LeitartikelEisbrecher in Europa

Bankenkonsolidierung à la Orcel oder zurück auf Los

Mit ihren diversen Übernahmeangeboten könnte die italienische Unicredit eine Neuordnung des europäischen Bankwesens einleiten. Mit ihrem Konfrontationskurs, der sich auch gegen Regierungen richtet, könnte sie jedoch auch krachend scheitern.

Bankenkonsolidierung à la Orcel oder zurück auf Los

Bankenkonsolidierung

Mit Orcel oder zurück auf Los

Von Gerhard Bläske

An Selbstvertrauen mangelt es ihm nicht: Unicredit-CEO Andrea Orcel strebt mit den Übernahmen von Commerzbank und BPM eine Neuordnung des europäischen Bankwesens an.

Unicredit schaltet in einem Mehrfrontenkrieg voll auf Angriff: Auf Angriff gegen die Regierung in Rom in Sachen BPM und gegen die Regierung in Berlin in Sachen Commerzbank, aber auch gegen die Führungsgremien der betroffenen Banken sowie gegen die Gewerkschaft der Commerzbank. Ein solch aggressives Vorgehen ist höchst ungewöhnlich und gefährlich – womöglich auch für den selbstbewussten CEO Andrea Orcel selbst.

Andrea Orcel fühlt sich stark

Doch der Chef der Bank, deren Kapitalisierung von 90 Mrd. Euro seit kurzem die der Intesa Sanpaolo übertrifft, fühlt sich offenbar stark. Der Aktienkurs entwickelt sich gut, die Geschäftszahlen auch, die Analysten beurteilen die Aussichten höchst positiv. Und er hat die Aufsichts- und Kartellbehörden hinter sich. Sie haben keine Einwände gegen die geplante Übernahme der BPM und die Aufstockung der Beteiligung an der Commerzbank auf bis zu knapp 30% der Anteile.

Nun hat ein italienisches Gericht auch noch einen Teil der Bestimmungen für unzulässig erklärt, mit denen Rom die BPM-Übernahme im Rahmen der Golden-Power-Regelung verhindern will. Die HVB-Mutter feiert dies als Sieg und hat in ungewöhnlich aggressiver Form erklärt, die Regierung sei nicht befugt, von Unicredit den Rückzug aus Russland zu verlangen. Selbst wenn das in der Sache richtig sein sollte, ist es eine verbale Ohrfeige für Premierministerin Giorgia Meloni. Hinzu kommt: Auch die EU-Kommission hat zum Thema Golden Power Fragen an die Regierung.

Aggressives Vorgehen in Deutschland

Orcels Vorgehen in Deutschland ist nicht minder aggressiv. Denn trotz früherer Erklärungen, nicht gegen die Bundesregierung handeln zu wollen, schafft er mit der Umwandlung von Derivaten in Aktien bei der Commerzbank Fakten. Mit nun 19% der Anteile und der Erklärung, „zu gegebener Zeit“ auch die restlichen Finanztitel in eine direkte Beteiligung umwandeln und auf knapp unter 30% aufstocken zu wollen, setzt er ein klares Zeichen: „Wir sind bereit und lassen uns nicht aufhalten.“

Noch ist Orcel nicht am Ziel. Er hat wiederholt erklärt, Zeit zu haben. Die braucht er auch – und zwar unabhängig davon, wie die Auseinandersetzungen mit den Regierungen und den feindlich gesinnten Banken ausgehen. Denn er hat auch die Bedingung gestellt, dass sich die Vorhaben finanziell lohnen müssen. Das ist derzeit nicht der Fall – vor allem nicht bei der Commerzbank, deren Kurs auf um die 30 Euro gestiegen ist. Das Vorhaben rechnet sich erst bei einem Preis von unter 20 Euro. Mit einem KGV von etwa 13 ist die Commerzbank deutlich höher bewertet als andere Banken.

Konsolidierung des europäischen Bankenmarktes gilt als sinnvoll

Man darf Orcel zugutehalten, dass er den Bankenmarkt aufmischt und eine von vielen Experten als notwendig erachtete Konsolidierung zumindest angestoßen hat. Er fordert ein System heraus, das geschützt und intransparent ist. Bei der Commerzbank steht er womöglich bald an der Schwelle zu einer Übernahme, die finanziell noch unattraktiv wäre. Aber er kann warten. Mit einem Anteil von knapp unter 30% würde er über beträchtlichen Einfluss verfügen. Über Sitze im Aufsichtsrat und die Mitsprache bei strategischen Entscheidungen könnte er die Commerzbank weich klopfen.

Für Orcel spielt womöglich die Zeit. Aber er kann die Beteiligungen notfalls auch mit Gewinn verkaufen. Ob er am Ende zum Ziel kommt, hängt von vielen Faktoren ab. An seiner Entschlossenheit mangelt es nicht. Doch bei der BPM hat deren Großaktionär Crédit Agricole beantragt, auf bis zu knapp unter 30% aufzustocken. Bei der Commerzbank verfügt die Bundesregierung als zweitgrößter Aktionär dagegen über wenig Möglichkeiten.

Der Erfolg ist noch vollkommen offen

Es ist noch offen, inwieweit es Orcel gelingen wird, im Frontalangriff gegen Regierungen, Banken und unter Wahrung der finanziellen Rentabilität eine Neuordnung in Europas Bankenwesen einzuleiten. Gelänge ihm das, wäre er der Eisbrecher in einem europäischen Bankenmarkt, der weitgehend national geblieben ist. Scheitert er, wäre das ein herber Rückschlag in Europas Bankenkonsolidierung.

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