderes Problem, über das weit weniger gesprochen wird. Denn angeblich ist es technischer Natur. Es geht darum, dass Großbritanniens Schuldenagentur DMO in großem Stil inflationsgeschützte Staatsanleihen (Gilts) begeben hat. Dem dürfte die Annahme zu Grunde gelegen haben, dass Inflation ein Phänomen der Vergangenheit sei. Zudem gab es eine starke Nachfrage seitens der Pensionsfonds des Landes.
Zeitbombe für die öffentlichen Finanzen
Tatsächlich sparte das Land zwischen 1981 und 2022 im Vergleich zur Ausgabe von herkömmlichen Anleihen mit den inflationsgeschützten Schuldentiteln insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag ein. Am Ende dieses Zeitraums war fast ein Viertel der ausstehenden Staatsanleihen inflationsgeschützt – ein mehr als doppelt so hoher Anteil als in jedem anderen G7-Land. Doch dann schoss die zu Grunde liegende Teuerungsrate auf 14,2% nach oben. Denn zu allem Überfluss orientieren sich die vom DMO begebenen Gilts am Einzelhandelspreisindex, der stets höher ausfällt als der Verbraucherpreisindex.
Zwar bewegte sich während der Pandemie auch die Neuverschuldung steil nach oben. Doch nach einer Analyse der „Times“ kostete die Präferenz für inflationsgeschützte Anleihen die Steuerzahler in den Jahren 2022 und 2023 im Vergleich zu herkömmlichen Gilts fast 63 Mrd. Pfund mehr. Die Papiere wirken auf die öffentlichen Finanzen wie eine Zeitbombe. Bis zum Jahr 2030 dürften die Kosten für den Schuldendienst auf 132 Mrd. Pfund steigen.
Wider die Lehrmeinung
Die zuständigen Beamten des DMO haben zwar keine Entscheidungsbefugnis. Die liegt am Ende beim Schatzkanzler. Die Frage ist allerdings, ob sie vor den Risiken, die nun klar zu Tage traten, gewarnt haben. Oder ob auch hier Sorglosigkeit überwog. Denn die Annahme, dass plötzliche Inflationsschübe der Vergangenheit angehören, war gang und gäbe. Es war gewissermaßen die Lehrmeinung. Der ehemalige Chefvolkswirt der Bank of England, Andrew Haldane, warnte nach der Pandemie vor Inflationsgefahr. Doch er konnte sich kein Gehör verschaffen.
Vor der Kernschmelze am Markt für langlaufende Gilts nach Vorstellung des nicht gegenfinanzierten Wachstumshaushalts von Liz Truss im Herbst 2022 waren die Finanzstabilitätshüter der Notenbank noch der Meinung, dass es so starke Bewegungen bei den Renditen an einem Handelstag nicht geben könne. Pensionsfonds, die riskante Derivategeschäfte getätigt hatten, gerieten derart in Bedrängnis, dass die Zentralbank Stützungskäufe tätigen musste.
Schwindender Spielraum
Für Reeves ist der Abgrund nie allzu weit entfernt. Steuererhöhungen sind unausweichlich. Der Bondmarkt wird schon dafür sorgen.